Der Gastarbeiter vom Rhein

MU_Redaktion
Münster Urban
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9 min readJun 29, 2017

Ausgabe #4 | 8. November 2016

Karl-Heinz Bonny kam als Geschäftsführer des Landwirtschaftsverlags in Hiltrup nach Münster und lebte mehr als 20 Jahre in der Stadt. Nach seinem Ausstieg mit 63 Jahren zog es den Kunstfreund wieder nach Düsseldorf. Mit einem Rheinländer, der die Stadt gut kennt, über Münster und die Münsteraner zu plaudern, hat einen besonderen Reiz. Wir trafen uns mit Bonny in der Roestbar am Bohlweg auf einen Kaffee.

Münster Urban: Sie haben sich für unser Treffen die Roestbar am Bohlweg gewünscht?

Karl-Heinz Bonny: Ja, weil sie ein tolles Café ist mit rustikalem Charme, ein buntes Publikum hat und sehr sympathisches Personal. Wir haben viele Jahre hier um die Ecke gewohnt.

Münster Urban: Sie haben mit Ihrem Team beim Landwirtschaftsverlag mit der Landlust den wohl erfolgreichsten Magazin-Neustart der letzten Jahrzehnte hingelegt und waren auch deshalb 2010 Deutschlands Medienmann des Jahres. So einen erfolgreichen Verlagsmanager und Magazin-Kenner muss man natürlich fragen, wie er Münster Urban findet …

Karl-Heinz Bonny: Mich hat gewundert, dass die Kaufmannschaft ein Magazin herausgibt. Da wittert man zuerst ein direktes, umsatzgetriebenes Interesse. Doch dann hat mich die Qualität überrascht. Das Magazin macht kein Marketing für die Kaufleute, es macht Marketing für die Menschen in Münster. Und darüber bindet es Leser. Das macht es auch noch sehr hochwertig. Für mich ist das ein kluges, lebenserfahrenes Konzept mit relevanten Themen. Ich bin sehr erstaunt, dass so was geht. Ich frage mich nur, wie lange Sie das wirtschaftlich durchhalten. Da bin ich sehr skeptisch. Vor allem glaube ich nicht an einen langfristigen Erfolg, wenn das Heft nichts kostet. Man darf nicht dauerhaft allein von Anzeigenerlösen abhängen. Die Kaufentscheidung der Leserschaft ist nämlich ein wichtiges Korrektiv.

Der „Landlust“-Erfinder blättert in der ­dritten Ausgabe von Münster Urban.

Münster Urban: Vielen Dank für die Komplimente und die offenen Worte! Sie sind Anfang der 1990 er als Verlagsmanager nach Münster gekommen, um den Landwirtschaftsverlag in Hiltrup zu führen. Wie waren Ihre Anfänge in Münster?

Karl-Heinz Bonny: Ich kam ja nicht nur als Rheinländer. Ich war ja auch noch Großstädter. Dann haben Sie bei den Bauern in Westfalen alle Pluspunkte vergeben. Da ging gar nichts mehr. Zumindest die ersten zehn Jahre nicht. Nein, im Ernst: Ich habe mich hier sehr freundlich aufgenommen gefühlt. Ich kannte die Stadt übrigens gar nicht. Ich war vor meinem Start nur zwei Mal hier zu einem Gespräch. Mit meinem Vorgänger im Verlag und bei einem Treffen mit dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden, dem Freiherrn Constantin Heereman von Zuydtwyck. Ich wusste, dass Münster eine Universitätsstadt ist. Aber als Düsseldorfer bringt man es — wie ich — sogar eher über sich, in Köln zu studieren. Das war naheliegend im dop­pelten Sinn des Wortes. Die 30 Kilometer konnte ich damals mit meinem alten VW fahren.

Münster Urban: Was waren Ihre ersten Ein­drücke?

Karl-Heinz Bonny: Der erste Blick in die Stadt war natürlich auf den beeindruckenden Prinzipalmarkt gerichtet. Besonders angesprochen hat mich aber die Stadtbibliothek. Die war damals — 1993 — gerade neu. Der Bau in seinem Umfeld mit Krameramtshaus und Lambertikirche hat mich begeistert. Der Neubau war ja sehr umstritten. Aber ich gehörte schnell zu den 50 Prozent, die den Entwurf von Bolles/Wilson herausragend fanden. Dieser Eindruck hat mich auch persönlich ermutigt. Gerade am Anfang hatte ich natürlich wenig Zeit für die Stadt. Wir hatten hier am Bohlweg eine Wohnung gefunden und ich bin früh in Richtung Hiltrup raus in den Verlag und spät wieder zurück.

Münster Urban: Wie lange haben Sie gebraucht, um sich zu akklimatisieren?

Karl-Heinz Bonny: Das braucht Zeit. Gerade in Münster. Die Aufnahme war freundlich, aber auch zurückhaltend. Der Westfale ist passiv, die Körpersprache ist gefroren. Das ist schon ein dickes Brett. Das Unternehmen hatte schon 200 professio­nelle, sehr engagierte Mitarbeiter und eine Reihe von Medien und Projekten; bald auch erste digitale Produkte. Ich habe beispielsweise gut zwei Jahre gebraucht, bis ich wusste, welches hierarchiebedingte Ja eigentlich ein westfälisches Nein ist.

Münster Urban: Der Landwirtschaftsverlag war damals vor allem das Landwirtschaftliche Wochenblatt?

Karl-Heinz Bonny: ­Nicht nur, es gab auch schon andere starke Titel, aber das Wochenblatt war die publizistische Urmutter des Verlages und ist bis heute sprachlich, fachlich und journalistisch das beste Blatt seiner Art in der Republik.

Münster Urban: Die Landlust kam erst später?

Karl-Heinz Bonny: Ja, 2005. Wir hatten bemerkt, dass sich um die Jahrtausendwende die Dinge in der Gesellschaft — auch nach 9 / 11 — verändert haben. Da wurden Themen wie der Garten oder das Häusliche plötzlich wieder sehr wichtig. Ich habe mir damals Gartenfestivals angeschaut. Bei einem der ersten auf Schloss Ippenburg in Bad Essen kamen 30.000 Besucher. Ich wollte verstehen, was da passiert. Auch in den Befragungen der großen Institute bildete sich bei den jungen Menschen ein Wandel in der sogenannten westlichen Welt ab. Karriere stand nicht mehr auf Rang 1, sondern Ehe und Familie. Man zog sich zurück — Cocooning –, kochte und backte wieder selbst. Und es wurde schick, den Garten selbst zu pflegen.

Das Magazin Landlust, vom Landwirtschaftsverlag 2005 eingeführt, wuchs auf eine Auflage von über einer Million Exemplaren und war damit das erfolgreichste neue Magazin des Jahrzehnts. Der Titel fand Nachahmer und schuf damit eine neue Gattung.

Münster Urban: Und auf diese Erkenntnis haben Sie mit dem neuen Magazin reagiert? Das erste Publikumsmagazin in einem Fachverlag war doch ein Riesenschritt?

Karl-Heinz Bonny: Ja. Und so einfach war das nicht. Wir haben viele Monate diskutiert. Als eine meiner ersten Untaten im Verlag hatte ich eine kleine Marktforschungsabteilung mit zwei talentierten jungen Experten eingeführt. Wir haben immer versucht, unsere Annahmen und Hoffnungen zu hinterfragen, respektive wenn möglich, zu belegen. Das war ein langer Prozess. Wir haben den neuen Titel auch sorgfältig konzipiert und behutsam eingeführt. Es gab dann von Anfang an eine tolle Reaktion der Leserschaft. Da war eine große Zustimmung zum Produkt. Besonderen Rückhalt hatten wir bei den organisierten Landfrauen. Davon gibt es immerhin 500.000 in Deutschland. Das sind nicht alles Bäuerinnen. Da gehören etwa auch die örtliche Apothekerin und andere dazu. Der Themenfokus war goldrichtig und passte in die Zeit. Und die Beiträge waren fachlich alle sehr fundiert — aus Sicht der Biologen, der Garten- und Landschaftsbauer, sogar der Jäger. Das schafft Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus gab es im Verlag eine lange Tradition: Die journalistische Unabhängigkeit war ein unangreifbares Postulat. Baron Heereman hat sinngemäß gesagt: Das Blatt muss den Bauern gefallen, nicht dem Bauernpräsidenten. Das müssen Sie erst mal bringen. Und das ist auch nicht typisch, wenn Sie sich in anderen Verlagen umschauen, die wie der Landwirtschaftsverlag Verbänden gehören. Er hat uns große Spielräume gelassen. Die Leser haben die fachliche Kompetenz schnell bemerkt und honoriert. Die da im Blatt über diese Welt schrieben, stammen aus dieser Welt, haben Landwirtschaft, Gartenbau und Ökotrophologie studiert. Die leben das. Diese Authentizität bekommen Sie sonst kaum hin.

Münster Urban: Die großen Verlage hatten in den 1990 er Jahren auch schon versucht, das Thema Landleben zu besetzen, und haben dabei Millionen in den Sand gesetzt.

Karl-Heinz Bonny: Die Publikumsverlage haben uns auf den Kongressen in den ersten Jahren immer ausgelacht. Wie, die Bauern können lesen und schreiben? Sechs Seiten über die Stachelbeere? Die haben sich auf die Schenkel geklopft. Das hat dann aber irgendwann aufgehört, als die Auflagenkurve kletterte und kletterte. Da haben die gemerkt, dass der Titel nicht nur für die auf dem Land ein Versprechen war. Der Name verkehrte ein Vorurteil ins Gegenteil. Es ging nicht mehr um den Frust auf dem Land, sondern darum, dass es eine Lust ist, auf dem Land zu leben. Es war genial von der Redaktion, diesen Effekt zu befördern. Das Pfund, das der Landwirtschaftsverlag einbrachte, war die Tiefe der Kompetenz bei all diesen Themen. Der Titel kam zur richtigen Zeit, war aber auch von den richtigen Leuten gemacht. Eine solche Redaktion hätten Sie in keinem Großverlag dieser Welt gefunden.

„Sechs Seiten über die Stachel­beere? Die großen ­Verlage ­haben uns in den ersten Jahren ­aus­gelacht.” (Karl-Heinz Bonny)

Münster Urban: Als die Landlust auf den Markt kam, waren Sie schon zwölf Jahre in Münster. Also sicher schon mittendrin in der Stadtgesellschaft?

Karl-Heinz Bonny: Ja, irgendwann wird auch der Westfale weich und der Rheinländer verliert seine rotzfreche Art. Ich bin bis heute Mitglied der Freunde der Kunstakademie und war dort bestimmt 20 Jahre in Vorstand und Beirat. Und ich bin noch immer Genosse bei den Volks- und Raiffeisenbanken. Meine Hauptnebeninteressen waren Kunst und Kultur. Das kam noch aus meiner Düsseldorfer Zeit, in der ich viele Menschen aus der Kunstszene kannte. Daher habe ich in Münster schnell zu den Freunden der Kunstakademie gefunden. Ich fand, dass das eine interessante Gruppe von Münsteraner Bürgern war und ist. Die sieben Jahre im Aufsichtsrat der Volksbank waren ebenfalls ein angemessener Ausgleich. Da ging es handfest um die Finanzierung von Handwerkern und den Mittelstand. So war es für mich ein Vergnügen, in bestimmten Seitenbereichen unterwegs zu sein, und das erleichterte mir den mitunter kraftraubenden Job. Die Stadt war für mich am Wochenende zum Erholen da.

Münster Urban: Sie besaßen auch über viele Jahre ein Apartment in der Lower Eastside von Manhattan. Ein Ausgleich zum beschaulichen Münster?

Karl-Heinz Bonny: Ja, das hatte sich über New Yorker Freunde ergeben. Und Manhattan ist für Kunstfans und Kulturinteressierte natürlich ein Traum. Da erreichen Sie fußläufig mehr Museen und Galerien als in jeder anderen Metropole der Welt. Hier lebt man inmitten einer atemberaubenden Dynamik und einer vielfältigen Architektur und kann an jedem Ort der Stadt einen bunten Querschnitt der Weltbevölkerung treffen. Im Landwirtschaftsverlag löste ich zu Beginn großes Erstaunen aus, als ich auf die Frage nach meinem nächsten Urlaub Manhattan genannt habe. Als Rheinländer setzt man dann gerne noch einen drauf: Mit weniger als viereinhalb Millionen Nachbarn kann ich mich nicht erholen, habe ich nachgeschoben. Die Mitarbeiter müssen innerlich den Kopf geschüttelt haben …

Münster Urban: Engagieren sich die Münsteraner ausreichend für Kunst und Kultur? Mitunter hört man Stimmen, dass es mit dem bürgerschaftlichen Engagement besser stehen könnte.

Karl-Heinz Bonny: Das glaube ich so nicht. Was ich mir wünsche, ist, dass es vielleicht private Förderer gäbe, die dazu beitragen, dass mehr Künstler in der Stadt leben möchten. Nehmen Sie die künstlerischen Professoren an der Akademie. Von denen lebt kaum einer in Münster. Ich fände es eine tolle Idee, ein Gästehaus mit Wohnateliers in Münster zu haben und einen Künstlerpreis auszuloben, bei dem es — wie es das ja auch bei Literaturstipendien gibt — dazugehört, dass die Geförderten über eine Zeit in der Stadt leben und arbeiten. Das könnte so etwas wie ein Kristallisationskern für die Stadt sein. Die Kunstakademie hat ja mittlerweile eine große Bedeutung. Und wenn man sich vor Augen hält, welche Aufnahmebereitschaft mittlerweile in dieser Stadt für junge Kunst und Künstler besteht, dann könnte es an der Zeit sein. Nicht aus Marketinggründen, sondern für spezielle Reflexionen über das Leben in dieser Stadt. Wie viele Künstler leben in Düsseldorf oder in Köln? Das sind ganz lange Traditionen. Der schlaue Fürst Karl Theodor hat vor 240 Jahren die Kunstakademie in Düsseldorf gegründet, heute immer noch eine der wesentlichen Akademien in der Welt. Im Manager-Magazin gibt’s einmal im Jahr ein Markt-Ranking der hundert teuersten Künstler. Da sind immer zwei Dutzend Deutsche darunter, und davon kommen gut zwei Drittel aus Düsseldorf und Köln. Entweder als Professoren oder als ehemalige Studenten. Münster hat bei weitem noch nicht diesen Rang. Aber man muss ja mal anfangen. Heute sind die Professoren der Kunstakademie zu knapp der Hälfte internationale Künstler. Das ist ein gutes Zeichen. Das hilft den Studenten und das wertet auch die Akademie auf. Die eben beschriebene Idee könnte ein weiterer Baustein sein, das Künstlerleben in der Stadt zu etablieren. Oder vielleicht eine andere, viel bessere Idee. Man müsste auf jeden Fall sehr langfristig denken. Das dauert Generationen. Aber warum nicht?

„Ein Gästehaus für Künstler mit Wohnateliers könnte ein Kristallisationskern für die Stadt werden.” (Karl-Heinz Bonny)

Münster Urban: Wie wichtig war der 2001 bezogene Neubau für die Kunstakademie?

Karl-Heinz Bonny: Enorm wichtig. Endlich ist man in einem sehr funktionalen Haus mit hervorragenden räumlichen und technischen Bedingungen. Die Adresse finde ich allerdings missglückt. In Münster ein Leonardo Campus? In Düsseldorf hätte mich so ein arroganter Name nicht gewundert. Aber bei den zurückhaltenden Münsteranern? Die Kunstakademie hat sich aber prächtig entwickelt. Ich glaube, dass das der Stadt guttut.

Münster Urban: Wie schätzen Sie die kulturelle Energie der Stadt ein? Ruhen sich die Münsteraner zu sehr auf den Lorbeeren der Skulptur Projekte aus, die aus der Stadt alle zehn Jahre ein wirklich internationales Pflaster der Kunstwelt machen?

Karl-Heinz Bonny: Die Münsteraner unterschätzen ihre Kulturgüter und ihre künstlerische Kraft. Da kann man ruhig selbstbewusster sein. Das Landesmuseum, das für mich übrigens immer noch ein Museum ohne drei Buchstaben davor ist,* das Picassomuseum als Beispiel für bürgerschaftliches Engagement, das mit der Unterstützung der Sparkassen zur Institution wurde, Gruppierungen wie der Westfälische Kunstverein oder auch die Freunde der Kunstakademie. Das sind vitale Zeichen. Der Picassoplatz vor dem Museum ist übrigens ein Traum. Ein hervorragendes Beispiel für gute Stadtentwicklung. Genau wie die Stubengasse. Dass einer Stadt zweimal hintereinander so eine Gewichtung gelingt! Da müssen Sie in Deutschland lange suchen, um so etwas noch einmal zu finden. Da haben der damalige Oberbürgermeister Berthold Tillmann und Stadtdirektor Hartwig Schultheiß mit ihren Teams Großes geleistet. Aber den Münsteranern fehlt manchmal die Lockerheit, besondere Leistungen anzuerkennen. Als Rheinländer muss ich ja vorsichtig sein. Aber wenn ich eine Empfehlung an die Münsteraner aussprechen darf, dann diese: „Man muss auch jönne könne“, wie wir im Rheinland sagen würden.

* Seit der Landschaftsverband Westfalen-­Lippe die Abkürzung „LWL“ als Marke ein­ge­führt hat, firmieren alle ­Landesmuseen als „LWL-Museen“. Die Umbenennung löste ­Diskussionen aus.

Text: Jörg Heithoff | Fotos: Peter Leßmann

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