Nerd is the new Black

Steffen Hessler
Nerd Is the New Black
3 min readMay 30, 2018

Die Nerdkultur erlebt seit einigen Jahren einen Aufschwung. Galten Nerds früher als Sonderlinge, die sich in ihrer Garage mit Dingen beschäftigt haben, die keiner verstand und für die sich kaum jemand wirklich interessierte, werden viele Nerds an der Spitze der weltweit größten Unternehmen wie Popstars verehrt. Mediale Auftritte werden frenetisch bejubelt. Kommt jemand von Google, Facebook, Apple etc. zu einer wissenschaftlichen Tagung, ist das so, als sei der Papst zu Gast. Die Nerds des YouTube-Senders Rocket Beans TV gewannen 2017 den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie “Beste Moderation Unterhaltung”.

“Two men working back-to-back outside with a brick wall background” by rawpixel on Unsplash

Doch auch durch andere mediale Auftritte von Nerds, wie z.B. in der Sitcom Big Bang Theory, gelangt die Nerdkultur in das allgemeine Bewusstsein. Wie viele Leute kennt Ihr, die im Jahr 2018 noch nichts von Schrödingers Katze gehört haben? Das Thema geistert durch verschiedene Medien. Sei es, dass das Gedankenexperiment in Zeitschriften oder Sendungen ernsthaft erklärt wird, oder durch Veröffentlichungen, die sich vom ursprünglichen Thema weiter entfernen. Hier wären das Videospiel Schrödinger’s Cat and the Raiders of the Lost Quark oder T-Shirts mit einer gleichzeitig toten und lebendigen Katze zu nennen. Nerdkultur ist überall — und so gelangt auch Nerdspeech in die Sprache des Alltags.

Die Sprache bestimmter Gruppen wird oft von der Allgemeinheit adaptiert. Das passiert in der Regel in recht langwierigen Prozessen und am Ende dieser Prozesse sind Begriffe fest in der Standardsprache verankert. Und das war schon immer so. Wusstet ihr, dass die Begriffe „Kneipe“ und „flott“ im 18. Jahrhundert noch jugendsprachlich waren? Vergleichbar also mit heutigem Wörtern wie „cool“ oder „chillen“. Auch diese beiden Begriffe sind heute allgemeinsprachlich, obwohl sie aus Jugendkulturen kommen. Chillen kommt aus der Technoszene und ist über diverse jugendsprachliche Bereiche in die Standardsprache gedrungen. Und mittlerweile wird der Begriff auch von sprachlichen Autoritäten wie Professoren, Politikern oder Journalisten verwendet. Voraussetzung, dass sprachliche Elemente einer bestimmten Gruppe in die Alltagssprache gelangen, ist ein gewisses Prestige der Gruppe in der Gesellschaft. Dieses ist bei der Jugendsprache beispielsweise gegeben. Die meisten Menschen möchten jung und am Puls der Zeit sein!

Wäre die Aufwertung der Nerdkultur auch eine Chance, dass IT-Security-Belange ebenfalls Einzug in das allgemeine Bewusstsein halten? Der aktuelle Stand hier ist eher bescheiden — fragt mal in eurem Bekanntenkreis. Die meisten sind der Ansicht, dass ihre Daten schützenswert sind und viele sagen, dass sie ihre Daten auch gerne besser schützen würden. Aber wer beschäftigt sich schon ernsthaft mit Phishing (oder weiß überhaupt, was das ist) oder mit sicheren Passwörtern? Die wenigsten.

Die Nerdkultur hingegen ist untrennbar mit der IT-Sicherheit verknüpft — der „Hacker“ (seltener sein weibliches Pendant, die „Haeckse“) ist gleichzeitig der prototypische Computer-Nerd und jemand, dem jedes Netzwerk offensteht und für den keine Firewall ein Hindernis ist. In einen Topf mit potenziell kriminellen Einbrechern in Computersysteme geworfen zu werden, ist vielen legalen Hackern übrigens schon seit langem ein Dorn im Auge — siehe dazu z.B. diesen Artikel: https://www.serapion.de/achtung-hackerangriff/

Aber der Protest der Betroffenen ist nie so recht in der Populärkultur angekommen. Ein „richtiger“ Hacker bricht auch in Computersysteme ein — oder weiß zumindest, wie es geht. Siehe folgende Darstellungen von Hackern aus „Sneakers — Die Lautlosen“ (1992) und „James Bond: Goldeneye“ (1995). (Man beachte auch, wie der „natürliche Lebensraum“ eines Hackers in der Regel dargestellt wird: Als fensterloser, vom blauen Licht der Bildschirme beleuchteter Raum.)

Da aber selbst die Mainstream-Medien den Hacker nicht mehr nur als verpickelten und sozial ungeschickten Kellerbewohner darstellen, sondern spätestens seit den ersten Dotcom-Millionären zugeben müssen, dass Hacker auch cool und erfolgreich sind, stellt sich die Frage: Wird damit auch die IT-Sicherheit cool?

Wenn der Nerd im Film nicht mehr als Angehöriger einer fremden Spezies dargestellt wird, die sich von kalter Pizza ernährt und mit der kein Gespräch über gemeinsame Interessen möglich ist, sondern als jemand, der beneidenswertes Vorbild ist, weil er die Welt von morgen regiert — färbt das auf unser aller Umgang mit IT-Sicherheit ab?

Dieser und verwandten Fragen werden wir in der nächsten Zeit in einer losen Reihe von Artikeln nachgehen. Wir wissen auch noch nicht, zu welchem Ergebnis wir dabei kommen werden — aber wir freuen uns, wenn Ihr in den Kommentaren mitdiskutiert!

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