Ein hoher Preis für kostenfreie Dienstleistungen?

Ein Plädoyer für die Regulierung von Internetplattformen

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Von Volker Wulf

Wenn in den USA jemand für ein öffentliches Amt kandidiert, wird sein Leben von den Medien komplett auseinandergenommen. Dazu gehören auch Fotos, Texte und andere Inhalte, die derjenige vor Jahren auf sozialen Netzwerken geteilt hat. Mit 19 auf einer Party betrunken herumgealbert? Plattformen wie Facebook wissen das immer noch. Wenn Kandidaten für ein politisches Amt gar keinen Überblick mehr darüber haben, wer alles Daten über sie sammelt, werden Wahlen dadurch manipulierbar und unvorhersehbar.

In Deutschland sind die Medien noch nicht ganz so extrem, dass bei einem Wahlkampf jedes noch so kleine Fitzelchen an privaten Informationen an die Öffentlichkeit gezerrt wird. Aber wir sind auf dem besten Weg dahin.

Deshalb müssen Internetplattformen wie Google, Facebook, Amazon und andere unbedingt stärker auf multinationaler Ebene reglementiert werden. Individuen können die Auswirkungen ihrer persönlichen Daten im Internet nicht einschätzen. Da Internetplattformen häufig quasimonopolistische Strukturen aufweisen, haben die Nutzer auch nicht die Wahl.

Google, Facebook etc. stellen ihre Dienstleistungen kostenlos zur Verfügung. Ihr Geschäftsmodell basiert aber darauf, dass die Benutzer mit ihren persönlichen Daten für diese Dienstleistungen bezahlen. Diese Daten nutzen die Internetplattformen für die Manipulation des Verhaltens der Nutzer. Die aktuell gängigste Form der Verhaltensmanipulation ist die kundenspezifische Platzierung von Werbung am Nutzerinterface. Aber wir wissen auch, dass Wahlkämpfe in verschiedenen Staaten bereits mittels Social Media Plattformen manipuliert worden sind. Die Verhaltensmanipulationen funktionieren natürlich viel zielgenauer und weitreichender, je mehr Daten die Unternehmen über uns gesammelt haben.

Damit das Geschäftsmodell richtig aufgeht, werden personenbezogene Daten von uns aufgezeichnet — und längst nicht nur die, die wir freiwillig in die jeweilige Plattform eingeben. Wer hat sich noch nie darüber gewundert, wenn er an einem Tag nach einem neuen Couchtisch im Internet gesucht hat und am nächsten Tag wie aus heiterem Himmel auf einmal eine entsprechende Werbeanzeige bei Facebook angezeigt bekam.

Es ist völlig undurchsichtig, welche Daten von Facebook und anderen sozialen Netzwerken von den Rechnern der Nutzer aufgezeichnet werden, wie diese Daten mit weiteren aus anderen Quellen angereichert werden, wie mit diesen Daten gehandelt wird und wem dann alles zugänglich gemacht wird. Spätestens seit den Enthüllungen Edward Snowdens wissen wir, dass auch die US-Geheimdienste Zugang zu diesen Datensammlungen haben. Wer sonst noch, weiß keiner.

Deshalb muss der Umgang von Social-Media-Unternehmen mit den Daten ihrer Nutzer unbedingt strikter gesetzlich geregelt werden — am Besten transnational. Es ist Besorgnis erregend, dass in China künftig das Verhalten der Bürger digital erfasst, bewertet und dann belohnt werden soll. Oder eben auch bestraft. Es ist aber offensichtlich, dass die Geschäftsmodelle der Internetunternehmen aus dem Silicon Valley auf den gleichen zentralisierten Datenarchitekturen basieren wie die Plattformen in diesem eher totalitären Regime. Diese Datensammlungen gefährden jede Form von demokratischer Grundordnung. Die EU-Datenschutzgrundverordnung ist ein guter Anfang, die gesetzlichen Regelungen müssen aber noch viel weiter entwickelt werden.

Es ist wichtig, dass wir einen öffentlichen Diskurs darüber starten, was mit unseren Daten passiert. Europa ist prädestiniert dafür, die Diskussion um die Regulierung der Internetplattformen anzustoßen. Denn in den USA ist der Druck viel zu groß, die wirtschaftlichen Interessen von großen Konzernen wie Google und Facebook etc. nicht zu beschneiden. Außerdem ist das Konzept von Privatheit in den USA ein ganz anderes, als in Europa. Deswegen ist es dort noch viel verbreiteter, sein ganzes Leben auf Facebook zu veröffentlichen. Die Geschäftsmodelle der Verhaltensmanipulation mittels personenbezogener Daten haben in den vergangenen 20 Jahren massiv an Fahrt aufgenommen. In ihrem kürzlich erschienen Buch bezeichnet die emeritierte Harvard Professorin Shoshana Zuboff dieses Phänomen ‚Surveillance Capitalism‘ (Überwachungskapitalismus). Es ist höchste Zeit, den Überwachungskapaitalismus einer angemessenen Regulierung zu unterwerfen.

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Sozio-Informatik: Matters of our concerns
Matters of Our Concern.

The account of the research group for socio-informatics at the University of Siegen, Germany.