Einer von Vielen.

Blurred Lines: Über die Neukonstruktion des Bildes der Macht.

Levke
MACHT AN
3 min readDec 3, 2018

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Beim Durchblättern der t3n – das Magazin für digital pioneers, fallen zwei Dinge auf: Der Großteil aller abgebildeten Personen ist geschätzte 35 Jahre alt und: niemand trägt Anzug oder Kostüm. Stattdessen Shirts in gedeckten Farben, Sneaker, Jeans, ein Herr in kurzer Hose ohne Schuhe (Berliner Start-up, S. 92) und ein Geschäftsführer ohne Krawatte auf S.84. Ein konservativeres Bild dagegen im manager magazin, doch auch hier fällt die Abwesenheit der Krawatte bei beispielsweise Bayer-Chef Werner Baumann (56) ins Auge (S.29), der sein Hemd auch noch gleich durch einen Rollkragen-Pullover ersetzt oder Mark Klein (47), CDO der Munich Re (S.60).

Sein Namensvetter, Mark Zuckerberg, tritt, wenn er nicht gerade vor Gericht sitzt, leger in T-Shirts und Kapuzenpullis auf, wie schon Steve Jobs im Rollkragen-Pullover. Oder Elon Musk, dessen ständiger Begleiter das schwarze T-Shirt ist. T-Shirt, Hoodie— sind das die Statussymbole in Zeiten der Digitalisierung?

Photo by davide ragusa on Unsplash

Der Soziologe Georg Simmel erklärte einst, dass Mode “reine soziale Motivation” sei, was er unter anderem an der Zufälligkeit ihrer Gestaltung ausmachte, und hob sowohl Nachahmung als auch Unterscheidung als soziale Bedürfnisse in Gruppen hervor. Simmel führt dabei allerdings aus, Wandel passiere von oben nach unten:

„Sobald die unteren sich die Mode anzueignen beginnen und damit die von den oberen gesetzte Grenzmarkierung überschreiten, die Einheitlichkeit in dem so symbolisierten Zusammengehören jener unterbrechen, wenden sich die oberen Stände von dieser Mode ab und einer neuen zu, durch die sie sich wieder von der breiten Masse differenzieren.“ (Simmel, S.184)

Das ist mittlerweile komplizierter geworden. Im Jahr 2018 spielt nicht mehr nur das Unten und das Oben, also Status-Unterschiede verschieden hoher gesellschaftlicher Schichten eine Rolle, sondern auch die auf gleicher Höhe. Der Silicon Valley-Hoodie ist so gleichermaßen Symbol für visionäre Technologie, junge Gründer/innen, wie New Work geworden. In Simmels Gedanken: Das T-Shirt sorgt für Distinktion. Trägt CEO Elon Musk (geschätztes Vermögen ca. 22,5 Milliarden USD) also T-Shirt, ist das als elitäres Symbol innerhalb einer der höchsten Machtstufen zu werten, und nicht unbedingt als Anbiederung an den US-Normalbürger. Er kann halt, wäre zu kurz gegriffen.

Die Hoodie-Elite

Besonders interessant ist die Rolle des Hoodies im Kontext des Kapitalismus. 2008, während der Weltwirtschaftskrise bei der unzählige kriminelle Machenschaften mit Unsummen aufgedeckt wurden, gab es bereits ein idealistisches Weltverbesserungsszenario, das trotz Milliarden zu funktionieren schien: Das Silicon Valley. Die Start-up-Genies sahen im Gegensatz zu den Bänkern im Anzug schräg aus und hatten ihre Unternehmen mit moralischen Ansprüchen “Don’t be evil!” (Verhaltensgrundsatz bis 2018 bei Google) klug positioniert. Diese Start-ups nivellierten Hierarchien und strahlten den Aufbruch in die Digitalisierung aus. Das zeigten auch die zugehörigen Leader, die sich persönlich nichts aus den üblichen Statussymbolen, wie dicken Uhren und Maßanzügen zu machen schienen und sich stattdessen wie ihre Mitarbeiter in den Tüftelwerkstätten kleideten und anfingen Elektroautos zu fahren.

“Die Gegenstände der Mode, als die Äußerlichkeiten des Lebens, ganz besonders dem bloßen Geldbesitz zugänglich sind, und in ihnen deshalb die Gleichheit mit der oberen Schicht leichter herzustellen ist als auf allen Gebieten, die eine individuelle, nicht mit Geld abkaufbare Bewährung fordern” (Simmel, S.192)

Die Zeit der Statussymbole–vorbei?

Wohl eher weniger. Nur schmückt man sich in heutigen Zeiten mit Stellvertretern für Dinge, die man sich nicht kaufen kann: Innovationsgeist, Umweltschutz, Vertrauen. Vielleicht kann man sogar behaupten, die klassischen Statussymbole wurden durch noch mächtigere ersetzt: Die Abwesenheit dieser. T-Shirt vor seinen Aktionären tragen zu können– das Vertrauen muss man erstmal haben.

Der Artikel bezieht sich auf das manager magazin 11/2018 und die t3n Ausgabe Nr. 53. Es wird sich außerdem auf die Essays “Philosophie der Mode” von Georg Simmel (1905) bezogen.

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