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Ukraine Bookmarks 263

#3Links3Tweets am 263. Tag des Ukraine Kriegs

Gerald Hensel
Published in
5 min readNov 13, 2022

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#3Links3Tweets ist eine regelmäßige Rubrik, in der ich alle paar Tage drei lesenswerte Long-Reads und drei Twitter Snippets zum Ukraine-Krieg aufliste. Ein Art kuratierter Mini-Presse-Reader zum schlimmsten und wahrscheinlich folgrenreichsten Krieg in Europa seit 1945 mit den subjektiv lesenswertesten Posts dazu.

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Der Ukrainekrieg am 13. November 2022

Die Kriegsführung der Ukraine stellt sich langsam auf Winterzeit ein. Russland geht weitgehend in die Defensive. Auch wenn noch schwere Schlachten im Osten toben (Bakhmut), in denen Putin tatsächlich noch ein paar Meter Gelände gewinnen will. Gleich wie: Die Einnahme von Kherson Stadt und des westlichen Dniepr Ufers bedeutet einen weiteren Triumph der Ukraine. Der vierte große Sieg der Ukraine in Folge ist eine weitere Schmach für Putin, der sich einmal mehr als Lame Duck entpuppt. Reaktionsfähigkeit? Wie immer. Drohen, verlieren, abziehen. Repeat.

Russlands Führung tun nun a) so, als habe das Desaster von Kherson an seinen Generälen gelegen und b) als wäre es gar kein ukrainischer Sieg sondern eine Regruppierung.

Man achte in dem Video 👇 auf die sauber inszenierte Choreografie, mit der sich Verteidigungsminister Shoigu von Russlands Ukraine Kommandeur Surovikin den Rückzugsvorschlag “unterbreiten” lässt. Als würden russische Kommandeure so “Vorschläge” im Fernsehen machen. Weit und breit von Putin nichts zu sehen. Der Verlust von Kherson soll als administrativer Handstreich inszeniert werden. Kritik bitte nur an die Faulenzer vor Ort.

Wer das alles geografisch nicht ganz nachvollziehen kann, 👇 eine Karte. Im Falle Khersons geht um das gelb schraffierte Gebiet unten im Süden der Ukraine. Es ist der nordwestliche Teil der Region Kherson mit Kherson Stadt als der einzigen regionalen Hauptstadt, die Russland 2022 erobern konnte. Absurderweise wurde Kherson vor wenigen Wochen von Putin “annektiert”, was in der Tat so viel mit der Realität zu tun hat, als ob Tschechien Kaliningrad annektiert.

Noch besetzt ist der südliche Teil der Region Kherson, der nun hinunter bis zur Krim reicht. Ein wichtiges Gebiet, dessen Besetzung für die Ukraine endgültig den direkten Zugriff auf Krim und Azowsches Meer bedeuten würde. Süd-Kherson zu nehmen, würde unmittelbar Russlands Herrschaft auf der Krim gefährden. Zwischen Nord- und Süd-Kherson liegt allerdings nun mit dem Dniepr ein sehr breiter Fluss, der als natürliche Barriere für die Russen dient. Da muss man ohne Brücken erstmal rüberkommen.

Gleich wie: Aktuell kommt man im Kherson Stadt nach 8 Monaten Horror aus dem Feiern gar nicht mehr raus.

Vergessen wird dabei eben auch oft, dass ukrainische Soldat:innen in den neu befreiten Gebieten oft Familien und Freunde befreien. Wie dieser junge Mann, der bei der Befreiung von Kherson kurz einen Abstecher zu seiner Oma macht.

Szenen wie in Frankreich 1944.

Drei Links: Worüber wird gerade geschrieben?

Neben Kherson merkt man die Erlahmung der westlichen Presse aktuell. Es scheint, als ob der Ukraine Krieg einerseits für die meisten Journalist:innen konfus ist und langsam schwer beurteilbar wird. Wie oft hat man schon die atomare Sau durchs Dorf getrieben (“Dirty Bomb anyone?”)? Wie oft hat man schon den Doomsday an die Wand gemalt, falls die Ukraine die annektierten Gebiete rückerobert?

Und dann tut sie es einfach und was geschieht? Gar nichts. Wie immer.

1. BBC News: “Banksy enthüllt neues Mural auf von Russen zerstörtem Gebäude in der Ukraine”, Adam Durbin, 12. November 2022

Borodjanka liegt einige Kilometer nordwestlich von Kiew. Eine kleine Stadt, die bis 2022 eigentlich nicht bekannt war. Bis der Krieg kam und die Zerstörungen den Ort in eine Trümmerwüste verwandelten. Monate nachdem die Russen zurückgeschlagen wurden, gibt es nun zumindest einen, vielleicht drei Gründe Borodjanka wieder mit etwas Positivem zu verbinden. Inmitten der Trümmerwüste ist zumindest ein offizieller Banksy aufgetaucht, vielleicht sogar drei. Eine Gymnastin, die auf den Trümmern der Stadt turnt, hat Banksy bereits bestätigt. Bei den anderen wartet man noch.

2. Wall Street Journal: “Nach Putin”, Leonid Volkov, 4. November 2022

Leonid Volkov, der wahnsinnig gut schreibende Stabschef des inhaftierten russischen Oppoistionsführers Alexei Navalny, hat ein Stück über die Zeit nach Putin geschrieben. Was passiert, wenn Putin abdankt, erschossen oder von Aliens gekidnappt wird? Was dann passiert, leitet Volkov aus der Vergangenheit her. Denn in der Sowjetunion folgten auf das Ende jeder wichtigen Führungsfigur Diadochenkriege, Chaos und eine neue Führung, die aus der alten herauswuchs — mit Chancen für liberalere Strukturen.

3. 1420: “Russ:innen reagieren auf den Verlust ukrainischer Territorien”, 1420 auf Yotube, 12. November 2022

Der Oppositionellen Kanal 1420 macht Straßenumfragen zu aktuellen Themen in russischen Städten und vor allem auch auf dem Land. Ich finde den Kanal wirklich spannend, weil er eben alle zu Wort kommen lässt: die Putin-Getreuen, die Ängstlichen und die, die offen gegen den Krieg eintreten. Offensichtlich wird nur immer wieder: die normalste Reaktion in Russland auf eine politische Frage zu reagieren, ist, mit der Schulter zu zucken. Wahrscheinlich auch die gesündeste.

Drei Tweets

1. phoenix, 4.11.2022

Auf Phoenix gab es ein längeres Interview mit dem Sicherheitsexperten Dr. Christian Mölling. In einem kurzen Ausschnitt begründet er lakonisch, warum mehr Waffen für die Ukraine der beste Weg für ein schnelles Kriegsende sind.

2. Defense of Ukraine, 11.11.2022

Das ukrainische Verteidigungsministerium hat zur Einnahme von Kherson ein ziemlich spöttisches und ziemlich gut gemachtes Video herausgebracht, das sich über Russland lustig macht. Zurückgeblickt wird auf Monate mit wirren, illegalen Annexionen, die nichts bedeuten und russischen Vizekönigen, die nicht lange Vizekönige sind. Stilecht natürlich mit Ferries Bueler Monolog. Es ist Propaganda. Aber es ist gut gemachte Propaganda.

3. paranoizes, 11.11.2022

Wenn es irgendwann ein Künstlerportrait aus diesem Krieg über jemanden geben könnte, dann über den jungen Ilya Bondarenko, der als Soldat für die Ukraine dient. Bondarenko ist gerade mal 20 Jahre alt und startete vor dem Krieg als junger Geiger eine vielversprechende Karriere, die ihn auch nach Deutschland zu Konzerten führte. Dann wurde er einberufen und spielt nun für seine Kamerad:innen meist an schwer zerstörten Orten. Seinem tiktok Kanal paranoizes sollte man folgen.

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Gerald Hensel
Neue Bellona

Neu-Hamburger, Politologe und Sicherheits-/Geschichtsfreak. Hier nur privat. Beruflich: Co-Gründer und GF bei superspring Marketing Consulting.