Zukunftsvisionen für Medienplattformen

MTM
Medientage Mitteldeutschland
4 min readNov 23, 2021
Medientage Mitteldeutschland © Viktoria Conzelmann

Ignorieren oder integrieren? Plattformstrategien für Medien

Von Sarah-Maria Köpf

Plattformen und Tech-Konzerne wie YouTube, Spotify oder TikTok sind aus unserem heutigen Alltag nicht mehr wegzudenken. Schon jetzt revolutionieren sie die Art und Weise, wie wir konsumieren und in welcher Form Medieninhalte erstellt und angeboten werden. Doch welche Pläne haben die Anbieter selbst für ihre Zukunft? Mit dieser Frage beschäftigen sich Markus Heidmeier (Beyond Platforms Initiative / KOOPERATIVE BERLIN), Saruul Krause-Jentsch (Spotify), Henning Nieslony (TVNOW), Felix Pace (Netflix) und Schiwa Schlei (ARD) im gemeinsamen Gespräch mit Moderator Andreas Weise (Leiter des ZDF-Studios Sachsen-Anhalt).

Eine idealistische Welt jenseits der Plattformen‚

„Wir haben uns in Deutschland in den letzten fünf Jahren mit Jammern beschäftigt“, sagt Markus Heidmeier, der das Panel mit einem Impulsvortrag eröffnet. Er meint damit die wiederholte Kritik an Plattformen wie Facebook, Google und Co., die am Ende nichts an den fehlenden medialen Visionen in Deutschland ändere. Anhand der Beyond Plattform Initiative stellt er einen Zusammenhang zwischen Gesellschaft, Demokratie und den Plattformen her, aus dem er die Notwendigkeit für ein neues technologisches Ökosystem für die offene Gesellschaft ableitet. Darin ist der Staat der zentrale Akteur und die Bürgerinnen und Bürger dazu aufgerufen, für die Regulierungen der Plattformen Forderungen an die Politik zu stellen. Dass dies möglich sei, zeige die Bewegungen um Friday’s for Future.

Beyond Plattform möchte eine Welt jenseits der Plattformen konstruieren und damit einen neuen Gesellschaftsvertrag aushandeln, so Heidmeier. Im besten Fall sei das Ziel dann nicht mehr Profit, sondern das Gemeinwohl. Offen bleibe bisher aber die Frage, wer für ein solches Vorhaben die Gatekeeper-Funktion übernimmt und sich um die Pflege der Infrastruktur kümmert.

Auch wenn Saruul Krause-Jentsch von Spotify den Ansatz als interessant bezeichnet, wird schnell klar, dass eine solche Unternehmung kaum im Interesse der anwesenden Plattformen liegt. Sie glaube stattdessen an die Mündigkeit der Hörer und Hörerinnen und sieht Spotify bestens aufgestellt, um zur weltweit führenden Audioplattform aufzusteigen. Auch Felix Pace von Netflix findet die Richtung gut, sieht Netflix aber gar nicht unter den Plattformen, sondern vielmehr als Entertainment-Anbieter.

Offen kritisch zeigt sich dagegen Henning Nieslony von TVNOW. Er äußert die Befürchtung, dass sich am Ende kaum etwas an der aktuellen Situation ändern würde, nur die Logos wären neu. Positive Resonanz findet die Idee dagegen bei Schiwa Schlei von der ARD.

Die Plattformen der Zukunft

Während Heidmeiers Initiative noch in den Kinderschuhen steckt und ein großes Abstraktionspotenzial aufweist, das wiederum Luft für verschiedene Auslegungen in der Runde bietet, sind sich bei den Zukunftsstrategien die Vertreter und Vertreterinnen der Plattformen einig. Ihr Angebot wird auch in der Zukunft weit oben mitmischen.

Der Weg führt dabei weg vom linearen Fernsehen und hin zur Verfügbarkeit der Inhalte auf allen Plattformen. TVNOW strebe eine Mischung aus Information und Unterhaltung an, so Nieslony. Dem „direct-to-consumer“ Trend aus den USA, bei dem jedes Unternehmen einen eigenen Dienst mit eigenen Inhalten anbietet, attestiert er jedoch ein schnelles Ende. Die Kunden und Kundinnen wären zunehmend überfordert und würden nicht für zu viele Plattformen gleichzeitig zahlen wollen.

Netflix hat sich dagegen zum Ziel gesetzt, Empathie zu erzeugen und den Horizont der Konsumentinnen und Konsumenten durch den Zugang zu neuen Kulturen zu erweitern. Spotify will seine Erfahrungen aus dem Musikbereich zukünftig auf die Podcast-Angebote ausweiten. Im Vordergrund stünden dabei die Förderung von Inklusion, Diversität und marginalisierten Gruppen sowie weiblichen Creatoren.

„Aber was ist der Preis, den wir im Hintergrund dafür zahlen?“, wirft Markus Heidmeier daraufhin in die Runde. Plattformen sollten sich fragen, in welchem Ökosystem sie funktionieren können und wollen. Die Stabilität der Gesellschaft gehe weit über gute Produkte hinaus. Schlei fügt hinzu, dass es die Pflicht aller Medien sei, mehr auf die Demokratie zu schauen. Sie kritisiert, dass der Blick heute oft auf die gesellschaftlichen Extreme im linken und rechten Spektrum gerichtet werde, dabei jedoch der gesellschaftliche Zusammenhang — die ruhige Mitte — verloren gehe.

Die Rolle der sozialen Medien als Drittplattformen

Einigkeit in der Gruppe besteht darin, dass Drittplattformen wie Facebook oder Twitter unerlässlich sind, um Menschen zu erreichen. Die Stärke der eigenen Plattform müssen aber erhalten bleiben. Heidmeier sieht dabei besonders die Öffentlich-Rechtlichen in der Pflicht, auf den Drittplattformen präsent zu sein. Nieslony kontert, dass dies den Wettbewerb nur zusätzlich anheize. Zur Fußball-EM versucht die Sportschau diesem Anspruch gerecht zu werden und neue Wege zu gehen. Sie zeigt ein komplettes Spiel live auf TikTok.

Welche Chancen haben kleine Plattformen?

Ob es unter den vielen Global Playern überhaupt noch Chancen für neue und kleine Plattformen gebe, möchte Moderator Andreas Weise zum Abschluss wissen. Ein eigenes Angebot aufzubauen sei nie einfach. Wichtig dabei sei ein gutes Rezept, das einen Nerv trifft, so Nieslony. „Gute Ideen und Leidenschaft“ setzten sich immer durch, ergänzt Felix Pace. Nicht ganz so optimistisch ist dagegen Schirra Schlei. Das Problem der Auffindbarkeit und die hohen Kosten für Technologie machten es kleinen Unternehmen extrem schwer, sich durchzusetzen. Und so werden wohl auch in Zukunft die großen Plattform einen uneingeschränkte Einfluss genießen.

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