Eine Zukunft ohne Arbeit

Warum wir diese bedeutende Herausforderung für die Menschheit nicht den Ökonomen überlassen sollten

Marc Frey
mindfulspirits

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Seit einiger Zeit schon sprechen viele Fachleute und auch solche die es nicht sind, aber allesamt mehr oder weniger Betroffene, wie wohl die “Zukunft der Arbeit” aussehen mag. Doch ist dies überhaupt die richtige Frage? Denn als das Offensichtliche erscheint ja derzeit eher: Die Arbeit hat gar keine Zukunft. Es soll sie, dem Vernehmen nach, demnächst nicht mehr oder nicht in diesem Umfang und Ausprägung geben. Wenigstens nicht mehr für alle von uns. Müsste die Frage also dann nicht vielmehr lauten: “Wie ist die Zukunft ohne Arbeit”?

John Maynard Keynes stellte sich 1930 in einem Essay mit dem Titel “Economic Possibilities for our Grandchildren” die Welt in 100 Jahren so vor, dass der technologische Fortschritt die meiste menschliche Arbeitskraft ersetzen könnte. Wir könnten uns dann, so prognostizierte er für das Jahr 2030, alle auf eine 15-Stunden-Arbeitswoche freuen.

“Die meisten Menschen wird man für die Wirtschaft nicht mehr brauchen können. Sie sind überflüssig”, provozierte indes der Zukunftsforscher Yuval Noah Harari kürzlich in einem Interview. Er geht damit wesentlich weiter als Keynes, was auch daran liegen mag, dass er anders als der britische Ökonom die aktuellen Entwicklungen heute selbst miterlebt. In seinem neuen Buch “Homo Deus” fordert er uns deshalb auf, “fantasievoller als bisher über unsere Zukunft nachzudenken“. Damit wir nicht schockiert in einer Welt aufwachen, in der der Homo Sapiens die Kontrolle verloren hat. Und die Bedeutung.

Doch von einer solchen gesellschaftlichen Diskussion sind wir derzeit noch weit entfernt.

“Wir haben in den letzten Jahrzehnten vor allem eines erreicht: Wir haben das Individuum ökonomisiert.”

Das kritisiert Robert Franken in seinem Beitrag “Stellen wir endlich die richtigen Fragen! Warum die Wirtschaftswissenschaften (allein) uns nicht weiterbringen” und ergänzt:

“Das führte u.a. dazu, dass die Verantwortung für die eigene „Employability“ ausschließlich zu jeder und jedem Einzelnen gewandert ist. Mit dem erwartbaren Resultat: Wer keinen Job hat, ist selbst Schuld, Altersarmut ist persönliches Versagen, gescheiterte Selbstverwirklichung liegt an den eigenen Defiziten.”

Mit einer solchermaßen geprägten Denkhaltung sind wir aber auf einem falschen Weg. Wir werden so vor allem keine Antworten auf diese drängende Frage finden: Was macht der Mensch denn nun, wenn er keine Arbeit mehr hat, oder, wie es Harari formuliert, “überflüssig” ist?

“Wenn ein Kind zwischen Bauklötzen und Schokolade wählen soll — wofür, glauben Sie, entscheidet es sich? Für die Schokolade, meinen viele Erwachsene. Damit liegen sie falsch. Die meisten Kinder entscheiden sich für die Bauklötze, und folgen damit einem der tiefsten Impulse, den wir Menschen in uns tragen: dem Bedürfnis, sich zu entfalten und zu gestalten.”

Das schreibt Sebastian Purps-Pardigol in seinem Buch “Führen mit Hirn”.

Die Möglichkeit zur Entfaltung und Gestaltung ist sogar überlebenswichtig, wie eine Studie von Ellen J. Langer (University of New York) und Judith Rodin (Yale) ergeben hat. Der bekannte Hirnforscher Gerald Hüther bezeichnet dies daher auch als “ein neurobiologisches Grundbedürfnis”, ohne dass wir nicht existieren können.

Wenn Menschen Zugehörigkeit wahrnehmen, schüttet ihr Gehirn Neurotransmitter aus, die die Aktivität des neuronalen Angstsystems reduzieren. Und wenn Menschen den Verlust von Zugehörigkeit wahrnehmen, werden im Gehirn dieselben neuronalen Netzwerke aktiv wie bei körperlichem Schmerz. Schon die Vorstellung, Zugehörigkeit zu verlieren, reicht dafür aus.

Menschen wollen beitragen, sie wollen nützlicher Teil einer Gemeinschaft sein. Auch dies ist ein neurobiologisches Grundbedürfnis. Die Hirnforschung hat mittlerweile sogar zweifelsfrei erwiesen, dass unsere kognitiven Fähigkeiten nachlassen, unsere Hirnleistung also schwächer wird, wenn man uns die Möglichkeit, einen Beitrag zu leisten, zu einer Gemeinschaft zu gehören, entzieht. Das Problem ist halt eben nur, dass wir den Wert des Beitrags eines Menschen nach seinem ökonomischen Nutzen, meist für ein Unternehmen oder einen Einzelnen, bemessen. Wir sprechen in der Wirtschaft daher auch von Wertschöpfung.

Das Paradoxe an Arbeit ist, dass viele Menschen ihren Job hassen, aber es geht ihnen noch schlechter, wenn sie nichts zu tun haben.

Wir verdanken diese Sichtweise, die Definition unseres Wertes durch das Produkt unserer Arbeit, der protestantischen Reformation des 16. Jahrhunderts. John Calvin, neben Luther der zweite große Reformator dieser Zeit, prägte das protestantischen Arbeiterethos. Das Wort “rechtschaffen” ist eine Folge davon. Seitdem gilt als Gottesfürchtig wer “im Schweiße seines Angesichts hart arbeitet”.

Der Calvinismus verbreitete sich in Westeuropa und mit ihm die Vorstellung, dass Arbeit an sich etwas Gutes sei und dass der Verdienst aus harter Arbeit, das Streben nach beruflichem und wirtschaftlichem Erfolg, nicht hoch genug zu schätzen sei. In manchen Kontroversen über die freie Marktwirtschaft wurde die Frage gestellt, ob nicht tatsächlich das protestantische (calvinistische) Ethos die Quelle war, aus der der moderne Kapitalismus entsprungen ist.

Der Begriff “Arbeit” führt uns in die Irre.

Die Welt ist voller Arbeit und das wird sie auch in Zukunft bleiben. Es mangelt eher an Jobs. Eine zentrale Frage wird also sein, wie man all diese “andere Arbeit” in etwas ummünzt, wofür Menschen ent- und belohnt werden. Schon heute leisten ja viele Menschen einen gesellschaftlichen Beitrag, der nicht bezahlt wird, aber im Kern nichts anderes ist als “Arbeit”: gemeinnützige Dienste etwa, die Tätigkeit in einem Verein, das Ehrenamt. Auch wenn diese Tätigkeiten manchmal sehr hart sind oder nicht bezahlt werden, jemand muss sie machen und meistens werden es Menschen sein.

Jonathan Gershuny, Professor für Soziologie und Direktor des Centre for Time Use Research, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Frage was Arbeit eigentlich ist. Nach der Auswertung enormer Datenmengen ist er zu einem erstaunlichen Ergebnis gekommen.

“Wenn man Arbeit als die Summe aller Tätigkeiten definiert, bezahlt und unbezahlt, kann man feststellen, dass sich nicht viel geändert hat in den letzten Jahrzehnten: Wir arbeiten im Schnitt 60 Stunde pro Woche.”

Und dies obwohl auch in den letzten Jahrzehnten bereits Automatisierung in unseren Arbeitsalltag eingezogen ist. Die Aufteilung aber hat sich verändert: Hatten wir weniger an bezahlter Arbeit zu verrichten, haben wir uns neue Beschäftigungen gesucht.

“Die Wahrheit ist, wir brauchen Arbeit aus verschiedenen Gründen: um unsere Zeit zu strukturieren, in einem sozialen Kontext und um einen Sinn im Leben zu finden.”

Tatsächlich, denn was viele vergessen zu erwähnen, wenn sie Keynes’ berühmte Aussage über die Zukunft bemühen: Der Gelehrte selbst war davon überzeugt, dass es “kein Land gibt und keine Menschen…die einem Zeitalter der Muße und des Überfluss entgegenblicken, ohne dabei in Angst zu verfallen.”

In anderen Worten, Keynes glaubte, dass die meisten von uns sich eine Welt ohne Arbeit nicht vorstellen könnten.

Was der Verlust an Arbeit und damit das Versinken in der gefühlten Wert- und Bedeutungslosigkeit an Menschen ausrichten kann, wurde intensiv am Beispiel der Stadt Youngstown im US-Bundesstaat Ohio untersucht. Im sogenannten “Rust Belt” gelegen lebten die meisten Menschen in Youngstown von ihrer Arbeit in der Stahlindustrie. Bis zum 19. September 1977. An diesem Tag verkündete der lokale Stahlproduzent Youngstown Sheet and Tube das Ende seiner Betriebe. In der Folge verloren 50.000 Menschen ihre Arbeit, eine Menge in einer Stadt, die gerade mal 120.000 Einwohner hatte.

Aufgegebene Stahlfabrik in Youngstown, Ohio

Aber schlimmer als der wirtschaftliche Niedergang war der kulturelle und psychologische. Depression, häusliche Gewalt nahm signifikant zu, die Selbstmordrate stieg. Allein in einem Jahrzehnt verdreifachte sich die Zahl der Patienten mit seelischen Erkrankungen und wegen zunehmender Kriminalität wurden vier zusätzliche Gefängnisse gebaut. Durch den Verlust ihrer Arbeit verloren die Menschen in Youngstown auch den Sinn in ihrem Leben.

Sinnfindung deshalb ausschließlich auf der Basis wirtschaftlicher Kriterien zu suchen erweist sich damit als Irrweg.

Der menschliche Wunsch Bedeutung in seinem Tun zu finden, ist schwer zu ignorieren, findet Dr. Ruth Yeoman von der Saïd Business School. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die “bedeutungsvolle Arbeit” in Organisationen und Systemen. Dieser Wunsch sei so stark, dass Menschen dafür sogar bereit wären, schlechtere Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen, Hauptsache sie täten etwas, dass für andere eine Bedeutung habe. “Reinigungskräfte in Krankenhäuser zum Beispiel betrachten ihre Tätigkeit als bedeutsam und wertvoll, weil sie die Auswirkung ihrer Arbeit in ihrer eigenen Vorstellung vergrößern”, erklärt sie.

Auch Gershuny ist überzeugt: die Menschen werden neue Formen der Arbeit entdecken, um sich selbst zu beschäftigen, ob die Roboter nun die heutigen Jobs übernähmen oder nicht.

Doch wird es denn aller Voraussicht nach überhaupt so weit kommen, dass die Maschine den Mensch in signifikantem Umfang aus dem Job schmeisst?

Das mit Abstand meist zitierte Dokument in diesem Zusammenhang ist die sogenannte Oxford-Studie von Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne aus dem Jahr 2013. Die Forscher hatten anhand von 700 populären Berufen in den USA untersucht, inwieweit diese durch Automatisierung bedroht seien. Rund 47% der Jobs, so die Forscher, sollen davon betroffen sein.

Allerdings ist auch diese Studie nicht ohne Kritik und Widerspruch geblieben. Sie wird von manchen schon als “Pi mal Daumen”-Studie bezeichnet, da die Ergebnisse weitestgehend auf Hochrechnungen beruhen und daher, so die Kritiker, keine statistische Signifikanz hätten. Zudem berufen sie sich auf das sogenannte “Produktivitäts Paradox”. Dieser Effekt ist benannt nach Untersuchungen in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in den USA, unter anderem von Robert Solow. Demnach ging die Produktivität in der Wirtschaft trotz immer stärker werdender Computerkraft und steigenden Investitionen in IT immer weiter zurück.

“You can see the computer age everywhere but in the productivity statistics.” Robert Solow

Ein “Problem” mit dem Solow Paradoxon ist indes, dass es über 30 Jahre alt ist. Solow konnte schlechterdings vorhersagen, wie tief die Effekte der Digitalisierung hineingreifen werden in unsere Arbeitswelt und unser Leben. Die ersten Wellen der Digitalisierung hatten nicht diesen Reifegrad wie die jetzige. Die neue Technik hat uns mehr unterstützt, als dass sie in der Lage gewesen wäre uns in weiten Teilen zu ersetzen.

Dies ist nun anders. Im vergangenen Jahr erklärte der Chef der Hypovereinsbank (UniCredit), man könne die Bank locker mit der Hälfte der Angestellten betreiben. Ähnliches würde man wohl auch bei den meisten anderen Unternehmen feststellen, wenn man mal genau hinschaut. Und den Gesetzen der Ökonomie und Effizienz folgend, werden solche “Potentiale” in der Wirtschaft auch gehoben, wenn sie sich zeigen. In den 60ern war AT&T das wertvollste Unternehmen der USA mit rd. 270 Mrd. Dollar Börsenwert. Der Telekomriese hatte rund 760.000 Beschäftigte. Google mit rd. 370 Mrd. Dollar Börsenwert hat grad mal noch rd. 55.000 Mitarbeiter. Und Whatsapp, im Jahr 2014 von Facebook für 19 Mrd. Dollar gekauft, hatte da sogar nur 55 Mitarbeiter.

Wer aber sagt denn, dass der wahre Beitrag des Einzelnen zur Gesellschaft sich nur an der Arbeit bemessen lassen muss, die Anteil am gemeinsam erwirtschafteten Wohlstand hat, wie es im ausgehenden 18. Jahrhundert der französische Intellektuelle und Philosoph Henri de Saint-Simon gefordert hatte. Vielleicht arbeiten wir in naher Zukunft dann eben nur noch 20 oder gerade mal 10 Stunden und damit noch weniger als Keynes vorausgesagt hatte. Womöglich wird es dann endlich auch zahlreiche Menschen geben können, die gar keine Arbeit im heutigen Verständnis von Produktivität mehr tun müssen, aber deswegen nicht von den anderen wie Parias betrachtet und behandelt werden. Es könnte uns eine Freiheit geben, endlich die Dinge zu tun, die uns als Individuen sowie als Gemeinschaft weiterentwickeln lassen.

Die Effekte der Digitalisierung werden immens zu unserer Wertschöpfung und damit zum Wohlstand beitragen. Dann aber brauchen wir eine neue gerechte Verteilung, einen “New Deal”, denn gerecht bedeutet nicht, dass der Wohlstand bei denen landet, denen die Maschinen gehören. Denn eines ist sicher: Die Welt der Arbeit wird sich verändern, für jeden, aber nicht jeder wird profitieren. Wir können aber mit den heutigen und künftigen Technologien eine Welt schaffen, in der alle gut leben können. Und das müssen wir dann auch tun. Und hier kommt auch den Unternehmen, die diese Technologien vorantreiben, eine besondere, in diesem Ausmaß und Tragweite vielleicht noch nie dagewesene Verantwortung zu.

Hierzu bedarf es einer neuen Wertedefinition. Denn wenn immer weniger Menschen in der Lage sein werden, durch Wertschöpfung im ökonomischen Sinn beizutragen, muss eine andere Wertschöpfung in unseren Augen eine höhere Bedeutung und soziale Achtung bekommen: das zeitaufwändige, wirkliche Kümmern um Kinder, aber auch die Betreuung alter und kranker Menschen, alle Tätigkeiten, die dem Gemeinwohl dienen und natürlich das Schaffen von Kultur jeglicher Art. Leicht ließe sich diese Liste fortsetzen.

Die alten Griechen könnten uns hierbei weiterhelfen. Das Wort Schule stammt vom altgriechischen Wort skholē ab, was für Muße steht. In den antiken Schulen wurden die Menschen gelehrt, frei zu sein. Unsere modernen Schulen hingegen lehren zu arbeiten. Mit einer Rückbesinnung wäre ein erster Schritt zu einem Umdenken getan. Wenn wir es mal so sehen, könnte was viele als Bedrohung empfinden unsere größte Chance werden.

Hier noch eine Inspiration, die es vielleicht auch Ihnen wert ist, betrachtet zu werden.

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Marc Frey
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As Business Activist, Innovation and Change Facilitator and Leadership Coach my passion is to help companies and people growing to the better.