Frequenzstörung

Münster Urban
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8 min readNov 15, 2017

Eskaliert der Streit um Otto Pienes Lichtplastik?

Ausgabe #7 | 15. November 2017

Dass die Lichtplastik Silberne Frequenz des ZERO-Mitbegründers und Lichtkünstlers Otto Piene an der Fassade des LWL-Museums für Kunst und Kultur durch die drei Buch­staben des Landschafts­verbands Westfalen-Lippe quasi zur Leuchtreklame wurde, erregt seit 2014 die Gemüter. Münster Urban hat berichtet. Es schien Bewegung in die Sache zu kommen. Ein Symposium zum Thema sollte „ergebnisoffen“ klären, wie es dazu kam und ob es dabei bleiben müsse. Tatsächlich lud der LWL jetzt zur Veranstaltung am 17. November und veröffentlichte gleich einen Teil der Akten. Das klingt nach Dialog und Transparenz. Münster Urban sah genauer hin und entdeckte einige Widersprüche.

„Was genau am 17. November stattfinden soll, habe ich aus der fertig gedruckten Einladung erfahren“, berichtet Tobias Viehoff, Vorsitzender des Westfälischen Kunstvereins. Dieser gehörte neben den Freunden des Museums für Kunst und Kultur und der Initiative No!Logo zur Trias, die in einem Positionspapier ein Symposium gefordert hatte. „Weder Termin noch Ablauf sind mit uns abgestimmt“, so Dr. Harald Paulus, Sprecher der Initiative No!Logo. In zwei Telefonaten Mitte Oktober sei Paulus über Termin und Struktur informiert worden, heißt es dagegen aus dem LWL. Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff- Parzinger habe dabei mit Paulus vereinbart, dass jede „Unterzeichner-Institution“ einen Vertreter fürs Podium benenne, wofür Paulus plädiert habe. „Im Programm, das ich am Tag nach dem Telefonat erhielt, war nur No!Logo vertreten, die anderen gar nicht. Wenn es diese Vereinbarung gab, warum wurde sie nicht umgesetzt? Man kann die vereinbarte gemeinsame Vorbereitung nicht in zwei Telefonaten abräumen“, meint Paulus. Von den wesentlichen Akteuren könne keiner am 17. November. Weitere Experten fehlen: Von Professor Kasper König, bekennender Gegner der drei Buchstaben im Piene-Werk, hieß es zunächst, er sei geladen. Der allerdings wusste auf Nachfrage von nichts, weilt Mitte November in New York und soll geschäumt haben. Auch die Freunde des Museums zeigten sich von der überstürzten und unabgestimmten Vorbereitung überrascht. Vorsitzender Matthias Lückertz: „So geht man nicht mit langjährigen Partnern um!“ Zudem positionierte sich Rü­schoff-Parzinger im Vorfeld deutlich. „Der Künstler wollte es so!“, titelte ein Interview in der Oktoberausgabe der Kunstzeitung. „Der Vorschlag der Drei-Buchstaben-Integration kam von Piene selbst“, so Rüschoff-Parzinger. Ein Rückbau sei eine Urheberrechtsverletzung und ein „Eingriff, der ohnehin jegliches Gefühl für bildnerische Arbeit vermissen lassen würde“. Die Kultur­dezernentin fordert: „Respektieren wir sein Vermächtnis.“ Ergebnisoffen klingt anders. Das Interview schlägt Wellen. Seither schlossen sich mehr als hundert weitere Unterstützer der Initiative an. „Durch das Interview wird die Angelegenheit in der Kunst­szene stärker wahrgenommen. So kann sich in der weiteren Diskussion die Provinzialität der damaligen, politisch motivierten Logo-Entscheidung zeigen“, so Dr. Carina Plath, stellvertretende Direktorin des Sprengel Museums Hannover und bis 2009 Geschäftsführerin des Westfälischen Kunstvereins.

Aus den Akten lässt sich belegen, dass Piene mitwirkte. Dass er die Idee hatte oder gar glühender Verfechter der Lösung war, sagen die Akten nicht. Eher, dass der Künstler unter Druck stand, wenn er seine Arbeit retten wollte. Professor Dr. Erich Franz, Pienes Ansprechpartner in der entscheidenden Planungsphase, erzählt zudem eine andere Version, wer die Idee zur Integration hatte. Wurde das Logo durch Pienes Mitwirken Bestandteil der Arbeit, wird es juristisch knifflig. Dann könnte es nur mit Zustimmung der Rechteinhaber entfernt werden. Doch selbst das ist umstritten. Laut Franz hat Piene das Logo ausgespart und berücksichtigt wie Fenster und andere Gebäudeteile. Das Werkverständnis spreche gegen die Annahme, die Buchstaben seien Teil der Arbeit. Franz sitzt am 17. November nicht auf dem Podium. Abgesehen von Pienes Mitwirkung steht für viele mehr auf dem Spiel. „Das ist ein Präzedenzfall. Ausgerechnet eine öffentliche Institution nimmt die Kunst in den Dienst. Bis zum Logo auf einer Arbeit von Richard Serra ist es da nur noch ein kleiner Schritt“, so Dr. Brigitte Franzen, Kuratorin der Skulptur Projekte 2007, heute Vorstand der Peter und Irene Ludwig Stiftung.

An dieser Stelle der Fassade kann sich Professor Dr. Erich Franz die drei Buchstaben „LWL“ vorstellen. In der Lichtplastik Silberne Frequenz von Otto Piene sind sie nach Ansicht des Kunsthistorikers eine Störung. Franz hat bis 2009 als stell­vertretender Direktor des LWL-Museums für Kunst und Kultur mit Otto Piene die Adaption der Lichtplastik verhandelt. Foto Erik Hinz

Professor Dr. Erich Franz

Der Kunsthistoriker war nach Stationen als Kurator an der Kunsthalle Bielefeld und als Ausstellungsleiter am Museum Folkwang in Essen von 1989 bis 2009 stellvertretender Direktor und Referent für die Moderne am Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, heute LWL-Museum für Kunst und Kultur. Seit 2008 lehrt der Honorarprofessor an der Kunstakademie Münster.

Jörg Heithoff: Herr Professor Dr. Franz, Sie waren selbst an der Idee beteiligt, die drei Buchstaben in das Kunstwerk zu integrieren. Sind Sie ein Fan dieser Lösung?

Erich Franz: Mich interessiert weniger die politische Dimension. Als Kunsthistoriker geht es mir um die Qualität des Kunstwerks. Da muss man leider feststellen: die klotzigen Buchstaben stören die Arbeit gewaltig. Wer sich mit Pienes Arbeit auseinandersetzt, kann darin nur eine massive Störung sehen.

Jörg Heithoff: Als der Neubau geplant wurde, stellte sich auch die Frage, was mit den Arbeiten von Piene und Albers an der Fassade des Altbaus passieren sollte. Sie waren verantwortlich.

Erich Franz: Ich wollte beide Arbeiten unbedingt erhalten. Piene wurde vom Museum aufgefordert, über eine Lösung nachzudenken. In dieser Phase noch ohne Logo. Er hat das mit großem Eifer getan und legte Entwürfe vor, die das komplette Gebäude einbezogen. Er schlug farbige Lichtströmungen vor. In dieser Form wäre das eine komplett neue Arbeit geworden.

Jörg Heithoff: Dass der Neubau auch groß als Institution des Landschaftsverbands gekennzeichnet werden sollte, war wohl früh klar. Vor allem der damalige Landesdirektor Dr. Wolfgang Kirsch soll monumentale Ideen gehabt haben. Sind die drei Buchstaben in Pienes Lichtplastik das kleinere Übel, mit dem Schlimmeres verhindert wurde?

Erich Franz: Das kann man so sehen. Eine Idee des damaligen Landesdirektors war wohl, den Popart-Künstler Robert Indiana, der die berühmte typografische Plastik Love geschaffen hat, zu beauftragen, das LWL-
Logo für die Fassade zu gestalten. Da kann ich als Kunsthistoriker nur entsetzt den Kopf schütteln.

Gegenstand der Debatte: das LWL-Logo in Pienes Lichtplastik. Eine Petitesse oder ein schädlicher Präzedenzfall? Foto Antje Vogel-Steinrötter

Jörg Heithoff: Die drei Buchstaben sind ein Politikum. Der LWL lässt sich das Museum mehrere Millionen im Jahr kosten. Im Sieger- oder Sauerland möchte man sehen, wem Münster dieses kultu­relle Flaggschiff zu verdanken hat.

Erich Franz: Dass der Landschaftsverband deutlich machen möchte, wer hinter der Institution steht, ist für mich ein berechtigtes Anliegen. Zumal die meisten Museen ja Kommunen oder Bundesländern gehören. Aber dafür gibt es eine einfache Lösung. Man könnte ein Logo an anderer Stelle an der Fassade aufbringen, etwa an der markanten westlichen Fassadenseite. Sicher gibt es dafür gestalterisch gute Lösungen mit hoher Sichtbarkeit. Zur Not auch die gleichen Buchstaben aus der Silbernen Frequenz in der gleichen Größe — lieber dort als in Pienes Arbeit.

Jörg Heithoff: Aber wie kam dann das Logo in die Plastik?

Erich Franz: Im Dezember 2008 kam es zu einem Treffen mit Piene im Büro des damaligen Kulturstaatssekretärs Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff. Das Gespräch muss für Piene niederschmetternd gewesen sein. Brieflich bestätigten Frau Rüschoff-Parzinger und Herr Arnhold dem Künstler das Ergebnis: Der Verbleib der Arbeit von 1972 an der Ecke Rothenburg/Pferdegasse könne nicht weiter verfolgt werden. Eine Arbeit an anderer Stelle, etwa im Innenhof, sei möglich. Das kam für Piene aber nicht in Frage. Ich wollte das Werk unbedingt retten. Bei einem Gespräch mit Frau Rüschoff-Parzinger und mir im Januar 2009 entstand die Idee, das Logo in die Plastik zu integrieren und so die Arbeit zu erhalten. Das habe ich Piene danach am Telefon vorgeschlagen. Für ihn war das ein berechtigtes Ansinnen.

Jörg Heithoff: Ein Logo in einem Kunstwerk ist für viele ein Sakrileg. Wieso hat Piene das akzeptiert? Dass das für ihn nicht ungewöhnlich sei, hat er ja später auch vor laufender Kamera wiederholt.

Erich Franz: Dafür muss man sich auf Pienes Kunstverständnis einlassen. Pienes Lichtplastiken waren keine Skulpturen und erst recht kein Ornament. ZERO-Kunst verstand sich nicht als materielles Objekt, sondern als Bewegung, Licht und Strömung. Pienes Arbeiten sind eine Membran, eine Durchgangsstation zwischen dem Gebäude und dem Raum. Piene wollte den begrenzten Raum in Licht und Bewegung auflösen. Daher musste sich Piene immer mit dem Gebäude auseinandersetzen und alle architektonischen Elemente wie Fenster, Laibungen, Durchgänge oder eben auch Gebäudebeschriftungen wie ein Logo berücksichtigen und verarbeiten. Ein Logo war für ihn typischer Teil eines Gebäudes genau wie ein Fenster. Vom Werk her kann man aber ausschließen, dass das Logo zu seiner transzendierenden Werk­auffassung gehört.

Jörg Heithoff: Piene klingt nicht begeistert, wurde aber laut Akten angesichts der Kritik vom Museum aufgefordert die Lösung mit Logo zu verteidigen …

Erich Franz: Piene hat dazu noch 2014 geschrieben, dass er die „pure“ Position der Kritiker im Hinblick auf die Logointegration verständlich finde, aber bei seiner Zu­sage bleibe, die Arbeit mit Logo zu unterstützen.

Jörg Heithoff: Als Piene dann das Logo integrierte, hat er Vorschläge mit teilweise sehr monumen­talen Logos gemacht …

Erich Franz: Ja. Die großen Versionen habe ich als satirisch bewertet. Wir haben uns schnell für die kleinste entschieden. Er hat aber in allen Entwürfen das Logo nicht integriert, sondern ausgespart. Die Buchstaben waren dunkel, die Konstruktion, auf der die Kugeln befestigt wurden, war unterbrochen. Das ist dann später geändert worden. Die Buchstaben sind jetzt silbern-hell und konstruktiv integriert. Da war ich aber nicht mehr beteiligt. Die ursprüngliche Va­riante war zwar auch eine Störung, aber nicht so massiv wie die jetzt realisierte. Immerhin hat die aktuelle Version den Vorteil, dass sie sich leichter demontieren lässt. Die fehlenden Kugeln müssen nur auf die Konstruktion aufgesetzt werden. Ich habe im Gespräch mit Piene immer an­gedeutet, dass die Buchstaben nicht auf Dauer in der Plastik bleiben müssten.

Jörg Heithoff: Die Demontage ist aber nicht in Sicht!

Erich Franz: Als Kunsthistoriker denke ich in Jahrhunderten. Die Lichtplastik wird dort sicher in hundert Jahren noch hängen. Bei den Buchstaben bin ich da nicht so sicher.

DIE CHRONOLOGIE

1970–72

Pienes Lichtplastik Silberne Frequenz aus 635 verspie­gelten Kugeln entsteht. Der in Bad Laasphe geborene Piene gehört zu den Mitbegründern der Gruppe Zero (1958–1966) und ist Anfang der 1970er Jahre einer der wichtigen deutschen Künstler.

2007/08

Der Neubau des Landesmuseums wird geplant. Doch was geschieht mit den beiden Arbeiten der Künstler Otto Piene (Silberne Frequenz) und Josef Albers (Zwei Supraporten) an der Fassade des Baus von 1970/71?
Zuständig im Museum ist der damalige Referent für die Moderne, Dr. Erich Franz. Otto Piene wird gebeten, über eine Adaption seiner Arbeit von 1970 nachzudenken. Er geht mit Verve an die Sache heran und möchte das Gebäude in farbiges Licht tauchen. Architekt Volker Staab rät ab und empfiehlt die mono­chro­me Realisation an der alten Stelle „in deutlichem Abstand“ zu einer geplanten LED-Lichtanlage mit dem LWL-Logo.

Dezember 2008

In einem Gespräch beim damaligen Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff eröffnen Kultur­dezernentin Rüschhoff-Thale und Arnhold dem Künstler, dass die Arbeit nicht wieder montiert wird. Beide sagen zwei Wochen nach dem Gespräch schriftlich ab. Nur ein Wiederaufbau an anderer Stelle, etwa im Innenhof, sei möglich. Das lehnt Piene kategorisch ab.

Januar 2009

Franz will das Kunstwerk an der Fassade retten. In einem Gespräch mit Rüschoff-Parzinger entsteht die Idee, das LWL-Logo in die Arbeit zu integrieren. Das schlägt Franz Piene in einem Telefonat vor. Piene betrachtet das als nachvollziehbares Anliegen. Das wiederholt er später vor laufender Kamera. Franz schreibt Piene, die Integration des Logos sei eine „entscheidende Voraussetzung“ für eine Realisation. Auch um Pienes „bunte“ Ideen ein­zufangen, betont der LWL, dass die Arbeit kein neues Kunstwerk sei, sondern das Wiederaufleben des his­torischen Kunstwerks von 1970 darstellen müsse. Piene legt Pläne vor, bei denen das Logo in unterschied­lichen Größen an der Fassade prangt. Die Buchstaben sind dabei dunkel und nicht in die Lichtplastik integriert, sondern ausgespart. Der LWL entscheidet sich für die kleinste Variante. Die Lichtplastik soll mit neuer Lichttechnik realisiert werden. Ende 2009 wird Franz pensioniert. Seine Nachfolgerin Melanie Bono übernimmt das Verfahren.

2010–2014

Der Entwurf ändert sich noch mal. Realisiert werden metallisch-silberne Buchstaben, die optisch „integrierter“ wirken. Das Logo nutzt die gleiche Konstruktion wie die Lichtplastik. Sollte das Logo entfernt werden, können die fehlenden Kugeln leicht montiert werden. Zumal diese schon im Keller des LWL-Museums lagern. Seit Fertigstellung des Neubaus und Montage der neuen, alten Lichtplastik gibt es Proteste gegen die Störung der piene­schen Arbeit. Im September 2014 wird der Neubau eröffnet. Piene erlebt das nicht mehr. Er stirbt am 17. Juli 2014 in Berlin. Er kann die Arbeit nicht mehr abnehmen.

Text und Interview Jörg Heithoff

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