Wie kommen wir endlich zu Nachhaltigkeit? Mit systemischer Innovation.

Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass uns eine Klimakatastrophe droht, wenn wir wie bis anhin jedes Jahr Milliarden Tonnen Treibhausgase in die Atmosphäre pumpen. Dieses Wissen spiegelt sich zwar in den Klimaabkommen von Kyoto und Paris, aber die Staatengemeinschaft setzt sie nicht genügend entschlossen um. Auch die Hoffnung, dass der technologische Fortschritt allein das Schlimmste abwenden könnte, hat sich erschöpft. Es braucht deshalb einen Paradigmenwechsel — Wir brauchen systemische Innovation.

von Björn Müller und Ivo Scherrer von
Meso — Die Allianz für systemische Innovation

Dieser Artikel ist der zweite von drei Beiträgen zur Lancierung von Meso — Die Allianz für systemische Innovation. Der erste Beitrag von Dominic Hofstetter erklärt, weshalb die Schweiz ihr Innovationsverständnis erweitern muss. Der dritte Beitrag von Ramona Sprenger und Ruben Feurer erläutert das Konzept des strategischen Experiments.

Viele Menschen erkennen die Dringlichkeit des Klimaproblems und versuchen, durch Verzicht ein paar Tonnen CO2 einzusparen — weniger fliegen, weniger Fleisch essen, ein Elektroauto anstelle eines Benziners kaufen. Dies ist sinnvoll, reicht aber nicht aus, um ein globales Problem zu lösen: Die weltweiten Emissionen steigen weiter an, es fehlt an kollektiver Handlungsfähigkeit.

Systemische Innovation gegen individuelle Ohnmacht

Wie können wir unsere individuelle Ohnmacht überwinden, ausgetretene Pfade verlassen und bewusst eine andere Zukunft gestalten, die ein gutes Leben innerhalb von planetaren Grenzen ermöglicht? Wie finden wir neue, ressourcenschonende Wege, um uns zu ernähren? Wie können wir uns nachhaltig fortbewegen, unser Geld verdienen und unsere Zeit verbringen? Wie werden unsere Städte zu Zentren dieser zukunftsweisenden Entwicklung?

Wir müssen unsere Zukunft neu denken und dann neue Wege in diese Zukunft einschlagen. Doch was ist der Schlüssel dazu? Die Innovation der Innovation: Wir bei Meso nennen sie “systemisch”.

Was ist systemische Innovation?

Systemische Innovation bedeutet für uns bei Meso “das Systemische” ernst zu nehmen. Wir tun dies anhand von drei Prinzipien:

  1. Ganzheitlich denken: Innovation soll ganzheitlicher werden und verhindern, dass neue Produkte, Dienstleistungen oder Interventionen ungewollte Nebeneffekte mit sich bringen. Ein Beispiel: Neue, energieeffizientere Geräte führen einzeln betrachtet zwar zu tieferen Emissionen, verleiten aber auch zu höherem Energiekonsum. Unter dem Strich sind sie also nicht unbedingt klimaförderlich. Der zwiespältige Effekt von “Cleantech” zeigt sich u.a. daran, dass die Energieintensität der schweizerischen Wirtschaft zwar sinkt, die Emissionen aber trotzdem auf hohem Niveau stagnieren. Systemische Innovation versucht, solche Effekte mit Hilfe ganzheitlicher Analysen mitzudenken.
  2. Gewohnheiten verändern: Die Summe unserer Gewohnheiten bestimmt am Ende das System, in dem wir leben. Deswegen zielt systemische Innovation auf die Veränderung gesellschaftlicher Gewohnheiten ab, nämlich auf die Art, wie wir leben, wohnen, uns ernähren, reisen, arbeiten, konsumieren, investieren und produzieren.inno
  3. Gemeinsam lernen: Systemische Innovation stellt sich der Komplexität der Aufgabe: Wenn man die Welt verändern möchte, kann einem schnell schwindlig werden. Niemand weiss genau, was es brauchen wird, und “wie systemische Veränderung geht”. Wir wissen, dass wir auf Netto-Null kommen möchten. Wie wir genau dort hinkommen, ist aber nicht offensichtlich. Deswegen wird bei systemischer Innovation kollaboratives Zusammenarbeiten und LERNEN gross geschrieben.

Ein systemischer Blick erlaubt es also, wirkungsvolle Lösungsvorschläge in einem komplexen Gefüge zu entdecken, damit wir bessere Entscheidungen für Veränderungen in unserem Alltag treffen können. Getragen wird dieser Prozess von der Prämisse, dass man gemeinsam am besten lernt. Dadurch wollen wir kollektive Handlungsfähigkeit zurückgewinnen.

Bei Meso versuchen wir diese drei Prinzipien in drei konkrete Arbeitsweisen zu übersetzen:

1) Am Anfang steht ein Ziel
Systemische Innovation arbeitet darauf hin, gesellschaftliche Probleme zu lösen; etwa den CO2-Ausstoss auf Netto Null zu bringen, dem Artensterben ein Ende zu setzen, die Meere von Schmutz zu befreien, extreme Armut zu beenden oder Städte von Dreckschleudern zu grünen Oasen zu verwandeln. Indem sich systemische Innovation konkrete Ziele gibt, ist sie inhärent politisch. Sie muss also eine Vorstellung davon formulieren, welche Art von gesellschaftlicher Organisation erstrebenswert ist.

Bei Meso orientieren wir uns amSafe and just Space for Humanity” der Ökonomin Kate Raworth. Dieses Prinzip zeigt die Vielfalt an ökologischen, politischen und sozialen Bedingungen auf, die erfüllt sein müssen, damit Menschen ein würdevolles und gutes Leben führen können. Gleichzeitig zeigt es auch die planetarischen und gesellschaftlichen Limiten auf, die wir mittelfristig nicht überschreiten sollten, wenn wir unsere Lebensgrundlagen nicht gefährden wollen.

2) Mit Ankerinstitutionen arbeiten
Um grosse Ziele zu erreichen, nimmt die öffentliche Hand in der systemischen Innovation eine zentrale Rolle ein. Die Ökonomin Mariana Mazzucato zeigt mit ihrem “Mission-Led Innovation Framework” auf, wie Regierungen mit bewussten politischen Missionen den Raum schaffen können, den Forschung, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft brauchen, um neue Pfade jenseits des “Business-As-Usual” einzuschlagen. Essentiell dabei ist, dass politische Missionen (z.B. Klimaneutralität bis 2035) demokratisch breit abgestützt sind, und dass Mittel für systemische Innovation bereitgestellt werden.

3) Das Experiment als Weg
Jede grosse Herausforderung ist unendlich komplex; mit ebenso vielen Ursachen wie möglichen Lösungen. Im Unterschied zu liberaler “Laissez-Faire Innovation” oder zentralistischer Planwirtschaft setzt systemische Innovation auf strategische Experimente, an denen unterschiedlichste Akteur*innen und Interessengruppen beteiligt sind. Durch diese kollaborativ durchgeführten Experimente wollen wir lernen, wie wir Alternativen zum Status Quo konkret umsetzen können. Dafür wollen wir im Kleinen ausprobieren, was im Grossen anders sein könnte. Strategische Experimente testen konkrete Möglichkeiten.

Beispiele? Helsinki hat in einem 2-jährigen Experiment erprobt, wie sich die Einführung eines universellen Grundeinkommens auswirken könnte. Reykjavik hat in einem 2-Jährigen Pilotprojekt die Einführung einer 4-Tageswoche auf Herz und Nieren geprüft.

Zentral ist, dass wir offen sind, gemeinsam zu lernen, welche Veränderungen erfolgversprechend sind. Dies schaffen wir nur in neuen Allianzen aus Politik. Wirtschaft, Wissenschaft und Pionierorganisationen.

Die alte Innovationsinfrastruktur hat ausgedient

Das heutige rein marktwirtschaftliche Innovationsparadigma ist dieser Aufgabe nicht gewachsen. Denn solange Innovationsförderung primär ökonomisch motiviert ist, wird sie nicht in der Lage sein, systemische Innovationen hervorzubringen, die umfassenden Entwicklungszielen gerecht werden.

Die etablierte Form der Innovationsförderung geht davon aus, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse in neue Produkte übersetzt werden, welche wiederum magisch zu nachhaltigen Lebensweisen führen sollen. Diese Sichtweise blendet aus, dass keine Institution die Art, wie wir leben, mit all ihren Facetten alleine verändern wird.

Solange neue Lösungsansätze in isolierten Projekten einzelner Akteure ausprobiert werden, bleiben sie gegenüber komplexen Herausforderungen wirkungslos. Wertvolles Wissen bleibt in den Köpfen einzelner Menschen oder auf den Servern einzelner Institutionen gefangen. Erfolgreiche Ansätze werden zu wenig repliziert, aus Fehlern wird wenig gelernt. Es passiert viel, aber zu unkoordiniert. Das gemeinsame Lernen findet zufällig, nicht aber strategisch statt.

Meso will gesellschaftliche Lernprozesse schaffen

Die Schweiz hat optimale Voraussetzungen, um Vorreiterin für eine nachhaltige Zukunft zu werden: Wissen, renommierte Forschungseinrichtungen, eine engagierte Zivilgesellschaft, genügend Geld und eine vielfältige Förderlandschaft.

Meso will nun Räume und Formate schaffen, die es Ankerinstitutionen und Innovator*innen erlauben, ihre Ambition und ihr Wissen zu bündeln, um gemeinsam Zukunft zu gestalten. Meso will gesellschaftliche Lernprozesse schaffen, in denen Regierungen, Universitäten, Firmen, Pionier*innen und Facilitator*innen Verantwortung übernehmen und ihr Handeln systematisch aufeinander abstimmen. Auf dass wir endlich das Ruder gemeinsam herumreissen.

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Meso - Die Allianz für systemische Innovation
Meso Partners

Meso ist ein Netzwerk innovativer Organisationen, welche durch strategische Experimente die Gestaltung einer nachhaltigeren Zukunft gemeinsam anpacken.