Mural, “You are East”, Kramatorsk

Ukraine Bookmarks 337

Gerald Hensel
Neue Bellona
Published in
6 min readJan 27, 2023

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#3Links3Tweets am 337. Tag des Ukraine Kriegs

#3Links3Tweets ist eine kuratierte und kommentierte Liste an Links zum Ukraine Krieg, die ich gerade lesenswert finde. Ein Art bewerteter Mini-Presse-Reader zum schlimmsten und wahrscheinlich folgenreichsten Krieg in Europa seit 1945 mit den subjektiv lesenswertesten Posts dazu.

Übrigens: Wer meinem Blog Neue Bellona auf Medium folgt, bekommt alle Updates zu Sicherheitspolitik und Ukraine. Alternativ gehen auch twitter oder mastodon. Aber da erzähle ich eben dauernd auch noch andere Dinge — unter anderem nach wie vor sehr viel über die Ukraine.

Eins vorweg

Es ist immer schwierig, eine gewisse Regelmäßigkeit ins Verfassen von Blogeinträgen reinzubekommen. In dieser Ausgabe muss ich mich tatsächlich entschuldigen, weil mein letzer Beitrag schon drei Wochen zurückliegt. Neben dem Launch meiner Marketingberatung superspring stand bei mir im Januar noch eine Renovierung an, die wirklich jede Zeit auffraß. Das ändert sich langsam wieder.

Der Ukrainekrieg am 27. Januar 2023

Ohne Zweifel ist und war das Thema der Woche die Entscheidung für die Leopard-Lieferungen an die Ukraine. Das Drama hat mehrere Dimensionen und hohe Brisanz. Von den einschlägigen Parteien und ihren Vertreter:innen aus dem politischen Narrensaum wird die Ukraine ja gerne hingestellt wie ein verwöhntes Kind im Bonbon-Laden, das sich schwere Waffen aussucht.

Tatsächlich gab es bei den ukrainischen Streitkräften großen Druck dazu, denn die Umstellung auf NATO Material ist für sie elementar. Die Panzer der ukrainischen Streitkräfte stammen vornehmlich aus sowjetischen Beständen oder sind Weiterentwicklungen davon. Eine Hälfte der Panzer ist ungefähr bereits verloren. Da die Panzer und große Teile der Logistik aus dem Land des Kriegsgegners stammen, ist es wenig überraschend, dass man sich nach anderen Lieferanten umschauen muss. Auch mit Blick auf die Langfristigkeit der Ausbildung, Logistik etc.

Hier wird es durchaus eine weitere Herausforderung für die Ukraine geben. Denn ihre Aussstattung ist schon jetzt ein Flickenteppich an Equipment. Während eine Armee, wie die Bundeswehr auf aktuell einen Hauptkampfpanzer (Leopard 2) zurückgreift, verfügt die Ukraine in drei Monaten über mindestens drei westliche Typen Panzer (Challenger, Abrams, Leopard, vielleicht LeClerc) und mindestens fünf Grundvarianten an russischen oder ukrainischen Tanks (T-62, T-72, T-80, T-90, M-84). Das sind alleine acht bis neun Panzertypen, für die unterschiedlich trainiert werden muss, die verschiedene Werkzeuge, Ersatzteile und Kraftstoffe brauchen. Die Logistik muss die Hölle sein. In Sachen Artillerie sieht es noch schlimmer aus.

Gestern, am 26.1.2023, gab es eine neue Massenattacke mit Marschflugkörpern auf die Ukraine. Besonders interessant dabei: der letzte Großangriff auf die Städte und Energieanlagen liegt tatsächlich bereits dreieinhalb Wochen zurück. Denkt man an Frequenz und Umfang aus dem November zurück, wo Russland zweimal die Woche viele, viele Dutzend moderne Marschflugkörper zu schweißtreibenden Gesamtkosten verschoss, zeigt sich, dass sich Umfang, Mix und Größe dieser Angriffe verändern. Und es verbessert sich die ukrainische Fähigkeit, sie abzuwehren: 47 von 55 Marschflugkörpern wurden abgeschossen. Keine der 24 iranischen Shahed Drohnen erreichte ihr Ziel.

There goes Russia’s Taxpayer’s Money. Das sind verdammt viele neu zu bauende Schulen und versorgte Rentner, die da in Budget verballert wurden.

Auch hier zeigt sich wieder, wie schnell sich die Realität in der Ukraine ändern. Jede “Phase” des Krieges hatte einen Modus der Kriegsführung und ein Waffensystem, das hier besonders hervortrat. Vor Kiew im Frühjahr war das die mobile Panzerabwehr, im Donbass im Sommer vor allem die Artillerie, in Kherson im Herbst war es HIMARS, die Luftangriffe im Winter wurden mit Gepard- und IRIS-Luftabwehr verteidigt. Und mit dem späten Winter werden es wahrscheinlich Panzer werden, die den neuen Bewegungskrieg begleiten werden.

Noch vor wenigen Tagen behauptete Linken Chefin Wissler im Morgenmagazin, dass das “ganz große Problem der Ukraine die Luftangriffe sind” und ihr nicht klar sei, wie die Leopard Lieferungen “dabei helfen soll”. Eine Aussage, die in ihrer Eindimensionalität wirklich beachtlich ist, denn die Ukraine hat nicht ein Problem, das mit einer Waffe zu lösen ist. Die Ukraine hat viele Probleme, die nur mit einem Mix an Waffen zu lösen ist. In Zeiten klar schwindender Fähigkeiten Russlands, mit zielgenauen Raketen im ukrainischen Hinterland Ziele zu zerstören, braucht die Ukraine schwere westliche Tanks für die nächste Phase des Krieges.

Drei Artikel, die ich aktuell empfehle

Bei meiner Ukraine-Leseliste versuche ich mich vor allem auf Artikel zu fokussieren, die einen grundsätzlichen, langfristigen Wert haben. Dazu gehörten die nachfolgenden drei Links für mich in den letzten Tagen:

1. Timothy Snyder: “Why the World Needs Ukrainian Victory” — Substack Newsletter

Der Autor, Osteuropa Experte und Historiker Professor Timothy Snyder ist eine der schlauesten und exponiertesten Intellektuellen, wenn es um die Ukraine geht. Eine Art Anti-Mearsheimer. Wer seine Bücher wie “Bloodlands” oder “On Tyranny” nicht kennt, sollte das dringend ebenso nachholen wie ein Abo seines Newsletters. In der aktuellen Ausgabe gibt er 15 Gründe für einen ukrainischen Sieg. Lesenswert.

2. New York Times: “Pentagon Will Increase Artillery Production Sixfold for Ukraine”. John Ismay und Eric Lipton, 24. Januar 2023.

Die USA versechsfachen ihre Granatproduktion. Das ist auch mit Blick auf den Rest der NATO überfällig. Denn die Ukraine verfeuert pro Monat circa 90.000 Granaten. Kommt es zu einer Offensive, sind es mehr. Die meisten dieser Granaten sind relativ dumme Waffen in Standardgrößen — etwas, das seit Jahrzehnten im Westen kaum noch produziert wird (US Los pro Monat bisher: 14.400 Granaten). Nicht nur mit Blick auf die Ukraine sondern auch mit Blick auf China und jeden anderen Konflikt bedeutet das klare Rahmenbedingungen für jede westliche Macht: der militärisch-industrielle Komplex muss sehr viel mehr Standardmunition produzieren als in den letzten Jahrzehnten, in denen man glaubte, dass ein Laptop und eine GPS-gelenkte Edelgranate reicht. Volle Depots bedeuten glaubwürdige Abschreckung — oder eben auch nicht.

3. Tagesschau: Interview mit Wladimir Putin aus dem Jahr 2008.

Es gibt diese Interviews, die sofort jedes “die NATO Osterweiterung hat Putin zur Invasion getrieben” Argument verstummen lassen. Das unten ist ebenso wie Lawrows Handelsblatt Interview von 2005 eines davon. Im nachfolgenden Gespräch mit Russlands Diktator von vor 15 Jahren spricht Thomas Roth im Umfeld des damaligen Georgien Kriegs mit Putin auch über die Ukraine. Dabei gibt es einige interessante explizite O-Töne von Putin, wie zum Beispiel:

“Die Krim ist kein umstrittenes Territorium. Dort hat es keinen ethnischen Konflikt gegeben, im Unterschied zum Konflikt zwischen Südossetien und Georgien. Russland hat längst die jetzigen Grenzen der heutigen Ukraine anerkannt. Im Großen und Ganzen haben wir eigentlich die Verhandlungen um die Grenze abgeschlossen. Es geht lediglich um die Demarkation, also um rein technische Dinge.”

Drei Tweets, die ich schlau fand

1. Frank Sauer: Frau Lambrecht und ihre Aufgaben

Wer der Meinung ist, dass mit Frau Lambrecht etwas hart ins Gericht gegangen wurde, muss sich mal vorstellen, dass ihr Ministerium im letzten Jahr kaum etwas von dem nachbestellt hat, was verteilt wurde (siehe oben. Stichwort Munition). Ein Jahr nach Beginn des größten Krieges in Europa seit 1945 bestellt das Verteidigungsministerium nichts nach, obwohl es das Geld dazu hat.

2. Amira Mohamed Ali: Aber die Helme 😱

Wir erinnern uns. Vor einem Jahr diskutierten Menschen tatsächlich noch über 5.000 Helme, die besagte Frau Lambrecht an die Ukraine schickte. Schon das war der Linken zu viel. Am 26. Januar 2022, also fast exakt vor einem Jahr, empfahl Linken-MdB Amira Mohamed Ali in einem denkwürdigen Tweet, dass man keine Schutzhelme an die Ukraine liefern darf, weil das Säbelrasseln sei. Weniger als einen Monat startete der russische Angriffskrieg und Genozid in der Ukraine.

3. Gerald Hensel: Die Sache mit den Verhandlungen

Der Esel lobt sich immer zuletzt selbst. Nachdem ich Herrn Mützenich beim Bemühen von Floskeln gesehen habe (“Kriege enden immer irgendwann mit Verhandlungen”) schrieb ich nach zwei Wutanfällen einen Thread, den ich nochmal teilen will. Realität ist nämlich, dass Kriege zwar mit Verhandlungen enden, aber es der Weg bis zu Verhandlungen ist, der darüber entscheidet, wie diese ausgehen. Logisch, oder?

Stop making history unterkomplex.

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Gerald Hensel
Neue Bellona

Neu-Hamburger, Politologe und Sicherheits-/Geschichtsfreak. Hier nur privat. Beruflich: Co-Gründer und GF bei superspring Marketing Consulting.