Nahkampf gegen Fake News

Lösungsansätze mit Journalisten

MTM
Medientage Mitteldeutschland
4 min readMay 6, 2019

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Von Juliane von Reppert-Bismarck

Theoretisch scheint es die perfekte Lösung. Wenn Plattformen wie Facebook und Google zugelassen haben, dass Falschmeldungen, Fake News und Desinformation unsere Bildschirme überfluten und unsere Meinungen langsam aber sicher unwiderruflich färben, dann ist es sicherlich ihre Verantwortung, dem Chaos Einhalt zu gebieten, den politischen Diskurs wieder in ordentliche Bahnen zu lenken — und zwar mit Hilfe cleverer künstlicher Intelligenz und einer wachsenden Armee von Fakten-Checkern und Content-Moderatoren. Vor allem jetzt, vor den anstehenden Regional- und Europawahlen, scheint diese Priorität besonders dringlich.

Im letzten Jahr allein haben sich die Initiativen zur Bekämpfung des “Fake-News”-Phänomens vervielfacht. Die großen Social-Media Plattformen investieren zunehmend in Verifikationssysteme; eine Initiative der Europäischen Kommission zur Selbst-Regulierung der Plattformen bewegte Facebook im vergangenen Herbst — wenn auch begrenzt — dazu, Licht auf das sonst streng verschlossene Uhrwerk seiner Programmierschnittstellen (APIs) zu werfen. Und eine wachsende Zahl von Regierungen weltweit debattiert, ob und wie die Plattformen zu regulieren sind.

Aber was ist, wenn all dies nicht reicht, um das Fake-News Phänomen zeitnah zu bremsen? Was, wenn Algorithmen, Web-Crawler und Fakten-Checker nicht ankommen gegen immer geschicktere Verflechtungen von Wahrheit und Lüge, oder Falschmeldungen von Content-Moderatoren gar nicht mehr aufgefasst werden können? Was, wenn Initiativen der Zensur bezichtigt werden? Und was, wenn Falschmeldungen an sehr junge Menschen gelangen, die sich jenseits von erwachsener Aufsicht im Netz informieren und sich ein dauerhaftes Weltbild zusammenstückeln?

Mark Zuckerberg’s Versprechen im Frühjahr ein „digitales Wohnzimmer“ zu schaffen, unterstreicht den Trend, dass Information — und Desinformation — immer unsichtbarer kursieren; über private Chatgruppen wie die von Whatsapp, Snapchat, Instagram und Tiktok. Google räumt immer wieder ein, dass die Prävalenz auf Youtube von politisch polarisierenden und Emotionen aufbauschenden Inhalten aus algoritmentechnischen sowie aus Gründen der Meinungsfreiheit weiterhin schwer anzugehen ist. Falschmeldungen kursieren auch gar nicht mehr vorrangig während der Wahlkampfsaison oder in sensationellen „data dumps“ wie die von Wikileaks, sondern fast unmerklich und tröpfchenweise.

Dazu gesellt sich ein sich weitender digitaler Graben, der die Informationswelten von jungen Menschen und Erwachsenen radikal trennt. Dies erschwert die Vermittlung von Kenntnissen und Quellenkritik und riskiert die Polarisierung der kommenden Generation von Bürgern und Wählern. Unsere eigenen Kontakte mit Schülern und Schülerinnen weist zudem auf, dass sich vor allem unter Jugendlichen eine Langeweile zum Thema „Fake News“ anbahnt — eine „Fake Fatigue“, in der immer unzuverlässiger scheinende Tatsachen durch persönliche Meinung ersetzt werden. Wo der Großteil einer Gruppe von 680 Schülern in Mecklenburg-Vorpommern im Alter von Zehn bis Elf und 14 bis 15 aussagte, dass sie sich regelmäßig auf vier bis fünf Plattformen bewegten, fühlte sich mehr als die Hälfte ihrer Lehrer unsicherer in der digitalen Welt.*

Dies ist alles sehr verdrießlich. Aber die Lage ist längst nicht hoffnungslos. Der Kampf gegen Desinformation erfordert grundsätzlich ein Vertrauen in und Wertschätzung von Fakten. Eine Studie der Yale University legt nahe, dass wir im Kampf gegen politisch und finanziell motivierte Falschmeldungen weniger auf ihr Entlarven zählen sollten als auf ein Stärken des Vertrauens in legitime Nachrichtenquellen. Der Psychologe und Wissenschaftler Stephan Lewandowsky ermittelt seit dem Krieg im Irak darüber, dass gesunde Skepsis nützlicher ist als Korrektur. Denn während sich niemand gerne übers Ohr hauen lässt, gesteht auch niemand gerne im Nachhinein einen Irrtum ein. Und während die finanzielle Krise des Journalismus dem Vorwurf der „Lügenpresse“ dient, so zeigt die Erfahrung der Journalisten, die mit Lie Detectors in Klassenzimmer gehen, dass die Vermenschlichung des Journalismus seine Vertrauenswürdigkeit — und die Glaubwürdigkeit der durch den professionellen Journalismus recherchierten Tatsachen — erheblich stärken kann.

Ein spielerischer und auch politisch neutraler Ansatz ist wichtig, wenn Nachrichtenkompetenz für alle zugänglich sein soll. Das Vermitteln von Werkzeugen und Methoden zur Verifizierung sind bei jungen Menschen mittlerweile wichtiger als Warnungen vor Falschmeldungen. Es gibt zunehmend Medien- und Nachrichtenkompetenzinitiativen für junge Menschen, die das tun: zum Beispiel das kürzlich ins Deutsche übersetzte und wunderbar spielerische getbadnews.com, das Ratespiel factitious.com, oder das oft im Rahmen des Geschichtsunterrichts eingesetzte Anti-Propaganda Projekt „Mind Over Media“. Auch OECD und UNESCO entwerfen neue Lehrmaterialien. Aber auch diese Initiativen stoßen auf Hürden, denn wer soll sie in den Unterricht einbringen, wenn sich Lehrer von der Materie oft überfordert fühlen?

In der Zwischenzeit sind Journalisten unabkömmliche Beteiligte und Antreiber in der Stärkung der allgemeinen Medien- und Nachrichtenkompetenz, und der Vermittlung von Quellenverifizierung, die das tägliche Brot dieses Berufs ausmachen. Das bedeutet nicht nur, dass der Journalismus weiterhin gewissenhaft betrieben werden und womöglich in Fakten-Check-Sparten investieren sollte. In der Vermittlung von Wahrheit muss er auch seine eigene Begrenzungen ansprechen — nur so können Leser, Zuhörer und Zuschauer hoffen, den Unterschied zwischen absichtlicher Verzerrung und Manipulation im Netz und vielleicht fehler- oder lückenhaftem, aber dennoch legitimen Journalismus zu verstehen. Und wo immer möglich, sollten sich Journalisten und Redakteure Zeit nehmen, diesen komplexen Beruf zu vermenschlichen, in dem sie ihre Erfahrungen fern von Bildschirm und Redaktion mit ihrem Publikum teilen.

Nachrichtenkompetenz ist kein Ersatz, aber eine notwendige Ergänzung für die vielen wichtigen Initiativen zur Bekämpfung von Online-Desinformation. Wenn junge und erwachsene Menschen den Unterschied erkennen sollen zwischen Tatsache, Meinung, Irrtum und Fälschung, dann müssen sie auch wissen, wie Berichterstattung funktioniert und Nachrichten entstehen.

Juliane von Reppert-Bismarck ist Gründerin und Leiterin von Lie Detectors, ein gemeinnütziges Nachrichtenkompetenzprojekt, das in Europa in Zusammenarbeit mit Journalisten und Schulen gegen das Fake-News-Phänomen vorgeht und zur Zeit in Deutschland, Österreich und Belgien aktiv ist. Sie war Vorsitzende der Civil Society Gruppe der von der Europäischen Kommission einberufenen „High Level Expert Group on Fake News and Disinformation“.

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