Mural in Tirana via Tim Judah

Ukraine Bookmarks 298

Gerald Hensel
Neue Bellona
Published in
4 min readDec 18, 2022

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#3Links3Tweets am 298. Tag des Ukraine Kriegs

#3Links3Tweets ist eine regelmäßige Rubrik, in der ich alle paar Tage drei lesenswerte Long-Reads und drei Twitter Snippets zum Ukraine-Krieg aufliste. Ein Art kuratierter Mini-Presse-Reader zum schlimmsten und wahrscheinlich folgrenreichsten Krieg in Europa seit 1945 mit den subjektiv lesenswertesten Posts dazu.

Übrigens: Wer meinem Blog Neue Bellona auf Medium folgt, bekommt alle Updates zu Sicherheitspolitik und Ukraine. Alternativ kann man mir auch auf twitter folgen. Sorry. Oder am besten gleich auf Mastodon.

Der Ukrainekrieg am 18. Dezember 2022

Seit meinem letzten Artikel vor eine Woche gab es kaum nennenswerte thematische Änderung. Nach wie vor beherrscht die Front in Bahmut und die dauernden Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur die Schlagzeilen. Augenmerk finden gerade neue mögliche Offensiven Anfang 2023, die man aber wohl eher als Innenpolitik auf beiden Seiten verstehen muss. Die Ukraine rechnet mit einer erneuten Invasion Russlands aus Weißrussland im Februar. Parallel rechnen Beobachter:innen mit einer ukrainischen Offensive auf Melitopol, womit die Krim von der Ostukraine abgetrennt würde. Aber: Alles Spekulation aktuell.

Drei Artikel, die ich kürzlich gut fand

1. New York Times: “Putin’s War: The Inside Story of a Catastrophe”, Michael Schwirtz, Anton Troianovski, Yousour Al-Hlou, Masha Froliak, Adam Entous und Thomas Gibbons-Neff, 17. Dezember 2022

Große politische Ereignisse, Kriege und Katastrophen brauchen journalistische Kartografier:innen, die ihr Zustandekommen erklären. Im Rahmen des Ukraine-Krieges gab es bisher eine fantastisch recherchierte dreiteilige investigative Serie der Washington Post, die man kennen sollte. Mit diesem Artikel zieht die New York Times nach. Sie wertet darin Telefonate, gefundene Logbücher, geleakte Emails, Briefe und Interviews aus Russland aus, die ein recht gutes Bild davon geben, wie es zu der Katastrophe der russischen Invasion kommen konnte. Ich habe selbst ein NYT Abo, aber es lohnt sich, falls man irgendwo an einer Registrierung scheitert. 👇

2. Washington Post: “Wiped Out”, Greg Miller, Mary Ilyushina, Catherine Belton, Isabelle Kurshudyan und Paul Sonne, 16. Dezember 2022

Die 200. motorisierte Schützenbrigade der russischen Armee war eine der ganz wenigen russischen Einheiten, die tatsächlich an einer der wenigen Grenzen Russlands mit der NATO stand. Spezialisiert auf den Krieg am Polarkreis war die 200. nahe der norwegischen Grenze im russischen Pechenga stationiert, um die russischen Atom-U-Boote der Nordmeerflotte zu bewachen. Dass ausgerechnet dieser vermeintlich so kritische Großverband an einer so wichtigen Stelle abgezogen wurde, zeigt, wie wenig ernst die Angst vor der NATO in Moskau war. Die 200. motorisierte Schützenbrigade wurde schon früh in die Ukraine transferiert und dort mehrfach vernichtend geschlagen. Was übrig ist von der Einheit, ist ein demotivierter Haufen mobilisierter Männer ohne Ausbildung und Material. Chronik der Desintegration eines russischen Eliteverbands. 👇

3. Correctiv: “NATO Osterweiterung: Was Russland und der Westen vereinbarten — und was nicht”, Matthias Bau und Steffen Kutzner, 12. Dezember 2022

Die Mär von der NATO-Osterweiterung als Grund für Russlands Invasion in der Ukraine spukt ja immer noch durch Talkshows und Facebook Kommentarspalten. Correctiv vollzieht hier nochmal gut nachvollziehbar, was versprochen und was nicht versprochen wurde. Tatsache war, dass die Zeit der Einigung und der 2+4 Verträge natürlich eine Zeit war, in der Vorschläge und Themen gesetzt wurden. Auch die Frage, wie weit die NATO nach Osten gehen kann, wurde diskutiert. Nichts davon wurde in einen Vertrag oder ein schriftliches Angebot gekleidet. Wer heute behauptet, dass Russland aber davon ausgegangen ist, dass ein Händedruck als Aussage dazu reicht, hat Politik nicht verstanden. Es gab nie ein formales Versprechen der NATO nicht weiter nach Osten zu gehen. Wer dieses Handelsblatt Interview mit Außenminister Lawrow aus dem Jahr 2005 liest, wird feststellen, dass Russland das damals zumindest noch genau so sah. 👇

Drei aktuelle Tweets zur Lage

1. Igor Sushko, 4.12.2022

In Deutschland wird der Hitler-Stalin Pakt (auch Molotow-Ribbeltropp-Akt) ja fast nur als Vorspiel zur deutschen Besetzung Polens in Geschichte gelehrt. Wenn überhaupt. Igor hat eine recht gute Karte publiziert, die die Größenordnung des Teufelspakts von 1939 auf sowjetischer Karte nochmal zeigt. Der Hitler-Stalin-Pakt war eben weit mehr als nur ein Deal, der den Nazis in Polen den Rücken frei halten sollte. Es war aus sowjetischer Sicht ein Deal, der ihnen weitreichende Besetzungen in Osteuropa ermöglichte.

2. US Strategic Command, 13.12.2022

Abschreckung ist ein rein psychologisches Spiel, bei dem ein Widersacher vermittelt bekommen muss, dass er mit von der Partie ist, wenn die Welt untergeht. Seit Beginn des Ukrainekriegs war es Russland, das regelmäßig mal expliziter oder mal subtiler mit Atomwaffen gedroht hat. Dass der Westen nun auch sichtbar die Zügel anzieht, zeigt dieses Bild unten. Was wir sehen, sind zwei U-Boote für ballistische Atomraketen (SSBN), die USS Tennessee vorne und ein britisches Vanguard Boot hinten. SSBNs tauchen praktisch niemals auf. Vor allem nicht zwei. In den letzten Monaten hat sich das deutlich geändert. Drei Mal wurden US-SSBNs für Social Media Fotoshoots in unterschiedlichen Kontexten präsentiert. Zwei SSBNs in einem Foto gab es wohl noch nie in jüngerer Zeit. “Nuclear Signalling” nennt man das. Im Kreml versteht man, was es bedeutet, wenn man 250 Atomsprengköpfe für ein Twitter Foto präsentiert.

3. Christoph Nübel, 14.12.2022

Christoph publiziert einen kleinen Textausschnitt aus einem CIA Bericht aus den frühen 1980ern. Da wird die Bundeswehr noch als europäisches Bollwerk gegen die Sowjets bezeichnet, als top ausgerüstet und als “effizienter” als andere NATO Partner. Times are a changing.

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Gerald Hensel
Neue Bellona

Neu-Hamburger, Politologe und Sicherheits-/Geschichtsfreak. Hier nur privat. Beruflich: Co-Gründer und GF bei superspring Marketing Consulting.