Die mit dem ausgestreckten Zeigefinger

Milena Glimbovski
Milena Glimbovski
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4 min readNov 19, 2018

Auf Twitter herrscht Krieg. Wenn ich mein Reply-Fach schaue, dann könnte man meinen ich persönlich hätte den 3.Weltkrieg ausgelöst.

Was ist passiert? Ich habe meine Meinung und meinen Ton geändert. Ich habe angeblich angefangen „den ausgestreckten Finger zu zeigen“. Und ich fand’s geil.

Für’s Vorschaubild

Denn ich bin es leid Leuten, die mit mir das Gespräch suchen, Absolution zu erteilen für fadenscheinige Argumente warum sie nicht nachhaltig konsumieren bzw. auch nur darüber nachdenken wollen.

Vorweg: ich bin mir bewusst auf welchem hohen Niveau wir diese Diskussion führen: ich bin weiß, in Europa lebend, hab ein stabiles Einkommen, einen deutsch klingenden Namen als Migrantin, bin Teil des Bildungsbürgertums und gesund bis auf meine ständigen Erkältungen. Ich kann nachvollziehen, wenn man kurz vor’m Burnout ist, und/oder alleinerziehend, und/oder von Hartz4 lebt oder anders eingeschränkt ist im Leben, dass man einfach andere, ernste Sorgen hat. Aber das ist die Ausnahme. Mir geht es um die Menschen, die nicht davon betroffen sind.

In der Regel höre ich folgende Ausreden:

-”Ich muss fünfzig Produkte jede Woche einkaufen mit Kindern an der Hand. Da schaffe ich nicht mir zu überlegen was jetzt nachhaltiger ist.”

Du musst nicht gleich alles umstellen, aber fang einfach mal an das Nutella mit einer Bio-Version ohne Palmöl zu ersetzen, das Brot nicht in Plastik, sondern vom Bäcker, die Pizza nicht von Nestlé. Jede Woche ein Produkt. Nach einem Jahr hast du bei allen die bestmögliche Alternative. Keiner erwartet von dir, dass du morgen perfekt bist und alles perfekt konsumierst.

-”Ich brauche ein Auto, weil es mit Kind und Kegel praktischer ist alle zwei Wochen Mutti zu besuchen.” Glaube ich sofort. Dann wir wäre es mit Carsharing nutzen?

-”Ich muss nach Bali für zwei Wochen, weil ich habe so hart gearbeitet und ich bin ja schon Veganer*in und spare viel CO2".

Ja, deine CO2 Bilanz ist danach trotzdem katastrophal, auch wenn du nur von Luft und Liebe leben würdest.

-„Das bisschen grüner Konsum und Alternativ-Leben ist ja eh nur fürs Gewissen und ändert nichts. Da muss die Politik erstmal ordentliche Gesetze erlassen.“

Ja, das stimm ich zu, den größten Hebel hat die Politik. Aber die hat soviel um die Ohren, die weiß nicht wo sie anfangen soll. Wenn wir nicht ständig darauf pochen und die Dinge erstmal in die Hand nehmen wird das nix mit der Politik. Die kümmert sich um das Problem was am Lautesten ist. Das war das Thema Einwegplastik für die EU zum Beispiel. Jetzt sollte das Thema Klimawandel auf die Agenda kommen und bleiben — am besten auf der ganzen Welt.

-”Ich weiß nicht was tatsächlich nachhaltiger ist. Eine Papiertüte oder eine Plastiktüte, alte Plastiktupperware aufbrauchen oder neue kaufen, Fast Fashion Second-Hand kaufen oder faire Mode neu? Alles so kompliziert, daher mache ich gar nichts.”

Wenn man die Antworten nicht weiß, kann man fragen und man kann googeln und Bücher lesen. Man muss keinen Bachelor haben um Antworten zu diesen Fragen zu finden. Aber gar nichts zu tun — nicht mal zu reflektieren und zu beginnen darüber nachzudenken- das finde ich ignorant.

Niemand erwartet Perfektion, niemand prüft eure Mülleimer nach Plastikmüll, niemand schaut nachts in euren Kühlschrank oder Kleiderschrank. Legt einfach los, so wie ihr könnt, mit was ihr könnt. Ihr seid Niemandem Rechenschaft schuldig außer euch selbst, eurem Gewissen und vielleicht irgendwann euren Kindern — wenn ihr welche habt oder wollt.

Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich will meinem Sohn später sagen können, ich habe alles versucht. Ich forsche gerade nach wie wir die “Extinct Rebellion” Bewegung nach Deutschland holen, ich informiere und spreche öffentlich nicht nur über Zero Waste, sondern Klimawandel. Ich poste hier und erkläre geduldig immer wieder Basics und Dinge, die man auch leicht hätte googeln können. Es war mir ein Anliegen Nachhaltigkeit sexy dastehen zu lassen, barrierearm, einladend. Das ist es immer noch. Aber ich möchte mir auch mal erlauben zu sagen “nein, das ist nicht ok“ und dass andere das aushalten können. Ich möchte mal nicht in Wattebäuschchen gehüllt sagen „ist schon in Ordnung, du darfst die Welt verpesten, weil du hast soviel um die Ohren, und wenn der Planet vor die Hunde geht, dann hey, immerhin hatten wir Bali“, sondern Tacheles. Es ist viertel nach Zwölf. Kleines aktuelles Beispiel: Der Jetstream ist so stark abgeschwächt, dass wir kaum noch Wetterwechsel haben. Daher hatten war es so ein trockener Sommer und Herbst ohne Regen — nun brennt Kalifornien. Das ist Klimawandel. Das ist die Zukunft schon heute.

Klar, der Ton macht die Musik. Aber auch hier wieder. Zwischen Beleidigungen, Angriff, aber Höflichkeitsfloskeln und Absolution liegen Welten. Keine*r mag Kritik hören. Schluss machen und kündigen ist nie nett, das kann man nicht lieb ausdrücken. Dennoch: mich daran zu erinnern, dass ich mich im Ton vergreifen würde nennt sich „Tone Policing“ und lenkt von der eigentlichen Diskussion ab (funktioniert ähnlich wie Whataboutism). „Wenn du so zynisch und mit dem Zeigefinger daher kommst, mag dir keiner mehr zuhören.“ Damit spricht die Person für sich — nicht für alle und kann mir gerne entfolgen.

Den bösen ausgestreckten Finger zu zeigen, schau da sind Probleme. Dein H&M-Shirt ist nun mal von unterbezahlten und ausgebeuteten Frauen genäht worden, dein Döner aus armen gequälten Tieren aus Massenhaltung, dein Auto verpestet die Luft in der Stadt und verschlimmert den CO2 Ausstoß, dein Wochenendausflug nach Rom mit Ryanair beschleunigt das tauen der Eisberge in der Antarktis. Sorry, not sorry, dass ich dich daran erinnere.

Nicht immer, aber manchmal muss man mit dem Finger zeigen, ihn in die Wunde stecken, damit manche Leute aufwachen. Und wenn die Leute immer noch ignorant sind gibt es zur Not noch einen anderen Finger: den Mittelfinger.

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Milena Glimbovski
Milena Glimbovski

ganz leise ganz laut sein - Worte-im-Mund-Verdreherin, Besserwisserin-aber-inzwischen-die-Klappe-Halterin, Geschäftsführerin von @OrigUnverpackt & @einguterplan