35C3 — über Hacker und Haecksen

Anna Leona
MACHT AN
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5 min readDec 31, 2018
Photo by Markus Spiske on Unsplash

“Ich liebe es, wie der Kongress einfach alle für alles feiert.”
Es ist der erste Satz, den ich beiläufig bei meinem ersten Besuch auf dem Chaos Communication Congress (CCC) in Leipzig aufschnappe. Und ich begreife schnell, dass er wahr ist. Es wird für alles applaudiert. Wir klatschen dafür, dass jemand AGB’s gelesen hat. Wir klatschen für denjeingen, der den Hinweis für die französische Übersetzung auf Französisch vorlesen kann. Für jemanden, der ganze Bücher liest. Für jemanden, der gegen die AFD ist. Und dann wird immer wieder spontan und scheinbar grundlos geklatscht, in den großen dunklen Hallen voller Hacker in Klischee-Hoodies, die in Assemblies an langen Tischen sitzen und Systeme hacken. Meistens wissen die Meisten nicht, warum jetzt geklatscht wird. Aber alle klatschen mit. Wahrscheinlich hat jemand ein System gehackt. Könnte aber auch sein, dass grade einfach jemand beim kippeln nicht vom Stuhl gefallen ist.

Es ist ein schönes Miteinander. Ein respektvolles Miteinander. Jeder bringt seine eigene technische Ausrüstung, seine liebevoll gebastelten Projekte und ziemlich viel Bock auf Austausch mit. Der 35. Chaos Communication Congress (35C3) organisiert und finanziert sich auschschließlich über ehrenamtliche Helfer. Über 4.000 Engel haben vor während und nach der Messe mitgeholfen, den Congress zu stemmen.

Und nicht nur die Zahl der Helfer ist beachtlich, auch die Besucherzahlen steigen und machen die einstige kleine Hamburger Hackerrunde von 100 Leuten zu einem charismatischen Massenevent. Der 35C3 hatte in diesem Jahr 16.000 Besucher und auch wenn Stimmen laut werden, dass die stetig wachsende Größe eine Herausforderung für den Klub bedeutet, ist der ursprüngliche chaotische Charme nicht verloren gegangen. Die Besucher flitzen auf mitgebrachten Scootern, Hoverboards und Fahrrädern durch die langen Gänge der Hallen. Die Fahrzeuge werden an allen möglichen Ecken abgestellt, Schlößer sind nicht notwendig. Und wenn dann doch mal ein Scooter unter fremden Sohlen landet wird bei den Vorträgen dann doch nochmal darauf hingewiesen, dass die Dinger Privatbesitz sind und bitte zurück gebracht werden sollen. Wird erledigt. Der Umgang untereinander ist betont lässig und es ist eine ganz eigene Ebene von Humor. Die meisten Witze die Hacker unter sich machen sind für Erstbesucher schwer verständlich. Bei einem Witz war die Pointe “x +1”. Hm, ja, klar!

Während die re:publica in diesem Jahr bereits fast ein 50/50 Verteilung von männlichen und weiblichen Besuchern geschafft hat, ist der CCC eher noch bei einer 2:8 Verteilung. Unter den meisten Hoodie-Kapuzen sitzen männliche Köpfe, die den schöpferisch-kritischen Umgang mit Technologie (Zitat Hackerethik CCC) prägen.

Manfred Koibler, IT- und Netzjournalist, schreibt in einem Artikel im Deutschlandfunk, dass die digitale Zukunft nur aktiv von denen geschaffen werden kann, die sie begreifen. Gehe ich mit. Und da wäre doch ein größerer Frauenanteil auf dem weltgrößten Hackertreffen wünschenswert. Denn bislang regieren auf dem 35C3 Hacker das Feld. Doch nach und nach etabliert sich nicht nur der Begriff der Haecksen, so heißen weibliche Hackerinnen, sondern auch Teilnahme und Veranstaltungen der Haecksen. Und ganz der liberalen Hacker-Einstellung entsprechend, umfasst laut eigener Defintion der Begriff Haecksen auch cis, trans und non-binary Menschen.
Das Ziel der Haecksen ist es, zu aufzuzeigen, dass Mädchen und Frauen ganz selbstverständlich kreativ mit Technik umgehen können und dass das Bild in den Köpfen der Menschen — dass Hacker männlich sind — nicht stimmt. (www.haecksen.org)

Der diesjährige Congress fand unter dem Motto “refreshing memories” statt und soll in “beängstigenden Zeiten von Wissenschafts- und Wahrheitsfeindlichkeit sowie Populismus eine Kultur der Weltoffenheit und Fakten zelebrieren”, erklärt einer der Sprecher des Chaos Computer Clubs Linus Neumann. Und erstmals gibt es neben Einsteiger-tauglichen “Foundation Talks” für Erstbesucher auch ausgewiesene “Memorials”, die Frauen gewidmet werden, die die Computer Technik geprägt haben.
Wie zum Beispiel Ada Lovelace (1815–1852). Die britische Mathematikerin hat den Grundstein für die Programmiersprache gelegt. Die Erfinderin hat fast 100 Jahre vor den modernen Pionieren wie Grace Hopper und Jean Bartnik als erste ein komplexes Programm veröffentlicht.

1843 schreibt Lovelace: „Die Maschine kann [nur] das tun, was wir ihr zu befehlen vermögen, sie kann der Analyse folgen. Sie hat jedoch keine Fähigkeit zur Erkenntnis analytischer Verhältnisse oder Wahrheiten“. Umgangssprachlich postuliert Lovelace hier, dass eine Maschine im Gegensatz zum menschlichen Geist keine Fähigkeit zur Intuition habe und daher nicht zu eigener Erkenntnis befähigt sei. (https://de.wikipedia.org/wiki/Ada_Lovelace)

Es verwundert nicht, wenn man das erste Mal auf den C3 tritt, dass sich deutlich mehr Hacker als Haecksen auf der Leipziger Messe tummeln. Denn wenn man am letzten Tag des Jahres 2018 auf die Zahlen schaut, verraten sie, dass in Deutschland die Lücke zwischen Frauen und Männern beim Thema der künstlichen Intelligenz sehr groß ist: Nur 16 Prozent des Talent-Pools seien Frauen. (https://www.heise.de/newsticker/meldung/WEF-Studie-Gleichberechtigung-in-Deutschland-kommt-kaum-voran-4253308.html)

Da Ada Lovelace bereits im 19. Jahrhundert erkannte, dass die Maschine nicht fähig ist zu eigener Erkenntnis zu kommen, ist es wichtig, dass mehr Frauen maßgeblich an der Entwicklung von künstlicher Intelligenz beteiligt sind. Am Beispiel von Amazons fehlerhafter Bewerbungs-Software, die systematisch Frauen benachteiligte, lässt sich etwas klar Ablesen: Wenn das System ohne die Fragestellung aus weiblicher Sicht entwickelt wird, wird die Maschine diese Frage von selbst nicht aufwerfen. Aber wir wollen und sollen diese Fragen stellen. https://www.heise.de/newsticker/meldung/Amazon-KI-zur-Bewerbungspruefung-benachteiligte-Frauen-4189356.html

Da ich nun langsam in den Ausklang des Jahres 2018 starten möchte, soll an dieser Stelle abschließend nur folgendes erwähnt werden. Ich wünsche mir einen offenen Diskurs über das aktuelle Machtverhältnis von Männern und Frauen sowohl in Tech-Berufen (wie auch außerhalb der digitalen Branche). Es gibt bereits einige Gruppierungen wie zum Beispiel Women in AI (https://womeninai.co/), die die Lücke der Frauen in Tech-Berufen schließen möchten. Doch es muss mehr Frauen geben, die nicht nur die Programme für die Maschinen schreiben, sondern auch die Fragen stellen, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz beantwortet werden sollen.

Der CCC ist ein Ort, an dem Zukunft gestaltet wird und über das Prinzip Trial and Error an technologischen Lösungen für noch nie dagewesene Problemstellungen gearbeitet wird. Wichtig bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz ist es, diese diskriminierungsfrei zu programmieren. Und das bedeutet, dass nicht nur eine männliche, sondern auch eine weibliche Sichtweise in die Programmierung einfließen muss. Der Kongress feiert alles, was auf der Messe passiert. Vielleicht wird ja nächstes Jahr noch mehr für Frauen geklatscht, die ihre Sichtweise in den schöpferisch-kritischen Umgang mit Technologie einbringen.

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