‘Gouache’ by Peter Fritz Walter (1987)

Am Anfang war das Programm

Muss man an etwas glauben, um zu beten?

Peter Fritz Walter
6 min readJun 28, 2014

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Die Frage scheint provozierend, aber so ist sie nicht gemeint. Die meisten Leute sind wirklich der Ansicht, wer bete, müsse gläubig sein, also an irgendetwas glauben. In Wirklichkeit ist es jedoch so, dass nicht nur das Gebet aus dem Glauben, sondern auch Glaube aus dem Gebet folgt. Um es überspitzt zu formulieren: Wer wahrhaft glaubt, braucht nicht zu beten.

Nun aber werden viele sagen, dass beten doch sinnlos sei, wenn man an nichts glaube. Dem ist aber nicht so. Wenn wir essen, glauben wir, dass das, was wir essen, uns gut tut, unseren Körper nährt. Davon abgesehen, dass die meisten von uns ignorieren, dass wir mit jeder Nahrung nicht nur unseren Körper, sondern auch unseren Geist ernähren, ist auch dieser Glaube ein solcher, der uns kaum bewusst ist.

Wir glauben, ohne zu wissen, dass wir glauben. Wir glauben auch, dass wir morgen noch leben. Denn sonst würden wir nie Pläne machen, die über heute hinausreichen. Wir glauben, dass, wenn wir uns verletzt haben, die höhere Intelligenz, die am Ursprung allen Lebens steht und die alles leitet, uns wieder heilt.

Wir Glauben Viel Mehr, Als Wir Ahnen
Es ist unsere glaubensfeindliche und einseitig linkshirnig–geradlinig orientierte Kultur, die uns glauben macht, wir hätten den Glauben verloren. Doch ehrlicherweise sollten wir uns zugestehen, dass wir ohne Glauben nicht, oder jedenfalls nicht glücklich und gesund, leben können. Ohnehin wissen die einigermaßen bewussten unserer Zeitgenossen, dass unsere Kultur auf Paradigmen beruht, die der Natur zuwiderlaufen und die daher einer Korrektur bedürfen.

Durch die Selbstprogrammierung reinigen wir unser Unterbewusstsein von falschen Informationen, nämlich solchen, die den Gesetzen der Natur widersprechen. Eine dieser sehr subtil vermittelten Botschaften ist die, dass derjenige, der an eine Art von höherer Kraft glaubt, ein »schwacher« Mensch oder »kein Mann« sei. Diese Ansicht ist eine Illusion, die auf Stolz beruht. Sie ist eine der Grundanschauungen einer ganzen Kultur, die nicht auf Mutter Erde gegründet ist, sondern sich gleich dem Turm zu Babel linear-geradlinig in den Himmel bewegen will.

Evolution ist Spirale, nicht Linie
Die Spirale ist die Form, die den Kreis und die Linie miteinander vereinigt und die damit das Gleichgewicht herstellt zwischen Ruhe (Kreis) und Bewegung (Linie). Die Spirale ist periodische, systemische und zyklische Entwicklung, im Einklang mit den Gesetzen des Lebens. Die Linie ist ein vom linkshirnigen Menschen geschaffenes artifizielles Mentalprodukt. Sie kommt in der Natur nicht vor.

Die bei dauerndem Fortschreiten kreisförmige Bewegung der Spirale zeigt, dass sie ihren Urgrund, ihre Wurzel, ihre Vergangenheit gewissermaßen, immer mit sich trägt, doch jedes mal auf ein höheres Niveau transponiert. Die Linie hingegen verlässt ihre Wurzel, und verleugnet ihre Vergangenheit, ihren Ursprung. Wahre Evolution, sei es nun in der Natur, oder in der Kultur, verläuft immer spiralförmig und nicht linear.

Befreit nun, wenn ich so sagen darf, von linearen Denkformen, findet der Mensch ganz von selbst zum Glauben. Und es gibt kein besseres Mittel als das Gebet, unser Unterbewusstsein von solch linearem und strikt teleologischem Denken zu befreien. Teleologisches Denken ist rein kausal und gründet sich auf die alte Maxime des do ut des. Doch das Gesetz des Lebens, das Gesetz der Liebe ist weder kausal, noch auf gibst-du-mir-gebe-ich-dir gegründet. Es ist nicht teleologisch, nicht final, sondern sozusagen bloss seiend, oder existentiell.

Es ist nicht kausal, sondern jenseits aller Kausalität. Kausalität ist lineares Denken, auf die Zeit bezogen. Doch Wahrheit ist unzeitlich und unkausal. Jung würde sagen synchronistisch. Wenn alles gleichzeitig oder synchron ist, ist Zeit aufgehoben.

Das Schöpferprinzip, als das Jenseits–der–Zeit, Jenseits–des–Raumes, Jenseits–der–Kausalität, Jenseits–der–Ratio, Jenseits–aller–Denkkategorien stehende, kann nicht mental »erfasst« werden. Und doch tragen wir es in jeder Zelle mit uns mit, da alles, die gesamte Schöpfung, wie wir heute auch »wissenschaftlich« wissen, in der kleinsten Einheit dessen, was ist, hologrammartig aufgezeichnet ist. Alles, was wir also »wissen« von diesem Jenseits–des–Denkens, ist, dass wir es nicht wissen. Dies ist die beste, wenn nicht die einzige Vorraussetzung für den Glauben.

Es ist dies sozusagen der ideale Boden, auf dem Glauben gedeihen kann. Daher ist der am gläubigsten, der am meisten weiß. Einstein bewies es. Er sagte, dass der, der wenig wisse, sich von Gott entferne, der aber, der viel wisse, wieder zu Gott zurückfinde. Oder, um ein anderes Bild zu gebrauchen, ein Bild aus der Weisheit des Zen: der Zen–Schüler, der mit der Initiation begonnen hat, hält zunächst einen Berg nicht mehr für einen Berg. Wird er aber Meister, so sieht er einen Berg wieder als einen Berg.

Wenn wir beten, erkennen wir, um beim Bild zu bleiben, dass der Berg uns nicht sichtbar ist, dass wir ihn, angesichts unserer mentalen Verirrung eigentlich nicht für einen Berg halten. Aber wir tun einfach so, als sei er ein Berg: etwas für uns Sichtbares, Begreifbares. Viele reden zu Gott, mit Gott, und wissen doch, dass dies eine Illusion ist. Doch bedürfen wir dieser Illusion eigentlich nicht. Wenn wir die Existenz einer spirituellen, unsichtbaren Kraft für möglicher halten als ihre Nichtexistenz, so haben wir einen rationalen Boden bereitet für unseren Glauben.

Angesichts dessen können wir wahrhaft wie Kinder beten. Denn der Zustand der Gnade und der der Kindheit haben gemeinsam, dass sie Fließen erlauben, welches auf so etwas wie «une heureuse insouciance» beruht. Das Heraklit’sche Alles fließt ist die vielleicht höchste und reinste Glaubensäußerung, wenn sie auch wohl selten als solche gesehen wurde.

Das Gebet führt zu dem, was man als Normalzustand bezeichnen könnte: das harmonische Gleichgewicht zwischen Ratio und Affekt, zwischen Wissen und Glauben, zwischen männlich–gebendem (yang) und weiblich–empfangendem Prinzip (yin), zwischen hoch und tief, gut und schlecht, positiv und negativ, weiß und schwarz, und überhaupt allem Dualismus im Denken. Es stellt vollkommene geistige und physische Gesundheit wieder her. Denn diese ist, auch sie, ein Zustand des Gleichgewichts der sich im Dualismus polarisierenden Lebensenergie.

Das Gebet, das durch die Energie eines reinen Glaubens an die Macht und Gutheit der eigenen Bestimmung als Ausdruck kosmischer Intelligenz gespeist wird, bedarf weder irgendwelcher Bilder, Dogmen, Religionen, noch Kultstätten. Es ist eine Art von täglichem Ritual, ein ganz bewusstes und willentliches Programmieren unserer Interface mit dem Kosmos.

Warum Positive Affirmationen Heilen
Das Gebet heilt uns von negativen Gedankenformen, von allem inneren Müll, den Ängsten und Zweifeln, die unser freies Vorangehen im Licht, in der Erfüllung all unserer Wünsche beeinträchtigen und hemmen. Ist unser Geist einmal heil, wird es unser ganzes Sein, innen und außen. Die wirkungsvollste Art des Betens ist die, sich vorzustellen, dass das, um was wir beten, bereits erfüllt ist.

Viele von uns blockieren sich gegen das Beten um Erfüllung persönlicher Wünsche. Es wurde ihnen von Kind an eingehämmert, man müsse sich »opfern« für Gott und die Welt und das Leben sei »ein Leid« und für den es nicht so sei, der sei ein Schwindler oder »Weltmensch«, und so fort.

Diese Philosophie des Masochismus, mit der man Generationen von Kindern zu lenkbaren Sklaven dressiert hat, löst sich von selbst auf, in dem Masse, in dem wir uns der unerschöpflichen Liebe und Fülle des Universums bewusst werden und alle Gaben, die nur darauf warten, unser Leben zu bereichern und zu verschönern, anzunehmen bereit sind.

Wir sollten uns immer vergegenwärtigen, dass, wenn wir unser Leben universeller Lenkung unterstellen, auch unsere Wünsche und Verlangen für uns und alle Wesen benefiziell sind: Aufrufe zur Evolution, zur Veränderung, zum Voranschreiten in der Realisierung unserer individuellen Lebensaufgabe. Wir brauchen uns nur selbst treu zu sein und das, was wir innerlich für richtig halten, auch im äußeren Leben zu leben und zu vertreten.

Nichts ist leichter als das Erstellen einer solchen Wunschliste; aber für manche Menschen ist nichts schwerer als das. Warum? Weil sie sehr vielseitig sind, hundert Projekte gleichzeitig realisieren möchten und ihnen so viele Dinge im Leben wichtig erscheinen, dass sie sich kaum festlegen wollen auf das eine oder das andere. Solchen Menschen rät man gemeinhin, sich auf eine Sache oder Interessengebiet, zu konzentrieren. Indessen ist dies leicht gesagt, doch sehr schwer für die Betreffenden zu realisieren. Denn seine Natur kann man nun einmal nicht ändern. Intelligenter ist es wohl, solchen Menschen Realisierungsmöglichkeiten aufzuzeigen, in denen sich mehrere oder mindestens zwei ihrer Interessengebiete miteinander kombinieren lassen.

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