Verschenktes Potential

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Medientage Mitteldeutschland

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Literarisches Quartett trifft auf Game One

Von Robin Hartmann, MTM-Live-Redaktion

Vier Gäste, vier Themen und angeregte Diskussionen. So lässt sich das öffentliche Panel zum Thema „Games als Spiegel der Gesellschaft“ am ersten Tag der Medientage Mitteldeutschland 2019 zusammenfassen. Was sofort positiv auffällt, als die Teilnehmer vorgestellt werden: Das weiblich/männliche Moderationsduo Melek Balgün und Marcus Richter diskutieren ebenfalls mit einer Frau, Rae Grimm und einem Mann, Markus Heitz.

Die Ausgewogenheit der Gamer bildet auch das Panel gut ab. Mit Balgün spricht eine erfahrene E-Sportlerin über ihre Eindrücke, Richter und Grimm sind Computerspiele-Tester, Heitz ist Buchautor und spricht für den Durchschnittszocker. Was fehlt, sind die wissenschaftliche und die Entwickler-Perspektive und das macht sich auch im Verlauf des Panels bemerkbar. Denn sowohl auf der Bühne, als auch im Publikum sitzen ausschließlich Konsumenten, was die Richtung der Diskussion häufig bestimmt. Allzu oft verlieren sich die Gespräche in persönlichen Befindlichkeiten und verlieren das eigentliche Thema aus den Augen.

Dinge verstehbar, erlebbar machen

Der Beginn ist vielversprechend, als Richter die Frage aufwirft: „Haben Medien nicht die Aufgabe, Dinge verstehbar und vielleicht erlebbar zu machen?“ Ja, und welches heutige Medium könnte das besser als Computerspiele? Eine spannende Frage, die das Panel anhand von vier Games beleuchten will.

Den Anfang macht ‚Papers Please‘ aus dem Jahr 2013. Es gilt als der Wegbereiter des „Serious-Simulations-Genres“, einen Begriff den Heitz kurzerhand etabliert. Als Grenzbeamter entscheidet man im Spiel darüber, wen man passieren lässt und wen man abweist. Davon abhängig sind das Einkommen und letztlich das Überleben der Familie des Grenzbeamten. „Wenn wir vor ‚Papers Please‘ über Moral in Spielen gesprochen haben, dann war das eher schwarz-weiß“, erklärt Grimm. Ein Gespräch über den Zusammenhang von Moral und Games wird aber nur angeschnitten, anschließend verliert sich das Panel in einer Diskussion darüber, ob man eine emotionale Beziehung zu der virtuellen Familie aufbauen kann, oder nicht. Wenn die Familie auf einen Avatar und bloße Zahlen reduziert wird, ergibt sich für den Spieler keine moralische Zwickmühle, resümiert Grimm. Vielmehr würde ‚Paper Please’ Fragen aufwerfen wie: Trifft man Entscheidungen zu den eigenen Gunsten auf Kosten anderer? Oder geht man als Altruist durch das (Spiel-)Leben? Wie beeinflussen persönliche Beziehungen, die an sich vielleicht objektiv klar wirkenden Entscheidungen? ‚Papers Please’ sei damit ein Meilenstein in der moralisch bisher simpel gehaltenen Computerspielwelt, so das Fazit.

Den Spieler tatsächlich zu emotionalisieren schafft hingegen ‚We the Revolution‘ — behauptet Heitz. Hier würde die Charakter-Familie direkt in das Tutorial eingebunden. Als Richter muss man seinen eigenen Sohn verurteilen oder freisprechen. Anschließend schlägt man sich als Jurist und Henker durch die Wirrungen der Französischen Revolution und muss aufpassen, dass man es sich nicht mit einer der relevanten Gruppen verscherzt, da sonst der eigene Kopf oder der eines Familienmitglieds rollt. Vor allem der Historiker Heitz schwärmt von dem Spiel. Wer vermeintlich moralisch handelt, kommt nicht weit voran. Das Spiel zwingt die Gamer, intrigant zu handeln, die eigenen Moralvorstellungen aufzugeben, für die Familie, für das eigene Überleben. So wird die Situation der Menschen während der Französischen Revolution zwar akkurat nachgebildet, jedoch würde sich diese nur bedingt auf die heutige Zeit anwenden lassen, resümiert das Panel.

Abbild der Wirklichkeit

Das dritte Spiel, welches am ehesten zum anwesenden Publikum passt, ist ‚The Westport Independent‘, über das Heitz sagt: „Ich würde das Spiel an Journalistenschulen verpflichtend machen.“ Als Chefredakteur in einem faschistischen System kann man sich entscheiden: Folgt man der Regierungslinie durch gefällige Artikel, Überschriften und hat so ein leichtes Leben. Oder unterstützt man die Rebellen und verliert seine Privilegien und gegebenenfalls sein Leben? Sich durchzuschlängeln ist nur bedingt möglich, da man auch die Leserschaft bei der Stange halten muss.

Bei der Stange bleiben muss man auch beim letzten Spiel des Abends — ‚Tech Support’. Hier schlüpft man in die Rolle eines Callcenter-Mitarbeiters, welcher mit Kunden-Anfragen bombardiert wird. Nimmt man sich die Zeit und berät auch die Kunden ausführlich, die nicht die teure Versicherung abgeschlossen haben, oder sind einem die Kundenrezessionen egal und man macht so wenig wie nötig? Der Arbeitgeber verlangt schließlich Effizienz, wovon letztlich die eigene Jobsicherheit abhängig ist. Das Spiel sei ein „gutes Abbild der Realität, da man wie eine Maschine einfach seine Aufgaben abarbeitet“, findet Richter.

Vier Spiele, denen das Panel zuschreibt, dass sie ein Abbild der Wirklichkeit darstellen. Sie zeichnen eine Welt mit einer Moral, die nicht schwarz-weiß ist, sondern viele Grauschattierungen hat. Die Spiele versuchen einen der großen Kritikpunkte bisheriger Games aufzulösen: dass die Realität zu sehr vereinfacht wird. Das wäre die zentrale Frage des Abends gewesen, („Je höher die moralische Hürde war, desto besser hat mir das Spiel gefallen“ — Grimm), leider ging sie an einigen Stellen in der Gaming-Leidenschaft des Panels unter.

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