Was ist das für 1 Atomprogramm? Ein schneller sicherheitspolitischer Einsteiger-Guide rund um Nordkoreas Atomraketen.
“Nordkorea scheitert mit neuem Raketentest” — titelt SPON heute morgen nachdem ein von den USA unter intensiven Drohungen stehender Raketentest letzte Nacht doch durchgeführt wurde und wohl schief ging. Der Titel scheint ins Bild zu passen und Trumps Strategie implizit zu bestätigen. Die Nuklear-Diktatoren-Loser aus Nordkorea haben es nicht geschafft. Ha ha. Jetzt zurück zum Ostereier suchen. Dritter Weltkrieg abgewendet.
Es ist mittlerweile schon 13 Jahre her, dass ich ein Buch schrieb, das den sperrigen Titel “Positive Anreizsteuerung im Atomkonflikt mit Nordkorea”, führte. Im Kern hatte ich mich damals — und in meinem Politik-Studium — mit der Frage beschäftigt, wie man widerspenstige Staaten zum Einlenken in Verhandlungssituationen bringt. Ich hatte mich vorher mit den Maastricht-Verhandlungen und GATT beschäftigt. Aber Nordkorea und die Atombombe: das war irgendwie wie intellektueller Extremsport.
Das, was jetzt in Nordkorea mit Trump passiert, ist für jemanden, der nicht in den Tiefen der sicherheitspolitischen Architektur Nordostasiens steckt, kaum en Detail nachvollziehbar. Immer wieder lese ich Kommentare wie “der Irre mit der Bombe startet den Dritten Weltkrieg”. Tatsächlich ist die Gefahr eines wirklich großen militärischen Aufeinandertreffens gar nicht so gering. Aber nicht, weil Kim jong-Un Berlin in die Luft jagt. Sondern aufgrund vieler Details, Zielkonflikte und technischer Winkelzüge, die man verstehen muss, um ein Bild zu bekommen. Ich wage deshalb mal eine Zusammenfassung der letzten 20 Jahre in Sachen Kim und die Bombe — natürlich kann das nur eine Übersicht sein. Aber vielleicht hilft es ja.
Was passiert da in Nordkorea gerade?
Seit den späten 1980er Jahren doktert Nordkorea an der Atombombe herum und an einem stattlichen Raketenprogramm. Damit ist Nordkorea natürlich nicht alleine. Neben den fünf “alten Atommächten” USA, Russland, China, GB und Frankreich gibt es ja noch den Club der inoffiziellen Atommächte wie Indien, Pakistan und Israel. Man schätzt, dass Nordkorea zur Zeit etwa 60 atomare Gefechtsköpfe haben könnte. Diese Gefechtsköpfe sind zur Zeit wahrscheinlich kleinere “klassische Atombomben” und eben noch nicht viele “große” Wasserstoff-Bomben”. Der Unterschied scheint im Zweifelfall akademisch zu wirken: ob Seoul mit einer Sprengkraft von 20 Kilotonnen oder 1 Megatonne unbewohnbar wird, bleibt zumindest für den gleich, der diesen Horror erleben muss. Dennoch liegt zwischen beiden Welten ein gewaltiger Unterschied. Den kann man sich hier mal praktisch anschauen.
Theoretisch eine Atombombe bauen zu können, ist aber nicht das Gleiche wie sie auch praktisch und glaubhaft einsetzen zu können. Man muss immer im Kopf behalten, dass Atomwaffen erstmal rein psychologische Waffen sind. Wer sie zuerst einsetzt, stirbt als zweiter, heißt es ja so schön. Da Little Kim das nicht will — es lebt sich halt doch ganz gut als dicker Diktator eines hungernden Landes, in dem man Gottkaiser ist — muss er glaubhaft machen, dass er seine Bombe jederzeit einsetzen würde. Nur darum geht es. Um nichts anderes. Der Einsatz würde nämlich seinen Tod bedeuten und das will er nicht.
Glaubhaft wird diese Drohung aber nicht, wenn die Wahrscheinlichkeit die teure Atombombe zu einem potenziellen Ziel zu bringen, gleich null ist. Und genau das war sein Problem bisher:
- Nordkoreanische Atomwaffen konnten zunächst technisch nicht so klein gemacht werden, dass sie auf Raketen passten
- Sie mussten deshalb von altersschwachen Bombern transportiert werden, die niemals zum Ziel gekommen wären (siehe unten)
- Neuere Tests haben Nordkorea wohl die Fähigkeit gegeben, Sprengköpfe auf kleinere Raketen-Typen zu schrauben
- Doch auch hier gab es bisher einen großen Nachteil: Nordkoreas frühe Langstrecken-Raketen wurden bisher flüssig betankt. Ein stundenlanger, sichtbarer, gefährlicher Prozess, bei dem eine startende Rakete einfach zerstörbar gewesen wäre. Auch hier also wenig glaubhafte Drohkulisse.
All das ändert sich aber gerade massiv. Und die Parade, die gestern zum 105. Geburtstag des Staatsgründers abgehalten wurde, war ein wesentlicher Ausdruck davon.
Kim muss jetzt aus unförmigen Atombomben der ersten Generation mit relativ geringer Sprengkraft etwas machen, was auch praktisch einsetzbar wäre: kleine Raketensprengköpfe, die er gut verstecken und schnell aktivieren kann. Sie müssten kleiner sein und deutlich mehr Explosionskraft haben. Damit wäre er in einer Liga mit den wirklich großen Atommächten. Ein drittklassiger Viertweltstaat mit der Feuerkraft einer Supermacht.
Was ist das Ziel Nordkoreas?
Nordkorea plant sicher nicht den Dritten Weltkrieg (auch wenn sie nicht müde werden zu betonen, dass das voll ihr Ding wäre).
Das heißt aber nicht, dass es nicht daran beteiligt sein könnte, ihn zu starten.
Nordkorea plant, eine glaubhafte Abschreckung aufzubauen, die seine Staatskaste schützt. Die Kims haben vom Fall Saddam Husseins und Gaddafis, aber auch von den nie implementierten Sicherheitsgarantien an die Ukraine gelernt, dass Atomwaffen politische Systeme schützen. Wer sie nicht hat, wird früher oder später gestürzt. Darum geht es den Kims.
Um das zu tun, wollen sie schnellstmöglich eine atomare Abschreckung aufbauen, die grundsätzlich Nordamerika miteinschließt. Dazu braucht es mehr als ein paar einfache Atombömbchen, die ein Doppeldecker tragen soll. Nordkorea benötigt dazu miniaturisierte Wasserstoffbomben, treffsichere Interkontinentalraketen (die nicht nur lokal sondern global treffen können), idealerweise mobil und feststoffbetankt sind.
Die Königsklasse nuklearer Proliferation ist eine U-Boot-gestützte Atomrakete, die — naheliegender Weise — noch mehr technische Herausforderungen mit sich bringt. Mit ihr könnte man ein U-Boot direkt vor Los Angeles “parken” und die Stadt jederzeit durch eine besonders kurze Flugzeit als Geisel für einen künftigen Konflikt nehmen. Genau diese Rakete wurde letzte Nacht erfolglos getestet. Würde sie funktionieren, gäb es fast keine Gegenmaßnahmen. Klingt zynisch. Aber genau das ist es, was die Großmächte durch den ganzen Kalten Krieg hindurch versucht haben.
Zurück zum Jetzt. Auf der gestrigen Militärparade wurden mal wieder verschiedene Raketentypen gezeigt, die immer auch als Zeichen der technischen Fähigkeit des Landes nach aussen da spazieren gefahren werden. Oft sind die Dinger sogar aus Pappmaché. Zwei Typen sorgten für besonders große Überraschung: die U-Boot-Rakete Pukguksong und eine neue, unbekannte Interkontintentalrakete, die feststoffbetankt sein dürfte.
Beide Raketentypen sind offensichtlich noch in der Entwicklung. Aber wenn sie fertig entwickelt sind, sind die USA grundsätzlich in einem Radius, der die Politik der USA gegenüber Nordkorea verändern würde. Nordkorea könnte amerikanische Städte theoretisch angreifen. Warum praktisch die Abschreckung, die jahrzehntelang im Kalten Krieg gehalten hat, hier versagen sollte, ist ein anderes Thema, das hier wohl zu weit führt.
Aber zieht Kim das jetzt echt durch?
Mit dem Bau weitreichender Raketen und Atomwaffen hat Kim Jong-un nicht angefangen. Andere Staaten haben das vor ihm schon gemacht. Warum sollte ausgerechnet in Nordkorea aus westlicher Sicht eine besondere Gefahr wohnen? Schließlich ist auch die Atommacht China keine menschenliebende Demokratie, die den USA sehr aufgeschlossen gegenüber steht?
Erstens, weil seine militaristische und auf klare Expansion nach Südkorea geeichte Staatsdoktrin ungleich anders als die anderer Staaten ist. So könnte eine Invasion Südkoreas an einem Punkt in der Zukunft die USA als Geisel halten. Frei nach dem Motto: wenn ihr Südkorea unterstützt, riskiert ihr einen Atomkrieg.
Zweitens, weil sein System besonders viel Geld und Ressourcen aus einem bankrotten Staat für ein exorbitant teures Atomprogramm zieht. Diese humanitäre Komponente wirkt fast schon ein wenig bizarr. Die Menschen in Nordkorea, die seit Jahrzehnten unter der Diktatur der Kims leiden, sparen sich wortwörtlich vom Munde ab, damit ihre Herrscherkaste ihr System mit unmenschlichen Waffen zementiert.
Wie geht das weiter?
Heute morgen hat Little Kim trotz Warnungen der USA eine Testrakete gestartet, die beim Start explodierte.
Unter Amerikas Trumpisten wird man das jetzt als Zeichen der Stärke missverstehen wollen. Gestern feierte man sich schließlich noch dafür, dass Nordkorea vor Trumps Militärgehabe klein beigegeben habe…
…nachdem die Trumpisten heute gesehen haben, dass dies eben nicht der Fall ist, tut man so als ob Trump die Rakete per mentaler Kraft in die Luft hat fliegen lassen und das nichts zu bedeuten habe. Das Raketenprogramm wäre eh nicht Ernst zu nehmen.
No comprende. Wie denn jetzt?
Von acht Raketentests im Jahr 2017 ist dies der dritte fehlgeschlagene Test. Ein kombiniertes Raketen-/Atomprogramm ist ein extrem komplexes technisches Unterfangen. Es liegt also in der Natur der Sache, dass es Patzer gibt. Der Patzer von letzter Nacht liefert nordkoreanischen Ingenieuren die Daten, die dazu führen, dass der neunte Raketentest erfolgreich wird.
Wie geht man damit also um?
Bis 2002 war die Clinton-Administration zunehmend erfolgreich und kurz vor Abschluss eines Programms, bei dem Nordkorea neben wirtschaftlichen Zuwendungen auch Sicherheitszugeständnisse gemacht wurden. Kurz vor Ende der Implementierung übernahm George W. Bush, der 11. September kam und die USA wurden wortbrüchig. Dem Inhalt eines Vertrages der im Rahmen einer Krise 1994 aufgesetzt wurde, wurde widersprochen, Nordkorea auf eine Liste von Feindstaaten gesetzt und das beginnende Tauwetter wurde durch radikale, idelogische Konfrontation ersetzt. Realpolitik Fehlanzeige.
Bushs Fehler zahlen wir heute mit einer Welt, die sich in der Tat an dem Konflikt in Nordkorea entzünden kann. Das Land wird weder sein Atomprogramm, noch sein Raketenprogramm einfach so aufheben. Entweder wird es v.a. durch China und ggf. eine vorsichtige Annäherung friedlich auf Spur gebracht oder die Krise, die wir jetzt erleben, wird heiß.
Dass am Ende das Ende von Nordkoreas System stehen dürfte, ist klar. Wie viele Millionen Menschen in Nordostasien, und gegebenenfalls darüber hinaus, die Paranoia des korrupten nordkoreanischen Herrscherklans und die ideologische Verblendetheit der letzten zwei republikanischen US-Präsidenten mit dem Leben bezahlen muss, mag man sich nicht vorstellen. Die Geschichte zeigt nicht zuletzt in Deutschland, dass es oft doch noch zu einem unerwarteten Happy End kommen kann. Alleine verlassen würde ich mich nicht darauf.
Wer übrigens abseits grotesker Fake-News und bizarrem Halbwissen, das rund um das Thema Nordkorea kontinuierlich verbreitet wird, gerne von echten Experten auf Stand gehalten werden will, für den habe ich eine kleine Twitter-Liste angelegt, der man hier folgen kann.