Milena Glimbovski
Milena Glimbovski
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5 min readApr 27, 2020

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Krisengerecht arbeiten in Zeiten von Corona- und Klimakrise

Es gibt ein before corona und ein after corona. Vor Corona konnten sich Leute oft nicht vorstellen, dass die Klimakrise uns treffen würde. Es war ein Motiv aus Scifi-Filmen. Etwas was Millionen Jugendliche weltweit fürchteten, aber doch halt Zukunftsmusik und surreal. Nicht greifbar. Wir hier in Europa, sind doch sicher vor Krisen — nie hat jemand oder etwas an unseren Privilegien gerüttelt. Dann kam Corona und seit dem steht die Welt Kopf und alles ist möglich.

Eigentlich sollte das ein Artikel werden in dem ich euch empfehle wechselt zu Ökostrom im Büro, bestellt eine Bio-Kiste statt einer Snackbox mit Nestle-Riegeln und sponsert euren Kolleg*innen und Mitarbeiter*in eine Monatskarte für die Öffis. Und dann kam diese klitzekleine weltumfassend Pandemie dazwischen. Ich mach es trotzdem und halte mich kurz:

Die größten Hebel um CO2 zu sparen als Büro, Start Up und Firma: wechselt zu Ökostrom, zieht euer Bankkonto um zu einer grünen Bank, kaufte Elektrogeräte Second-Hand in Shops wie Refurbed und Möbel gebraucht bei Büroauflösungen. Trennt euren Müll, und wechselt zu einem klimaneutralen Serveranbieter.

Das alles ist immer noch richtig, notwendig, aber heute ist noch mehr möglich.

Alles hinterfragen

Disruption. Ein typisches Bullshitbingo-Wort aus jedem Start Up Pitch Deck. Alle wollen irgendwas disrupten. Aber wie wäre es mal mit der gängigen Art wie wir Arbeiten und produzieren. Ich denk da nicht nur an New Work, ich meine wir müssen da noch tiefer gehen.

Es fängt an mit kleinen Themen: von wo arbeiten wir. Müssen wir weiter uns in unsere lauten und präsenzerwartenden Großraumbüros zwingen oder können wir guten Gewissens die meiste Zeit der Woche im Homeoffice arbeiten? Dadurch könnten man nicht nur die Ansteckungsgefahr reduzieren, sondern auch den Berufsverkehr minimieren, Sprit sparen und die Luft, die wir atmen, weniger verpesten.

Apropos Transport: müssen all die Geschäftstermine sein, die Firmenretreats in fremden Ländern? Jetzt sehen wir, es geht auch anders. Selbst alte Branchen und eingerostete Konzerne entdecken Video-Telkos für sich, Coachings, Vorträge, Interviews — und mehr, alles möglich mit einer App auf dem Laptop oder Handy und einem Paar Kopfhörern mit Mikro. Wenn wir schon dabei sind, könnte man per se auch beschließen, dass unnötige Reisen via Flugzeug nicht mehr sein müssen.

Es geht weiter über die Produktion: Müssen wir alles im Ausland produzieren, Umwelt und Arbeitsbedingungen missachten, weil nun, alle das machen? Was passieren kann, wenn man das tut, sehen wir jetzt. Lieferengpässe entstehen, lange Lieferzeiten und manch eine Firma ringt um ihre Existenz. Hier sowie in den Produktionsländern. Die auch darunter leiden, dass selbst große Player wie H&M und C&A einfach kurzer Hand bestellte und produzierte Ware stornieren und einfach nicht zahlen. Klar, es gibt die guten, die sozialen, die Öko Start Ups, die Manufakturen, aber leider sind sie noch die Minderheit. Jetzt ist jedoch der Moment eine globale, ausbeuterische Lieferkette, die zusammenbricht kritisch zu hinterfragen.

Und am Ende des Tages, können wir es vielleicht sogar wagen unsere Arbeit und die Mission hinterfragen? Das was wir hier machen, muss das sein? Oder könnten wir mit unserer Arbeit die Welt zu einem besseren, ökologischeren oder sozialeren Ort machen? Ob es ein Produkt oder Dienstleistung ist, aber wäre jetzt nicht der Moment innezuhalten und zu fragen ist es systemrelevant. Wie muss ein Unternehmen aufgestellt sein wie ein Staat um besser auf Krisen zu reagieren? Resilient zu werden? Hilft es den Menschen wirklich, was wir hier tun, womit wir hier unsere Lebenszeit verbringen? Was werdet ihr euren Kindern, Enkeln, Nichten und Neffen erzählen, was ihr damals so getrieben habt, als noch die Möglichkeit da war die schlimmsten Folgen der Klimakrise abzuwenden?

Als Firma politisch werden

Als Firma politisch werden — das nennt man doch Lobbying oder? Wenn das große Auto- oder Kohlekonzerne machen, dann schon. Wenn es StartUps und Mittelständler machen — dann ist das Engagement und Aktivismus. Nach meiner Definition. Unternehmen bringen sich seit jeher in die Politik ein, sie bilden dafür eigens Verbände, die sich für ihre Belange interessieren und engagieren, Öffentlichkeitsarbeit machen und mit dem ein oder anderen Politiker Urlaub auf Ibiza machen. StartUps und besagte Mittelständer haben da aber eher weniger die Ressourcen zu oder auch einfach nicht den Fokus. Aber auch da gibt es Ausnahmen.

Auch in meiner Firma, bei Original Unverpackt, tun was wir können in unserem Maße. Wir gehen auf Demos, freiwillig, wir schloßen unsere Läden an den letzten Globalen Klimastreiktagen und engagieren uns bei entrepreneursforfuture. Selbst bei Exctinction Rebellion sind einige Mitarbeitende aktiv und auch ich traute mich letzten Herbst und blockierte die Marshallbrücke inkl. Wegtragen.

Aber es gibt eine Firma, die das im höchsten Level betreibt: Einhorn. Die verrückten Jungs aus Kreuzberg mit den veganen Kondomen und inzwischen auch Menstruationsprodukten, die das Olympiastadion angemietet haben für ein Demokratiefestival. Sie wollen offizielle Petitionen, die im deutschen Bundestag eingereicht werden, eine nach der anderen vorstellen und von den Besucher*innen online mitzeichnen lassen. Für diese größenwahnsinnigen Ideen haben sie mehr als 2 Millionen auf Startnext eingesammelt — und dazu ganz schön viel Kritik. Sobald eine Firma sich engagiert wird es als Lobbying oder Greenwashing bezeichnet. Für viele ist es kaum vorstellbar, dass auch Gründer*innen und Unternehmer*innen Werte haben, die über das Geld verdienen hinausgehen und sie einfach die Welt fairer gestalten wollen. Dabei hat gerade Einhorn bereits vorher ganz schön viel an Engagement gezeigt: sie sind involviert in der Stiftung Verantwortungseigentum, arbeiten mit anderen gemeinsam daran, dass eine neue Rechtsform — die Purpose-Gmbh (also sich selbst gehörende Firmen, die dem Spekulationsmarkt entzogen werden und nur durch Mitarbeiter*innen des Unternehmens gelenkt werden) eingeführt wird, sprechen mit Politiker*innen, haben mit Aktivistinnen zusammen eine Petition gestartet, die nach jahrelangem Kampf von Feministinnen, vielleicht der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte: die Mehrwertsteuer von Periodenprodukte wurde von 19% auf 7% reduziert.

Unternehmen haben Ressourcen und Strukturen, die ehrenamtliche Bewegungen, Vereine und Verbände oft nicht haben. Diese können und sollen sie für das Gute nutzen. Selbst wenn 99% das für Greenwashing und PR nutzen, wenn 1% der Firmen das richtigmacht, transparent dabei ist, Wandel anstoßt, ist es ein Beispiel für die restlichen 99% was alles möglich ist.

Was könnt ihr konkret machen: der erste Schritt ist Räume und Zeit für die Mitarbeitenden für Fortbildungen zu schaffen. Ermöglicht und fördert Engagement in der Arbeits- und Freizeit. Engagiert euch in euren Branchenverbänden, setzt euch für nachhaltige Ziele in eurer Branche ein, sprecht mit Politiker*innen, der Presse darüber, denkt groß, seid laut, redet darüber mit allen. Wie Waldemar Zeiler von Einhorn immer sagt: “man muss die Wirtschaft unfucken “- da beginnt die Arbeit und das Geficke bei jeder einzelnen Firma.

Und was jetzt?

Ob wir wollen oder nicht befinden wir uns auf der Talfahrt zu einer Rezession, wir haben die Chance jetzt nachhaltig stark rauszukommen. Mit moderner Arbeitsweise, sinnvollen Geschäftskonzepten und ökologischem Wandel. Das gilt für uns als Arbeitnehmer und -geber*innen, aber auch die Politik. Die Regierung könnte ihr ganzen Konjunkturkredite- und Zuschüsse an Klimaauflagen heften. Klimaschutz muss auch nicht teuer sein. Manchmal reichen sogar eine paar Gesetzesänderungen um grünen Fortschritt zu erleichtern und beschleunigen. Was uns dagegen teuer zu kommen wird: weitermachen wie bisher und vollem Karacho in die Klimakrise zu fahren. Denn: die nächste Krise kommt bestimmt.

Als weitere Leseempfehlung mit Fragen, die zum nachdenken anregen, empfehle ich den Artikel von Waldemar Zeiler auf linkedin.

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Milena Glimbovski
Milena Glimbovski

ganz leise ganz laut sein - Worte-im-Mund-Verdreherin, Besserwisserin-aber-inzwischen-die-Klappe-Halterin, Geschäftsführerin von @OrigUnverpackt & @einguterplan