Interview: Politikberater Martin Fuchs

„Deutsche Politik hat ein Strategiedefizit!“

Martin Fuchs berät Regierungen und Politiker in digitaler Kommunikation. Mac-Life-CvD Thomas Raukamp unterhielt sich mit ihm über die gesellschaftlichen Veränderungen, die das Smartphone bewirkt hat.

Thomas Raukamp
Mac Life

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Mac Life | Herr Fuchs, wo erwische ich Sie gerade?

Martin Fuchs | An einem Ort, an dem ich sehr viel Zeit verbringe: in einem ICE. Zu meinem großen Glück sind die ja nun flächendeckend mit WLAN ausgestattet.

Martin Fuchs berät Regierungen, Parlamente, Parteien, Politiker und Verwaltungen in digitaler Kommunikation. Seit 2008 fungiert er als Lehrbeauftragter für Public Affairs an der Universität Passau und ist Dozent für Social Media und Politik an weiteren Hochschulen. Er schreibt als Kolumnist für das Fachmagazin „Politik & Kommunikation“ und als Gastautor unter anderem für „NZZ“, „Zeit Online“ und „Hamburger Abendblatt“. Zudem ist er Gründer der Social-Media-Analyse- und Benchmarking-Plattform „pluragraph.de“ und bloggt unter hamburger-wahlbeobachter.de.

Da haben Sie ja hoffentlich guten Empfang für Messenger, Facebook, Twitter und E-Mails — wie kommunizieren Sie derzeit am liebsten?

Es kommt immer ein wenig auf den Anlass an, ich würde aber sagen, es ist eine Mischung aus E-Mail, Twitter und WhatsApp.

Bei mir persönlich hat die Zahl der Anrufe in den vergangenen ein bis zwei Jahren merklich abgenommen. Entweder bin ich weniger beliebt oder der gleichzeitige Anstieg von Nachrichten im Messenger ist der Grund dafür. Wie sieht’s bei Ihnen aus?

Ja, auch bei mir hat sich das Kommunikationsverhalten in den letzten Jahren extrem verändert. Ich telefoniere eigentlich nur noch mit Journalisten für Interviews, mit Kunden bei akuten Themen und Abstimmungen — und sehr selten mit meinen Großeltern.

Das iPhone als Politikum

Jetzt kommt so eine Art „9/11-Frage“: Erinnern Sie sich noch, was Sie am 9. Januar 2007 um 19 Minuten vor zehn gemacht haben?

Ohne Blick in meinen Kalender würde ich wohl sagen, dass ich da in irgendeinem Berliner Konferenzraum saß und etwas Schlaues zur politischen Kommunikation erzählt habe.

An diesem Tag und zu dieser Stunde wurde natürlich das iPhone vorgestellt. Glauben Sie, Steve Jobs hat damals schon die Reichweite „seiner“ Erfindung vorausgesehen?

Ich war bei der Entscheidung nicht dabei, aber ich glaube schon, dass Jobs sehr genau wusste, was er tat und das Potenzial des Smartphones erkannte. Dass es ja damals ja schon gab — nur eben nicht so smart, wie von Apple dann umgesetzt.

„Ich glaube, dass Steve Jobs sehr genau wusste, was er tat und das Potenzial des Smartphones erkannte. Dass es ja damals ja schon gab — nur eben nicht so smart, wie von Apple dann umgesetzt.“

Wann haben Sie das Smartphone zum ersten Mal in einem politischen Kontext betrachtet?

Vor circa fünf bis sechs Jahren, als die Durchdringung der Bevölkerung mit smarten Geräten immer stärker wurde, die Nutzerzahlen von Social Media stiegen und klar wurde, dass das Internet der Telefonie mobil den Rang ablaufen würde.

Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte einmal, er brauche für die erfolgreiche Regierungskommunikation nur „Bild, BamS und Glotze“. Wahrscheinlich würde er damit heute nicht mehr allzu viele Blumentöpfe gewinnen, oder?

Heute würde er wohl noch Facebook ergänzen. Allerdings sind auch hier „Bild“ und Glotze nicht unwichtig, denn die wichtigsten Informationsquellen für die sozialen Netzwerke sind wiederum klassische Medien, die ihre Inhalte dort ausspielen. Zum einen, weil das Vertrauen in diese Marken — trotz der Diskussion um die „Lügenpresse“ — bei der Bevölkerung weiterhin sehr hoch ist. Und zum anderen, weil sie über sehr große Reichweiten verfügen. Dies wird klar, wenn man sich die quantitativen und qualitativen Reichweiten zum Beispiel von Parteien und Politikern in sozialen Medien im Vergleich zu „Bild“, „BamS“, „Spiegel“ und Co. anschaut.

Chuck Shumer, Minderheitsführer der Demokraten im US-Senat, sagt heute: „Amerika wieder großartig zu machen, braucht mehr als 140 Zeichen.“ Täuscht er sich?

Hundert Prozent Zuspruch! Zur Mobilisierungs und temporären Dominierung der Medienagenda in einer Kampagne sowie für die Informationsverbreitung ist Twitter genial. Um aber eine Weltmacht mit über 200 Millionen Menschen zu regieren, braucht es mehr als ein paar flotte und provokative Sprüche. Hier benötigt man Visionen, Konzepte und am Ende oftmals langwierige Diskussionen mit Senat und Repräsentantenhaus — spätestens da stößt Twitter an seine Grenzen.

„Um eine Weltmacht mit über 200 Millionen Menschen zu regieren, braucht es mehr als ein paar flotte und provokative Sprüche.“

In der aktuellen „Fake-News“-Debatte ducken sich Anbieter wie Twitter und Facebook gern weg und verweisen darauf, dass soziale Netzwerke neutral seien. Ist das feige?

Ich habe ehrlich gesagt nicht das Gefühl, dass sich die Netzwerke wegducken. Sie wissen ganz genau, dass die Debatte ihrem Geschäftsmodell schadet. Die Netzwerke haben nur ein anderes Selbstverständnis. Sie sehen sich als Plattform für Inhalte, nicht als Medienanbieter. Und was wesentlich schwieriger ist: Sie sind global. Im Grunde gibt es somit nicht nur in Deutschland hunderte Ansichten, was Fake-News sind. Und da ist eine standardisierte Antwort für die hunderte von Märkten, auf denen diese Netzwerke vertreten sind, eben doch ein wenig komplexer, als einfach ein paar Werkzeuge einzuführen, die das Phänomen mit ein paar Klicks lösen.

Ist die öffentliche Erwartungshaltung an die Betreiber sozialer Netzwerke somit zu hoch?

Wie alle Technologien unterliegen natürlich auch soziale Medien dem sogenannten Hype-Circle: Die Erwartungen an neue Technologien sind am Anfang überproportional hoch; diese Erwartungen werden dann im Verlauf der Jahre enttäuscht und der Blick auf die Tools wird sachlicher, nüchterner und auch kritischer. Derzeit befinden wir uns — auch das ist klassisch — in einer Ernüchterungsphase.

Interessanterweise haben dieselben Anbieter sozialer Netzwerke aber sehr gern die Blumen dafür angenommen, treibende Kraft im damaligen sogenannten „Arabischen Frühling“ zu sein …

Jeder, der sich mit dem Arabischen Frühling beschäftigt hat, weiß, dass Social Media nicht das wichtigste Werkzeug für die Bewegungen war — insbesondere, wenn man sich anschaut, wie verbreitet soziale Medien, mobiles Internet und Smartphones unter den Protestierenden überhaupt waren. Nur eine kleine Elite hatte Zugang zu diesen Instrumenten — die hat sie aber perfekt zur Organisation und Mobilisierung ihrer Gruppe genutzt.

Politik in 140 Zeichen

Derzeit streiten sich der amtierende US-Präsident Trump und Mexikos Präsident Peña Nieto lieber öffentlich auf Twitter, als persönlich miteinander zu sprechen. Ist das absurd, gefährlich oder einfach logisch?

Was wir da miterleben, ist lediglich die Spitze des Eisbergs der diplomatischen Aktivitäten beider Länder. Die sogenannte Digital Diplomacy, also die Außenpolitik per digitalen Kanälen, ist in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden; internationale Debatten werden öffentlicher und der Diskurs für alle sichtbar. Ich glaube aber, dass im Hintergrund noch sehr viel mehr und auch persönlich besprochen wird, als das, was wir in den Tweets sehen.

Ich befürchte nicht. Was halten Sie als Politikberater überhaupt von Donald Trumps Social-Media-Strategie? Ist sie genial oder schlicht unverantwortlich?

Ich weiß noch nicht einmal, ob es eine durchdachte Strategie ist. Trump ist Unternehmer und hat eine „Marktlücke“ erkannt und perfekt besetzt. Er wusste, dass sich seit Jahren eine Wut bei vielen sich gefühlt abgehängten Amerikanern herausgebildet hat. Dieser Stimmung hat er mit seinen Positionen und politisch unkorrekten Äußerungen ein Sprachrohr gegen das „System“ gegeben.

„Trump ist Unternehmer und hat eine „Marktlücke“ erkannt und perfekt besetzt.“

Durch seine seit Jahren aufgebaute Prominenz hatte er eine sehr gute Basis, um schon zu Beginn der Vorwahlen viele Menschen zu erreichen. Und er wusste als Teil der Medienindustrie, wie man Medien adressiert und für seine Zwecke einbindet. Leider haben die meisten Medien erst viel zu spät bemerkt, dass sie ihm auf den Leim gegangen sind — über 50 Prozent der Berichterstattung über die Vorwahlen entfiel auf ihn.

Spätestens in der Regierungsverantwortung wird Trump aber merken, dass er mit dieser Strategie nicht weiterkommen wird. Nun erwarten die Bürger Antworten, nun muss er liefern — und nur mit Angriffen auf andere wird er seine Ziele nicht umsetzen können. Damit schafft er sich eher mehr Gegner, die er aber braucht, um seine Ideen in die Realität umzusetzen. Wenn er so weitermacht wie bisher, wird er sich immer stärker isolieren. Er ist heute schon der unbeliebteste Präsident aller Zeiten.

Glauben Sie, dass Donald Trump wirklich selbst hinter seinen Nachrichten steckt — oder setzt er auf ein wohl orchestriertes Social-Media-Team?

Es gab im Wahlkampf ja eine sehr spannende Analyse, die nachgewiesen hat, dass die eher sachlichen Tweets tagsüber von einem iPhone versendet wurden, die polternden und unkorrekten spät in der Nacht aber von einem Android-Gerät kamen. Trump selbst nutzt seit Jahren ein Android-Smartphone. Das zeigt, dass er ein Team hatte — und das hat anders getwittert als er.

Macht ihn aber gerade seine Authentizität auf Twitter so erfolgreich?

Erfolgreich waren vor allem seine provokanten und höchstwahrscheinlich selbst verfassten Tweets frühmorgens um zwei Uhr. Authentizität ist dabei definitiv einer der Erfolgsfaktoren. Ohne Team ist aber jeder Spitzenpolitiker aufgeschmissen, denn es geht ja nicht nur um das Senden, sondern auch um Monitoring, Community-Management und das Aufbereiten von Informationen. Dafür ist ein Team unerlässlich.

Nicht zuletzt durch das iPhone hat sich die Wahrnehmung komplexer politischer Inhalte komplett verändert. Um Aufmerksamkeit im scrollenden Facebook-Stream zu erregen, hat man auch als Politiker oft nur ein paar Sekunden — wenn überhaupt. Kommt es da nicht zwangsläufig zu einer gefährlichen Verkürzung der Inhalte? Und gewinnt dann immer der, der die schnellste und plakativste Lösung anbietet?

Inhalte wurden schon immer verkürzt. Ich denke da unter anderem an die 5-Sekunden-Aufsager in der Tagesschau oder plakative Sätze in Reden, die man sich merken soll. Selbstverständlich müssen komplexe Inhalte in sozialen Netzwerken anders aufbereitet werden. Das bedeutet aber nicht, dass sie flacher werden müssen. Einige der erfolgreichsten politischen Postings, die viral gegangen sind und Millionen Menschen erreicht haben, enthielten sogar sehr, sehr viel Text.

Anders gefragt: Radikalisieren uns soziale Online-Netzwerke zwangsläufig?

Ob und wie uns soziale Medien radikalisieren, ist noch nicht wirklich wissenschaftlich belegt. Aber es gibt natürlich Hinweise darauf, dass das kontinuierliche Bespielen von Fans mit einem politischen Weltbild zu einer Radikalisierung der Kommentare und auch zu mehr Offline-Protesten führt. Social Media kann da durchaus als Verstärker agieren — es allein darauf zu reduzieren, fände ich aber gefährlich und schwierig.

Politik für die „Generation Smartphone“

Wie empfänglich ist die Smartphone-Generation überhaupt noch für echte politische Inhalte?

Das Interesse an Politik hat gerade bei der „Generation Smartphone“ in den vergangenen Jahren wieder zugenommen. Dies spiegelt sich allerdings nicht in etablierten Strukturen wie Parlamenten und Parteien wieder, sondern eher in temporären Aktionen wie Demonstrationen, Online-Petitionen oder dem spontanen Engagement in der Flüchtlingshilfe.

Würden Sie Aktivisten heute eher zu einer Demonstration auf der Straße oder zu einer gut angelegten Kampagne in den sozialen Netzwerken raten?

Ehrlich gesagt verstehe ich die Frage nicht. 66 Prozent der deutschen Internetnutzer gehen mobil online; wir leben in einer Gesellschaft, in der es keine wirkliche Trennung zwischen Online und Offline mehr gibt. Wenn ich Protest organisere, muss ich beide Welten mitdenken: Online für Offline-Aktionen mobilisieren, und wenn ich auf der Straße bin, muss das möglichst breit online gestreut werden, damit alle, die nicht dabei waren, mitbekommen, was das für eine großartige Demo war und für welche Inhalte ich da gekämpft habe.

Was raten Sie einem Politiker, der erfolgreich Wahlkampf in den sozialen Netzwerken machen möchte?

Entscheidend ist, dass der Politiker Lust haben muss auf die Tools, Kontroll- und Machtverlust leben sollte und dass er eine Strategie hat, wen und mit was er in den sozialen Netzwerken erreichen will. Die meisten scheitern schon an dieser Frage. Es gibt ein wahnsinniges Strategiedefizit in der deutschen Politik.

Und was sollten er oder sie tunlichst unterlassen?

Es gibt da eigentlich nicht viel, was nicht geht. Unkontinuierliche Kommunikation, die nur zu Wahlkämpfen stattfindet, wird aber scheitern. Die größten Potenziale sehe ich zwischen den Wahlkämpfen, anstatt nur in den Wochen vor dem Wahltag.

Sie waren als Berater bereits für die CDU, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen tätig. Fällt es Ihnen schwer, Ihre politische Überzeugung dabei ganz bewusst auszublenden?

Ich habe in den vergangenen Jahren alle große Parteien und die Piraten beraten. Ich habe selbstverständlich ein moralisches Gerüst: Alles, was populistisch, extrem und demokratiefeindlich ist, sage ich ab — und da gibt es mehr Anfragen als man denkt.

Bei meiner Beratung geht es auch weniger um Inhalte, als vielmehr um die Frage, wie die möglichst guten Inhalte an den Bürger gebracht werden. Und da habe ich überhaupt keine Probleme, wenn ich Demokraten aller Coleur berate.

Haben Sie eigentlich Angst, dass Sie während Ihrer Beratungstätigkeit vom jeweiligen politischen Gegner ausgespäht werden?

Nein. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Öffentlichkeit zu viel an „House of Cards“ und „James Bond“ denkt. Politik ist aber viel boden- und anständiger, als es der eine oder andere Skandal vermuten lässt.

„Politik ist viel boden- und anständiger, als es der eine oder andere Skandal vermuten lässt.“

Ein Silicon-Valley-Unternehmen wie Apple gilt gemeinhin als liberal. Ist es überhaupt möglich, ein Technikunternehmen politisch festzulegen?

Ich glaube schon, dass es für ein Unternehmen im Jahr 2017 wichtig ist, Werte zu haben, diese zu leben und auch offen zu kommunizieren. Das erwarten die Kunden auch immer stärker. Wir beobachten dies auch gerade beim Thema „#MuslimeBan“ in den USA; alle großen Tech-Firmen haben sich dagegen ausgesprochen.

Was bedeutet liberal im unternehmerischen Kontext überhaupt?

Ich glaube, dass der Begriff weniger eine politische Einstellung als eine Weltanschauung bezeichnet. Und da finde ich es einfach nur fair, wenn ich als Arbeitnehmer weiß, wie der Laden tickt, bevor ich mich bewerbe. Andersherum ist es Unternehmen wichtig, dass man die richtigen Leute anlockt, die dann auch in die Unternehmenskultur passen.

Ego gegen Ego: Würde Steve Jobs vor Donald Trump einknicken?

Ich weiß nicht, ob die beiden sich viel zu erzählen hätten, aber ich glaube, sie hätten Respekt voreinander — beide haben Großes aufgebaut, das verbindet. Welches Ego da nun größer ist, wage ich nicht zu beurteilen.

Letzte Frage: Was für ein Smartphone benutzen Sie selbst?

Ein OnePlus 2.

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Thomas Raukamp
Mac Life

„I am writing. I hate writing. I love writing. I am writing.“ — Amy Brenneman