Prof. Dr. Ipke Wachsmuth: »Die Persönlichkeit von Siri liegt in ihrem programmierten Humor!«

Thomas Raukamp
Mac Life
Published in
6 min readJul 19, 2016

Sprachassistenten wie Siri, Ok Google und Cortana sind im Alltag angekommen. Doch wie intelligent sind sie wirklich? Und werden sie eines Tages vollwertige Kommunikationspartner sein? Mac-Life-CvD Thomas Raukamp unterhielt sich mit zwei Experten von der Universität Bielefeld: dem Computerlinguisten Professor Dr. David Schlangen sowie dem Seniorprofessor für Künstliche Intelligenz Professor Dr. Ipke Wachsmuth.

Das Gespräch mit Prof. Dr. David Schlangen finden Sie hier.

Prof. Dr. Ipke Wachsmuth hat 25 Jahre Künstliche Intelligenz an der Universität Bielefeld gelehrt. Dort arbeitet er als Seniorprofessor am Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC).

Herr Professor Dr. Wachsmuth, der Autor Arthur C. Clarke soll gesagt haben: „Es gibt große Fortschritte im Bereich der künstlichen Dummheit — von künstlicher Intelligenz kann ja wohl keine Rede sein.“ Stimmen Sie ihm zu?

Hier muss man zunächst einmal zwei Begriffe von Intelligenz unterscheiden: Erstens die Intelligenz als geistiges Potenzial, durch das wir uns auf wechselnde, auch unbekannte Situationen einstellen und mit dem wir aus erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten kreativ neue Erkenntnisse ableiten, um damit verbundene Aufgaben zu lösen. Zweitens die Intelligenz als kognitive Fähigkeit, zum Beispiel komplexe Zusammenhänge und Muster zu erkennen, daraus logische Schlüsse zu ziehen und entsprechend zu handeln.

Geht es um den ersten Begriff, stimme ich Clarke zu. Das Gegenteil von Dummheit ist Klugheit, also in einer Situation unter Berücksichtigung aller Umstände das Richtige zu tun; dazu gehört wohl auch Lebenserfahrung, die heutiger KI prinzipiell abgeht.

Bei der Intelligenz im zweiten Sinne würde ich Clarke jedoch widersprechen: 2001 kam zum Beispiel mit dem „TomTom Navigator“ das erste mobile Navigationssystem für Kraftfahrzeuge auf den Markt, ein sehr nützliches Produkt der KI. Bei Spielen wie Schach und vielleicht auch Go sind uns KI-Systeme mittlerweile ebenbürtig — oder übertreffen uns sogar.

»Bei Spielen wie Schach und vielleicht auch Go sind uns KI-Systeme mittlerweile ebenbürtig — oder übertreffen uns sogar.«

Kubricks und Clarkes erster Vorabentwurf für den sprachfähigen Computer „HAL 9000“ hieß „Athena“ und hatte eine weibliche Stimme. Auch Siri ist weiblich, wenn man ihre Stimme in den Voreinstellungen nicht ändert. Wie wichtig ist die Gender-Frage in der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine?

Unsere Wahrnehmung der Maschine ändert sich bereits dadurch, dass sie überhaupt zu uns spricht — zumal mit einer erkennbar weiblichen oder männlichen Stimme, die möglicherweise auch bei Siri eines Tages emotional gefärbt klingt. Dadurch entsteht der Eindruck einer „Körperlichkeit“ oder gar „Personalität“ — die zwar nur vorgegaukelt ist, aber eine neue Dimension in die Mensch-Maschine-Kommunikation einbringt. Der Science-Fiction-Film „Her“ von Spike Jonze aus dem Jahr 2013 führt uns vor, wie dies auch die emotionale Beziehung zwischen Mensch und Computer verändern könnte.

Weshalb sind wir überhaupt so fasziniert von dem Gedanken, mit intelligenten Maschinen zu kommunizieren?

Mich persönlich fasziniert, dass dadurch der Eindruck eines „Gegenübers“ entsteht, mit dem ich im Dialog Aufgaben kooperativ so angehen kann wie mit einem menschlichen Gesprächspartner. Ich denke aber, dass das nicht für jeden von uns gilt. Viele Smartphone-Nutzer sehen ihr Gerät lediglich als nützliches Werkzeug, das ihnen bei Recherchen behilflich ist — auch wenn sie Sprachassistenten einsetzen.

Buchtipp
Menschen, Tiere und Max
Möwen, Krabben und Marktschreier — ausgehend von Alltagsbeobachtungen verbindet Professor Dr. Ipke Wachsmuth in diesem Buch die Themen Kommunikation, natürliche und Künstliche Intelligenz. Dabei geht es um Sprache und Denken, um Mimik und Gestik — und um die Komplexität hinter den so alltäglich erscheinenden kommunikativen Fähigkeiten von Mensch und Tier. Das Buch führt auch in die Welt von Robotern und anderen künstlichen Wesen ein, die unseren Alltag mehr und mehr bevölkern. Und der Leser lernt Max kennen, ein „lebendiges“ Beispiel dafür, wie die Schnittstelle zwischen Mensch und Computer in Zukunft aussehen könnte.
Springer Spektrum | 9,99 Euro | E-Book 6,99 Euro

Siri weiß auf Apple-Keynotes immer wieder durch humoristische Anwandlungen zu unterhalten. Legendär ist schon die Antwort auf Frage: „Siri, wie viel ist Null geteilt durch Null?“. Ist diese Simulation einer typisch menschlichen Eigenschaft, also des Humors, essenziell für die Wahrnehmung einer Maschine als wirklicher Kommunikationspartner?

Auf jeden Fall. Auch „Max“, ein an der Uni Bielefeld entwickelter künstlicher Gesprächspartner, kommt im „Heinz Nixdorf MuseumsForum“ in Paderborn bei seinen Besuchern mit witzigen Bemerkungen gut an, die aber wie bei Siri vorprogrammiert sind. Humor wirklich zu verstehen ist eine große Herausforderung für die künstliche Intelligenz. Im Science-Fiction-Film „Nummer 5 lebt!“ aus dem Jahr 1986 erlernt der Roboter den Humor erst ganz am Schluss — der Zuschauer erhält so einen Eindruck von der Komplexität menschlichen Humors.

»Humor wirklich zu verstehen ist eine große Herausforderung für die Künstliche Intelligenz.«

Natürlich sind Siris „Gefühle“ andressiert und nicht spontan. HAL 9000 sagt zu Astronaut Bowman: „Ich habe Angst, Dave“, bevor er mit einem gegurgelten Kinderlied zugrunde geht. Ob er wirklich so empfindet?

Das Empfinden von Angst nimmt man HAL nicht so recht ab. Es wirkt eher wie eine Finte, mit der er sein Abschalten verhindern möchte. Dass Computer — wenn sie dem Menschen durch eine körperliche Erscheinung gegenübertreten oder emotional auf Dialogeingaben reagieren — irgendwann den Eindruck einer Persönlichkeit vortäuschen werden, denke ich jedoch schon. Echt wirkende Gefühle oder gar Intuition sehe ich aber eher im Bereich der Science-Fiction. Die Persönlichkeit von Siri liegt vielleicht in ihrem einprogrammierten Humor.

Ein interessantes, wenn auch skurril-erschreckendes Experiment Künstlicher Intelligenz ist Microsofts Twitter-Bot „Tay“. Mit gezielten Fragen brachten Nutzer ihm bei, Frauen und Ausländer zu hassen. Übernehmen Maschinen also zwangläufig auch menschliche Schwächen?

Es handelt sich dabei weniger um menschliche Schwächen, als um die Böswilligkeit der Nutzer. Das ist ein echtes Problem, denn heutigen KI-Systemen fehlt es an Einschätzungsvermögen. Wir haben das auch mit unserem Max erfahren: Einige Besucher haben ihm zuweilen ganz hässliche Wörter beigebracht. Wir haben Max dann grundsätzlich sagen lassen: „Heute Abend schau ich nochmal im Lexikon nach, ob das stimmt, was du mir gesagt hast“ — und die neuen Wörter automatisch gelöscht.

Siri kann sich vielleicht schon recht gut E-Mails diktieren lassen und auch Termine in den Kalender eintragen. Google Now erkennt sogar semantische Zusammenhänge. Zu einem Plauderstündchen über die Thesen von Albert Camus reicht es jedoch nicht. Was fehlt?

Bis wir mit einem System wie Siri über Existenzialismus plaudern können, wird es mit Sicherheit noch eine ganze Weile dauern. Denn so ein Gespräch erfordert ein komplexes Wissen der Welt. Für ganz ausgeschlossen halte ich es aber nicht, wenn es gelingt, die umfangreichen Textdatenbanken im Internet anzuzapfen. Selbst wenn solch ein System die Tiefe der Gedankengänge niemals nachvollziehen kann, könnte es doch Argumente zurückspielen, die einem Menschen den Eindruck sinnvoller Dialogbeiträge vermitteln.

»Bis wir mit einem System wie Siri über Existenzialismus plaudern können, wird es mit Sicherheit noch eine ganze Weile dauern.«

Wie viel Intelligenz erkennen Sie derzeit bei Siri?

Die Intelligenz von Siri beschränkt sich derzeit auf das — zuweilen programmiert humorvolle — Beantworten von Fragen des Nutzers und das Ausführen von Kommandos, die man sonst manuell eingegeben müsste — also etwa Kalendereinträge, Erinnerungen, E-Mails, Kurznachrichten, den Wecker und die Navigation. Das wird allerdings geschickt mit individuellem Wissen über den Nutzer kombiniert, sodass der Eindruck eines mitdenkenden Assistenten entsteht.

Kann man Spracherkennungs- oder vielmehr Sprachverarbeitungssystemen die für einen echten Austausch notwendige Intelligenz in mühevoller Handarbeit antrainieren — oder gehört ein eigenständiges Erlernen dazu?

Was die Spracherkennung angeht, lernt ein System wie Siri ständig aus Misserfolgen und Korrekturen, die Apple speichert und für den individuellen Nutzer optimiert. Das ist ein großer Durchbruch für die Spracherkennung. Für die Verarbeitung der Anfragen reicht Handarbeit jedoch nicht aus. Doch der Trumpf liegt in der Verwertung von Internet-Wissen, das sich Siri und ähnliche Systeme erschließen können. Fragt man Siri nach allgemeinem Wissen, liest sie zum Beispiel die Einleitung des passenden Artikels aus Wikipedia vor.

Sind populäre Konkurrenzprodukte wie Ok Google oder Microsoft Cortana schon weiter?

Wie man in diversen Vergleichstest liest, funktioniert keines der Systeme bisher perfekt. Ok Google ist den anderen in Hinsicht auf das Sprachverstehen aber offensichtlich voraus. Dafür nervt Google seine Nutzer schon mal durch unerwartete proaktive Aktionen mit erstaunlichem Insider-Wissen, das es mithilfe etwa von Spracheingaben beim Navi und Standortwechseln sammelt. Wenn zum Beispiel jemand freitags immer zu seiner Freundin fährt, drängt Google Now darauf aufzubrechen, ehe es zum Stau auf der Autobahn kommt. Bei Cortana — und seit dem vergangenen Update auch bei Siri — könnte das ähnlich sein. Der datenschutzbewusste Anwender fragt sich da, was die Unternehmen sonst noch alles mit den gesammelten Daten anfangen.

»Der datenschutzbewusste Anwender fragt sich, was die Unternehmen alles mit den gesammelten Daten anfangen.«

Wie zufrieden sind Sie eigentlich mit der Entwicklung von Siri, seit das System 2011 das Licht der Welt erblickte?

Mit Faktenfragen kommt Siri offenbar ganz gut zurecht und berücksichtigt dabei auch Wissen über den individuellen Nutzer. Aber es gelingt kein kohärenter Dialog über mehrere Anfragen hinweg — der Diskurskontext geht verloren und Siri beantwortet Folgeanfragen wie Einzelanfragen. Da wäre noch einiges zu tun.

Zum Schluss ein persönliche Frage: Wie sieht für Sie die Welt im Jahr 2036 aus — gerade in Bezug auf den Austausch mit Maschinen?

Maschinen, mit denen man sprechen kann, werden zum Alltag gehören — das habe ich im Epilog zu meinem Buch „Menschen, Tiere und Max — natürliche Kommunikation und Künstliche Intelligenz“ schon etwas ausführlicher ausgemalt.

Den vollständige Artikel zum Thema Siri, Computerlinguistik und Künstliche Intelligenz finden Sie in der Printausgabe der Mac Life 09/2016, die ab dem 01. August 2016 im Handel ist.

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Thomas Raukamp
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„I am writing. I hate writing. I love writing. I am writing.“ — Amy Brenneman