Vorwärts zur Einfachheit!

Ein Gespräch mit dem Designer Hartmut Esslinger

Thomas Raukamp
Mac Life

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Mit seinen zum Teil bahnbrechenden Designs gestaltete Hartmut Esslinger das Gesicht von Apple in den Achtzigerjahren entscheidend mit. Ein Gespräch mit dem Visionär anlässlich der Veröffentlichung seines Buches „Design Forward“ über werteschaffende Gestaltung, seine Zeit mit Steve Jobs und Apple als Vorbild eines neuen, kreativen Kapitalismus.

Herr Dr. Esslinger, können Sie sich noch an die Firma Amiga erinnern?

Ja, ich war Mitte der Neunziger mit dem damaligen deutschen Besitzer Manfred Schmitt und seinem Unternehmen Escom in Kontakt und habe mit meiner Firma Frog auch ein paar Designs dafür gemacht.

Zu gern hätte Escom mit dem Amiga ein ähnliches Comeback hingelegt wie Apple später mit dem Mac. Warum gelang einem PC-Vertriebler nicht, was Steve Jobs mit dem iMac schaffte?

Wenn diese ganzen US-amerikanischen Marken einmal tot sind, dann sind sie eben tot. Die werden von irgendwelchen Agenturen übernommen, die sie aber auch nur weiterverkaufen. Dabei hätte der Amiga eine gute Chance gehabt, aber schon Commodore hatte nicht erkannt, dass die Leute zu Hause eben eine bessere Qualität erwarten als im Büro. Die Konsumenten sind letztlich immer schlauer als die Einkäufer der Firmen. So gab es viele gute Marken, Osborne zum Beispiel, Palm oder Atari. Aber wenn man keine Innovation bringt, die eine Resonanz bei den Leuten schafft, verschwindet man einfach mit der Zeit.

Warum ging Steve Jobs diese Innovation im Gegensatz zu vielen anderen scheinbar so leicht von der Hand?

Das ging ihm nicht leicht von der Hand, er hatte vielmehr einen brutalen Job. Nachdem Steve 1985 gefeuert wurde, existierte das ursprüngliche Apple-Modell einfach nicht mehr, seine Nachfolger verbreiterten einfach nur das Angebot. Es gab dann – überspitzt formuliert – einen Mac für Kinder, einen Mac für Hausfrauen, den Profi-Mac und so weiter. Dieses horizontale Marketing war für eine Zeit lang auch ganz effektiv, aber dann fehlte es schlichtweg an der Innovation. Als der damalige Präsident John Sculley ging, hatte Apple zwar zwei Milliarden US-Dollar auf der Bank, aber kein Produkt in der Pipeline – und mit dem Newton einen Flop hinter sich. Steve hat hingegen nur Dinge auf den Markt gebracht, die funktionierten. Er ist keine dummen technischen Risiken eingegangen. Ein Kind musste die Produkte bedienen können: vorwärts zur Einfachheit!

»Steve [Jobs] hat nur Dinge auf den Markt gebracht, die funktionierten.
Er ist keine dummen technischen Risiken eingegangen.«

Lag Steve Jobs in seinen Entscheidungen auch mal falsch?

Na klar. 1982 habe ich ihm ein extrem flaches Macintosh-Notebook entworfen. Er sagte damals: „Das wird niemals jemand brauchen.“ Ich antwortete: „Wir werden sehen!“ (lacht) Er hat’s dann später mit Humor genommen. Steve war authentisch, und wir haben oft konträr diskutiert.

Ein revolutionäres Design, an das 1982 nicht einmal Steve Jobs glauben wollte: das „Snow White“ MacBook (Credit: Hartmut Esslinger & frog team).

Er hat also durchaus gegenteilige Meinungen akzeptiert?

Mehr als das, er vertraute sogar gern. Anfangs fand er zum Beispiel meine Designs ziemlich radikal. Er fragte mich dann häufig: „Meinst du das ernst?“ Und als ich es bejahte, haben wir’s umgesetzt – auch wenn er selbst eigentlich manchmal seine Zweifel hatte.

Interessanterweise war Apple gar nicht das erste Computerunternehmen, für das Sie tätig wurden. Diese Ehre gebührt der deutschen Firma „Computer Technik Müller“ aus Konstanz.

Das stimmt. Deren Gründer Otto Müller hatte damals schon eine recht interessante Karriere hinter sich und kam von Nixdorf. Er war ein kongeniales Genie und verstand sich auf Hard- und Software. Seine Frau Ilse war eine der ersten deutschen Managerinnen. Ich war ein junger Kerl und sah bei CTM viele gute Möglichkeiten. Der erste Entwurf, der CTM 70 von 1972, war im Vergleich zu den „Kühlschränken“ anderer Hersteller schon recht radikal. Wir mussten die damaligen Technologien, wie Kartenlesegeräte und riesige Festplatten, da „hineintricksen“ – aber es funktionierte. Später setzte ich dann mit CTM das erste Netzwerk-Terminal mit ergonomischem Bildschirm und externer Tastatur um. Wir waren Silicon Valley um Lichtjahre voraus. Auch Steve Jobs hat unsere Arbeit bewundert – und es wurmte ihn, dass er sie erst relativ spät kennenlernte. Aber das Valley war eben Provinz.

Sie reden viel von Steve Jobs. Mit Apple-Mitbegründer Steve Wozniak hatten sie scheinbar nicht allzu viel Kontakt.

Doch, er ist ein Supertyp, und ich treffe ihn sogar noch häufig an der Tankstelle, wo er sich über den Verbrauch seiner Autos beschwert. Damals war die Situation aber nicht ganz so einfach, weil sich Steve Jobs auf den Mac konzentrierte und Wozniak befand, dass sein Apple-II-Baby dagegen etwas stiefmütterlich wegkam. „Woz“ war eher ein Techniker, Jobs war extrem ehrgeizig, das gab auch mal Streit.

Ironischerweise war eines meiner ersten Designs für Apple jedoch für den Apple II, weil der Mac damals mehr oder weniger durchgequält wurde. Da waren relativ inkompetente Leute am Werk, die Jobs sogar erpressten und ihm bedeuteten, dass der Mac sich um ein Jahr verzögern würde, wenn Steve meine Designs annähme. Ihre eigenen Entwürfe waren olivfarbene Klötze. Kein Wunder, dass der Mythos um den Mac erst später entstand – die ersten Modelle waren viel zu wenig menschlich. Die Leute haben schon ein Gefühl für Design.

„Design of the Year“ im US-amerikanischen „Time Magazine“ und fester Bestandteil des „Whitney Museum of American Art“ in New York: der Apple IIc (Credit: Hartmut Esslinger & frog team).

Zudem bestand die Firma aus verschiedenen, zum Teil untereinander verfeindeten Abteilungen, die jeweils ihre eigenen Designer beschäftigten. Schlechte Startvoraussetzungen für Sie …

Ja, das klappte überhaupt nicht. Das war ja gerade das Geheimnis des Erfolgs von Steve Jobs: Als er Ende der Neunziger zu Apple zurückkehrte, vereinfachte er das Angebot radikal. Es gab den Mac und später eben den iPod, das iPhone und das iPad. Das sind gerade einmal vier Produktlinien, wobei das iPad quasi auch noch aus dem iPhone hervorging. Dieser Zwang zur Einfachheit konnte nur „von oben“ kommen. Als Steve und Woz jedoch angefangen haben, waren sie jung – und die sogenannten Profis, die sie damals zur Hilfe riefen, verpassten der Firma einfach eine typische US-amerikanische Unternehmensstruktur, die zwangsläufig zur Mittelmäßigkeit führte. Ich habe diese Struktur damals einfach ignoriert, und dafür wollten mich etliche Leute bei Apple feuern.

»Ich habe die Struktur [bei Apple] einfach ignoriert,
und dafür wollten mich etliche Leute feuern.«

Erregt man als europäischer Designer für ein uramerikanisches Unternehmen nicht zwangsläufig Argwohn?

Es gab ja aber kein originäres US-amerikanisches Design. Nahezu alle Designer, die ich anfangs in den USA traf, kamen aus Europa. Der Rest waren Sklaven von Unternehmensmanagern. Allerdings waren amerikanische Produkte aus der Tradition des 19. Jahrhunderts viel praktischer als die europäischen. Ein Farmer aus dem Mittleren Westen der USA interessierte sich eben herzlich wenig dafür, was gerade in Europa schick war. Es war also eher der amerikanische Pragmatismus, der die Gestaltung bestimmte.

Frühe Studien des Apple Macintosh (Credit: Hartmut Esslinger & frog team).

Weitaus mehr Unterstützung erhielten Sie von Apples Programmierern wie Andy Hertzfeld und Bill Atkinson. Auf den ersten Blick nicht unbedingt typische Ansprechpartner für einen Designer, oder?

Trotzdem sind sie innovativ. Bill Atkinson war Landschaftsfotograf und sprudelte einfach vor Ideen nur so über. In mir hat er dann jemanden gefunden, der diese Ideen visualisieren konnte – jenseits von Programmcode.

Was können Entwickler von Designern lernen? Immerhin reicht es heute nicht mehr, nur eine funktionierende Software zu entwickeln. Ideen der Benutzbarkeit und des Oberflächendesigns müssen offenbar schon in die Überlegungen bei der Arbeit am Kern von Apps und Programmen einfließen.

Genau, alle diese Überlegungen müssen schon vorab angestellt werden, genauso wie ein physisches Produkt vorher getestet werden muss. Das Problem mit Benutzeroberflächen ist jedoch, dass Programmierer oftmals meinen, dass sie diese selbst entwerfen können. Daher arbeiten viele User-Interface-Designer letztlich als Dekorateure, die die Unzulänglichkeiten der Programmierer dekorieren. Der Vorteil von Designern ist, dass sie ein anderes Verständnis des Menschen besitzen. Man muss immer mit den Bedürfnissen der Menschen beginnen und diese dann mit der Technik verbinden. Ein Designer muss nicht nur kompetent sein, sondern braucht auch die Liebe zum Menschen.

»Ein Designer muss nicht nur kompetent sein,
sondern braucht auch die Liebe zum Menschen.«

Hat Apple diese Liebe zum Menschen?

Steve hatte sie. Wir haben damals zum Beispiel Kinder den Mac ausprobieren lassen. Der Ausgangsgedanke dabei war, dass wir Computer für Menschen machen wollten, auch für kleine Menschen – wenn ein Kind den Mac bedienen konnte, dann konnte das jeder. Später bei Pixar wurde diese Arbeitsweise beibehalten, Steve war dort selbst oft wie ein Kind. „Toy Story“ war wie eine Befreiung für ihn.

Steve Jobs wurde oft falsch verstanden: Natürlich war er extrem ehrgeizig, aber nur in Hinblick auf seine Produkte, nie aufs Geld. Er wollte, dass die Leute die iPhone-Apps so attraktiv finden, dass sie sie am liebsten vom Bildschirm auflecken würden – so hat er selbst das formuliert. Für ihn stand also der Mensch im Mittelpunkt, das war kein blankes Kalkül. „The Love You Make, the Love You Take.“

Jahrgang 1982: eine Workstation mit doppeltem Flachbildschirm (Credit: Hartmut Esslinger & frog team).

Steve Jobs verstand, dass Designer bereits als Entscheidungsträger bei der Findungsphase eines Produkts mit einbezogen werden müssen. Auch Microsoft stellt bei Windows 8 das Design in den Vordergrund, scheitert damit aber bisher in der Akzeptanz. Ein Widerspruch?

Es gibt schon Unterschiede zwischen den beiden Unternehmen. Es sind verschiedene Faktoren, die über den Erfolg entscheiden, aber Kreativität muss ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Microsoft ist eher mit Mercedes-Benz vergleichbar: Beides sind gute Firmen, in beiden steckt jedoch auch viel Konservatismus. Windows 8 ist aber kein schlechtes Produkt – es stellt einen Neuanfang dar, es ist mutig. Doch es wird seine Zeit brauchen. Der Mac wurde anfangs schließlich ebenfalls als Spielzeug verlacht – selbst intern von John Sculley. Innovation ist immer auch Provokation.

»Innovation ist immer auch Provokation.«

Schaue ich mir Ihre frühen Designs für Apple an – unter anderem ein Tablet und ein Telefon –, dann habe ich den Eindruck, dass Sie und Steve Jobs damals bereits die ganze Zukunft von Apple im Detail geplant hatten.

Unser Plan lief über dreißig Jahre. Es ging nicht nur darum, ästhetisch zu denken. Ästhetik ist lediglich Mittel zum Zweck. Es ging vielmehr um das Ziel, den Inhalt der Marke, also die Vision. Wenn ich eine Vision habe, dann kann ich wie bei einem Filter meine täglichen Aktionen darauf abstimmen. Ich selbst lebe immer ein bisschen der Zeit voraus, das ist mein Job.

Schon 1984 existierte bei Apple die Vision eines Telefons auf Mac-Basis (Credit: Hartmut Esslinger & frog team).

Im dritten Kapitel Ihres Buches „Design Forward“ nutzen Sie Apple als leuchtendes Beispiel für einen neuen, kreativen und am Menschen orientierten Kapitalismus, der auf mehr als auf reinen Profit aus ist. In den vergangenen Monaten und Jahren ist Apple in der Wahrnehmung vieler Menschen aber eher zum Monster des Raubtierkapitalismus mutiert.

Das ist schon eine Ironie. Meine Geschichte ist ganz ähnlich der von Apple und Steve Jobs. Ich war dieser Spinner aus dem Schwarzwald, hatte lange Haare und habe große Reden geschwungen. Dann wurde ich erfolgreich, wurde von einigen als Gefahr angesehen und galt fortan als ehrgeizig und reiner Kapitalist. Dass Apple heute so erfolgreich ist, ist das Ergebnis der Macht der Innovation – und nicht der Dummheit der Menschen.

Wie kann Design den Weg in einen nachhaltigeren Konsum, eine verantwortungsvollere Produktion und eine kreativere Politik ebnen?

Design kann über das Physische hinaus Werte schaffen. Möglichst wenig Material muss möglichst viel Erlebnis und Nicht-Materielles erzeugen. Das Materielle ist immer nur das Vehikel und nicht Selbstzweck. Das wird nicht zuletzt in Deutschland oft nicht verstanden, und deshalb gehen viele Start-ups in die USA. In Deutschland gibt es eine Menge qualifizierter Menschen mit einer Menge Know-how und Geschicklichkeit – und dann nimmt ein feiges Management diese Fähigkeiten erst vom Markt und schickt die Produkte dann nach China, um sie billig zu machen. Man macht die eigene Bevölkerung quasi inkompetent. Albert Einstein hat einmal gesagt: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Ich schließe mich ihm an.

Dr. Hartmut Esslinger …

… ist ein deutsch-amerikanischer Industriedesigner. Noch während seines Studiums an der Fachhochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd gründete er 1969 seine Firma Esslinger Design, aus der später Frog Design hervorging. Einer seiner ersten Kunden war das deutsche Unterhaltungselektronikunternehmen Wega, das später von Sony aufgekauft wurde. Esslinger arbeitete in der Folgezeit für weltweite Marken wie Louis Vuitton, Texas Instruments und Sony, bevor Anfang der Achtzigerjahre Steve Jobs auf ihn aufmerksam wurde. Für ihn entwarf er die „Snow White Design Language“, die Apples Produktdesign fast ein Jahrzehnt lang bestimmen sollte. Esslingers Apple IIc wurde vom US-amerikanischen „Time Magazine“ 1983 als „Design of the Year“ prämiert. Später folgte er Steve Jobs zu NeXT. Hartmut Esslinger ist einer der Gründungsväter der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, von 2006 bis 2011 übernahm er zudem eine Professur für Industriedesign an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Der 1944 in Beuren geborene Designer lebt heute in Silicon Valley, USA.

Hartmut Esslinger, Design Forward | 308 Seiten | 235 Abbildungen | 29,80 Euro | erschienen bei Arnoldsche Art Publishers, www.arnoldsche.com

In seinem Buch „Design Forward“

… erläutert Hartmut Esslinger, wie strategisches Design in Unternehmen und Gesellschaft einen positiven Wandel durch innovative Kreativität bewirken kann. Als entscheidend sieht er dabei die strategisch erweiterte Definition von Design als konvergente und humanistische Koordination von Technologie, Umwelt und Wirtschaft. Da jede Projektion einer Zukunft immer auch auf Geschichte basiert, zeigt Design Forward reich illustrierte Fallbeispiele aus Esslingers Karriere sowie ausgewählte Arbeiten seiner Studenten an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

Original erschienen in „m — Das Magazin“ 02/2013.

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Thomas Raukamp
Mac Life

„I am writing. I hate writing. I love writing. I am writing.“ — Amy Brenneman