Informationsanlass Strategie eHealth Schweiz 2.0

Patrick Hirschi
Medizininformatik Schweiz
6 min readNov 3, 2017

Diesen Dienstag, den 31.10.2017, trafen sich die Fachkräfte der Gesundheitsinformatik im Hotel National in Bern zum Informationsanlass zur Straegie eHealth Schweiz 2.0.

In einer kurzen Einführung von Adrian Schmid, dem Leiter des Koordinationsorgans eHealth Suisse, ging es vor Allem um die groben Inhalte der Strategie 2.0 und einen kritischen Rückblick auf die Strategie 1.0. Die Strategie 1.0, welche im Juni 2007 vom Bundesrat verabschiedet wurde, beinhaltete drei Punkte. Hauptziel war die Rahmenbedingungen (nationale Koordination, Grundlagen, Bildungsmassnahmen etc.) für die Umsetzung des elektronischen Patientendossiers und der Online Dienste zu schaffen. Dieser Punkt wurde mit dem erfolgreichen in Kraft treten des EPDG (Gesetz über das elektronische Patientendossier) Mitte April dieses Jahres erreicht. Die Umsetzung des Patientenportals und des Patientendossiers konnte aber bei weitem nicht erreicht werden. Das Thema Gesundheitsportal wurde bis 2015 nie mehr systematisch erarbeitet.

Adrian Schmid betonte den erfolgreichen EPD Projectathon mit rund 16 Teilnehmern.

In der Folge moderierte Jürg Bleuer (Stv. Leiter der Geschäftsstelle eHealth Suisse) den Anlass. Salome von Greyerz (Leiterin Abteilung Gesundheitsstrategien am BAG) erläuterte in Ihrem Vortrag die gesundheitspolitische Bedeutung der Strategie 2.0 für Bund und Kantone. Sie betonte, dass die Strategie 2.0 weiterhin bescheiden bleibt und primär die aus Strategie 1.0 bestehenden Arbeiten weiterführen soll.

Weiter werden auch nationale Intitiativen wie das Forschungsnetzwerk Swiss Personalized Health Network SPHN und «Nationales Forschungsprogramm 75» NFP75 kurz lobend erwähnt. SPHN soll die Voraussetzungen schaffen, um den Austausch von gesundheitsbezogenen Daten für die Forschung zu ermöglichen. Dabei geht es um die Früherkennung von Krankheiten, um diese effizienter und mit weniger Nebenwirkungen behandeln zu können. NFP75 hingegen soll die wissenschaftlichen Grundlagen erarbeiten, um grosse Datenmengen wirksam und angemessen einsetzen zu können.

Sie erläutert in der Folge die Erwartungen des Bundes und der Kantone an die Strategie eHealth 2.0:

  • Einführung ePatientendossier
  • PIS/KIS die den Prozessen entsprechen
  • Datensicherheit erhöhen (Cybersecurity)
  • Inhaltliche und semantische Strukturierung von medizinischen Informationen
  • Anwendungs- und systemübergreifende Interoperabilität
  • Kompetenz der Menschen stärken

Der nächste Beitrag stammte von Eliane Kraft von Ecoplan. Sie präsentierte die Inhalte der Strategie 2.0 etwas näher und ging auf jedes der drei Handlungsfelder und darunter definierten 27 Ziele kurz ein. In der Übersicht sieht das folgendermassen aus:

Digitalisierung fördern (14 Ziele)

  • Sensibilisierung für Potenzial der Digitalisierung
  • Papierbasierte durch elektronische Prozesse ablösen
  • Abgeltungssysteme und Tarifstrukturen an Veränderungen anpassen
  • Verwendung der rechtlich vorgegebenen und empfohlenen Austauschformate
  • Austauschformate weiterentwickeln
  • Zertifizierungsvoraussetzungen weiterentwickeln
  • Empfehlungen erarbeiten für Interoperabilität aller EPD-nahen Anwendungen
  • mHealth Empfehlungen vorantreiben
  • Vernetzung von mHealth Anwendungen mit EPD
  • Minimalstandards für Primärsysteme
  • Innovationsförderung und Weiterentwicklung der Primärsysteme
  • Massnahmen zur Verstärkung der Datensicherheit
  • Grenzüberschreitende Vernetzung
  • Voraussetzungen schaffen für die Etablierung eines nationalen Kontaktpunktes

Digitalisierung koordinieren (7 Ziele)

  • Voraussetzungen schaffen, dass Daten so erfasst werden, dass sie mehrfach verwendet werden können
  • Rechtliche Rahmenbedingungen prüfen, dass Patientendaten weiterhin für Forschung verwendet werden können
  • Mehrfachnutzung der Infrastrukturen fördern
  • Interoperabilitätsstrategie für Mehrfachnutzung von Daten
  • Definition einer verantwortlichen Stelle für Pflege und Weiterentwicklung von semantischen Standards
  • Etablierte Standards als verbindlich erklären
  • Sensibilisierung zur Nutzung von vorhandenen Standards und Best Practices

Zur Digitalisierung befähigen (6 Ziele)

  • Information der Menschen in der Schweiz zum EPD
  • Unterstützung relevanter Multiplikatoren zur Befähigung des EPD
  • eHealth Literacy beachten
  • Grundlagen bereitstellen um die Akteure zu unterstützen
  • Aus- und Weiterbildungen
  • Medizininformatiker ausbilden

In der Diskussionsrunde gab es sodann auch sehr kritische Anmerkungen bezüglich der Anwenderfreundlichkeit und Praxistauglichkeit. Die fehlenden Validierungstools die die Qualität der Daten sicherstellen sollten sind nicht vorhanden. «Es darf nicht sein, dass das EPD zum Friedhof für Datenschrott wird» war nur einer der kritischen Aussagen aus dem Publikum. Darauf nahm Salome von Greyerz bestätigend Stellung: «Nur weil man mit grossen Daten heute besser rechnen kann, wird das Resultat nicht automatisch besser.». Als Schwachpunkt wurden von allen Beteiligten die Primärsysteme ausgemacht. Ein Teilnehmer aus Österreich wies dann darauf hin, dass «Interdisziplinäre Dokumentation in Primärsystemen durchaus möglich ist». Als limitierender Faktor steht da schlussendlich nur die Gesetzgebung. Die Digitale Revolution ist oft schneller als die Gesetzgebung. Adrian Schmid nahm dazu aber gleich Stellung und meinte «Es ist ein Balanceakt. Rasche Lösungen sind immer auch in der Wirkung begrenzt. Die flächendeckende Ausbreitung stösst so an Grenzen. Wir sind darauf angewiesen, dass die Akteure unser Tempo mitgehen.».

Nicolai Lütschg, Geschäftsführer des Vereins Stammgemeinschaft eHealth Aargau, stellte den aktuellen Stand der Arbeiten im Kanton Aargau vor und ging auf die Herausforderungen und offenen Fragen ihrerseits ein. Er betont, dass die Regionen sich ausgehend von der nationalen Strategie überlegen müssen:

  • Wie setzen wir das um?
  • Wie funktioniert das Ökosystem Stammgemeinschaft?
  • Wer macht was wann?
  • Ist die Stammgemeinschaft wirklich für alle Handlungsfelder selber verantwortlich?
  • Kann das ein Leistungserbringer, Kanton oder NPO sein?

In seinen Augen dreht sich schlussendlich alles um die Frage: «Wie können wir die Leistungserbringer bei der Digitalisierung unterstützen? So werden Ärzte und Ärztinnen die Ersten sein, die mitmachen.».

Dabei weist er darauf hin, dass 50–70% der Grundversorger noch zu digitalisieren seien. Dies sei allerdings auch eine Chance, denn diese Institutionen seien so später einfacher zu vernetzen. Digitalisierung bedeutet allerdings nicht nur eine elektronische Version der Dokumente zu haben. Digitalisierung bedeutet der Übergang von Dokumenten zu strukturierten Daten. Die semantische Interoperabilität um die Daten maschinenlesbar und auch für mehrere Verwendungszwecke brauchbar zu machen muss gegeben sein. So können viele redundante Erfassungsprozesse eingespart werden.

Nicolai Lütschg weist in seinen Erklärungen aber auch auf ein Risiko hin. Es sei klar, dass zentralistische Projekte in der Regel schwieriger sind als regionale Einsätze. Man darf aber nicht vergessen, dass so das Risiko eines Glaubwürdigkeitsproblems besteht, nämlich genau dann wenn man durch den regionalen Ansatz schlussendlich die einzelnen Stammgemeinschaften nicht sauber untereinander vernetzt werden können.

Nach einer rund 30-minütigen Pause ging es dann weiter mit Patrick Antonin, Chef du service informatique an der Clinique romande de réadaptation (CRR Suva) in Sion. Auch für ihn haben strukturierte Daten absolute Priorität. Anhand einiger Beispiele aus seiner Tätigkeit an der CRR Suva zeigt er wie zentral Geräte wie Fax und Scanner auch heute immer noch sind. Gescannte Dokumente haben für ihn aber nur wenig mit Digitalisierung zu tun. Sie versuchen das Problem so gut wie möglich zu umgehen und setzen in ihrer Institution mobile Arbeitsstationen und Digital Pens ein. Dadurch sollen möglichst viele Informationen von Anfang an elektronisch und vor Allem strukturiert erfasst werden. Dabei betont er auch, dass der Autausch zwischen Privatindustrie und Leistungserbringer dringend verbessert werden muss.

Die gesetzliche Verpflichtung zur Umsetzung von Empfehlungen sieht er für die Strategie 2.0 als unabdingbar: «Empfehlungen die kosten werden niemals umgesetzt, solange sie nicht obligatorisch werden.».

Andreas Schoepke, e-Health Verantwortlicher und Mitglied der Geschäftsleitung bei Argomed, ging ebenfalls auf die Sicht der Grundversorger ein. Er betonte, dass ein zweifacher Koordinationsbedarf besteht. Erst muss die Versorgung selbst koordiniert werden und erst dann kann die digitale Koordination angegangen werden. Bedenklich seien die wirtschaftlichen Aspekte. Viel geforderte Ziele wie Effizienzsteigerung, Koordinationsgewinn und alternative Versicherungsmodelle müssen mit dem Kostendach von Bundesrat Berset oder der wiederkehrenden Bestrebungen eines Globalbudgets vereinbart werden. Er fordert vom Bund eine klare Linie für eine langfristig gut regulierte Grundversorgung.

Die Grundversorgung wird sich in den nächsten Jahren stark verändern. Viele Berufsgruppen wollen sich in diesem Sektor selbständig machen (Bsp. Selbständig Pflegende). Wie werden diese neuen Akteure vernetzt?

Den Abschlussvortrag des Tages hielt Anna Hegedüs, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bildungszentrum Careum. Als ehemalige Pflegewissenschaftlerin die nun in der Forschung tätig ist gab sie zu bedenken, dass der Fokus von eHealth aktuell auf den Leuten liegt, die digitale Medien schon regelmässig nutzen und sich zusätzlich im Schweizer Gesundheitswesen gut auskennen. Dabei benutzt sie den Term «eHealth Literacy», welcher die Gesundheitskompetenz im Umgang mit digitalen Medien beschreibt. Was aber ist mit dem grossen Rest?

Die Befähigung der Menschen sollte auch auf ältere Menschen, Menschen mit chronischen Krankheiten, Menschen mit Sprachschwierigkeiten oder die Menschen mit tiefem Bildungsniveau fokussieren. Die Befähigung der Gesundheitsfachpersonen als Multiplikatoren sieht sie aber auch als zentralen Punkt.

Abschliessend lässt sich sagen, dass der Informationsanlass seinem Namen absolut gerecht wurde und die Referenten die verschiedenen Chancen, Risiken und Erfahrungen kritisch beleuchten konnten. Die Schweiz ist sicher weiterhin auf einem guten Weg, die angestrebten Umsetzungsfristen für das elektronische Patientendossier und dem Anschluss an eine Stammgemeinschaft (2020 für Spitäler, 2022 für Alters-/Pflegeheime) einzuhalten. Als Mitgründer von Medizininformatik Schweiz und ehemaliger Student der Medizininformatik freut es mich besonders, dass die Ausbildung von weiteren Medizininformatikern nun auch explizit als Ziel in der Strategie 2.0 ausgewiesen ist. Für die vielen komplexen Anwendungsfelder von eHealth im Schweizer Gesundheitswesen sind wir auf eine grosse Zahl qualifizierter Fachkräfte angewiesen.

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