Formlosigkeit als Strategie

Ben Kinder
MACHT AN
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4 min readDec 3, 2018

Es heißt “Krieg sei nur die Weiterführung der Diplomatie mit anderen Mitteln”. Wenn das Argument nicht mehr verfängt, es keine Möglichkeit mehr gibt verbal oder wirtschaftlich aufzurüsten, bleibt als letztes Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen der militärische Zwang. Das Niederringen des Gegners durch physische Gewalt. Der Militärtheoretiker Carl von Clausewitz sagte hierzu: “Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.” (Clausewitz: Vom Kriege, Buch I, Kapitel 1, Abschnitt 2). In der europäischen Kultur wird militärische Macht vornehmlich durch Überlegenheit und Stärke definiert.

Sunzi — 吴司马孙武

Auf der anderen Seite gilt in der chinesischen Kultur die List als Ausdruck von Überlegenheit. So sagt der chinesische Altmeister der Kriegskunst Sunzi (oder auch Sun Tse) in seinem Werk “Die Kunst des Krieges”, dass die größte Leistung darin besteht, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen.

Natürlich wurde auch in europäischen Kriegen die List als Werkzeug angewandt, im Grunde entspringt sie in unserem kulturellen Kontext aber einem Moment der Schwäche, sie wird nur dann benutzt, wenn die Vernichtung des Gegners durch militärische Überlegenheit nicht zu bewerkstelligen ist. In der chinesischen Kultur ist die List dem bewaffneten Konflikt vorzuziehen und ein Zeichen von Überlegenheit und Führungsstärke. Die List ist keine bewaffnete sondern eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Gegner.

Sunzi bedient sich hierzu eines weiteren Bildes. Er sagt, dass die wahre Kraft das Wasser sei welches den Fels bewegt. So weit — so nicht neu! Auch bei uns existieren ähnliche Vorstellungen, wie zum Beispiel das Sprichwort “Steter Tropfen höhlt den Stein”. In unserem allgemeinen Verständnis geht es hierbei um Ausdauer und Stetigkeit — Sunzi meint jedoch etwas Anderes, denn eigentlich trifft in dem Bild vom Wasser welches den Stein bewegt Fluides auf Festes und letztlich siegt das Geschmeidige und Formlose über das Starre und Harte.

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Der Stein steht sinnbildlich für eine starke Panzerung, für eine Lebensweise die auf Schutz ausgerichtet ist und auf die Bewahrung des Status-Quo. Gesellschaften können solche Schutzpanzer ausbilden aber auch einzelne Individuen.

Ein Paradebeispiel aus der Geschichte ist die spartanische Kultur. Den Spartanern ging es darum die stärksten und mutigsten Krieger auszubilden um ihren Feinden militärisch überlegen zu sein und eine maximale Drohkulisse für potentielle Aggressoren aufzubauen. Den Spartanern war jeglicher Genuss untersagt. Es existierte nur strenge Disziplin und die Ausbildung für den Kampf . Dieser Doktrin ordneten sie alles Andere unter und Erstarrten. Den Gegenpol zu Sparta bildete die Kultur des Stadtstaates Athen. Den Athenern ging es nicht um die Bewahrung des Status-Quo sondern um Prosperität. Athen war offen für Einflüsse von außen und entwickelte sich als Gesellschaft stetig weiter. Diese Wandelbarkeit führte schließlich dazu, dass Athen über Sparta triumphierte auch wenn es diesem zuerst militärisch unterlegen war. Der “Tropfen” den die Athener nutzten um den “Stein” Spartas auszuhöhlen, war ihre Flexibilität sich vorerst in die militärische Niederlage zu fügen, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen und Sparta langsam durch hohe Geldzahlungen und die damit einhergehende Korrumpierung der Gesellschaft zu schwächen.

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Dem Geld, so sagt Robert Greene in seinem Buch Power, “wohnt etwas chaotisches inne” und daraus bezieht es seine große Macht. Es wirkt so effizient durch seine Formlosigkeit. Es wirkt im Stillen, zersetzend. Es lockt mit Luxus, persönlicher Freiheit und findet seinen Weg zu jedem Einzelnen durch ein individuelles Heilsversprechen. Geld wirkt formlos, da es sich wie das Wasser seiner Umgebung anpasst. Geld kennt keine Verhaltensmuster und infiltriert ein System auf unvorhersehbare Weise. Als starre Gesellschaft, durch seine äußere und innere Panzerung, durch die Unterdrückung von Affekten und Wünschen seiner Bürger gelähmt, hatte Sparta dem Nichts entgegenzusetzen.

In Sparta kamen zwei negative Effekte zusammen. Die Erstarrung der Gesellschaft spiegelte sich in der Panzerung jedes Einzelnen und vice versa. Denn auch einzelne Individuen können in eine reine Verteidigungshaltung verfallen und mit der Zeit starre Schutzpanzer ausbilden. Der Psychonalalytiker und Soziologe Wilhelm Reich sprach von einer “charakterlichen Panzerung” die eine Person zwar unempfindlicher gegen Äußere Umstände und innere Affekte macht aber auch dazu führt, dass das Ich unbeweglicher und starrer wird.

Geschmeidig und formlos zu sein, bedeutet hingegen akzeptiert zu haben, dass es keine Wahrheit, keine Stabilität und keine “ewige Ordnung” gibt — dass sich Alles verändert und Nichts für immer ist. Diese Akzeptanz ermöglicht auch sich einer Verhärtung des Charakters entgegenzustellen und sich im Alter gegen die Verfestigung des Handelns und Denkens zu erwehren.

In einem Klassiker des Daoismus dem Huainanzi heißt es: “Nur das Formlose bleibt von Allem unberührt” und daß die “Weisen” im Formlosen wirken. Wie kann aber eine einzelne Person im Formlosen wirken? Adam Greene sagt hierzu:

Für das Streben nach Formlosigkeit ist die wichtigste psychische Voraussetzung, daß sie nichts persönlich nehmen.

Durch diese Fähigkeit wird vermieden sich in die Defensive zu begeben. So ist es möglich indirekt und ungreifbar für seinen Gegner zu bleiben. Darüber hinaus sind die Fähigkeit zur Anpassung und eine flexible Ideologie äußerst hilfreich keine Angriffsflächen zu bieten. Wird keine klare Position bezogen, ist es auch viel leichter Andere gegeneinander auszuspielen.

In der Führung ist die “Formlosigkeit” ein strategisches Mittel, eine Pose. Die Formlosigkeit ist deshalb ein so starkes Mittel, da sie nach außen hin unfaßbar bleibt und somit viel Platz für den geeigneten Moment der Überraschung lässt. Denn es gibt durchaus Momente an denen es Zeit ist diese Pose aufzugeben, der vermeintlichen Positionslosigkeit Struktur zu geben und aus einer starken Stellung heraus mit Konzentration, Willen und Schnelligkeit Gestalt anzunehmen und die gewünschte Veränderung herbeizuführen. Nur um darauf wieder in unberechenbare Formlosigkeit zu verfallen.

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