Was bizarr ist, geht: Nordkorea-News als Clickbait Phänomen.

Gerald Hensel
Neue Bellona
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5 min readJul 11, 2015

Wenn man sich schon relativ lange mit dem nordkoreanischen Regime beschäftigt (und Freunde hat, die das auch sehr intensiv tun), kommt man irgendwann zu dem Punkt, an dem man auch über die Methoden des eigenen Systems nachdenkt.

Kein Zweifel, dass der absurde Personenkult der Kims, die furchtbare Menschenrechtslage und die im Zusammenhang von Hungersnöten noch absurder erscheinende Mega-Armee des Landes keinerlei Sympathie bedürfen. Aber darum geht es mir hier nur bedingt.

Denn mit der zunehmenden, digital ermöglichten Viralität von Nachrichten, muss sich jedes Stück Nachricht auch an einem Clickbait-Faktor messen lassen. Und der ist in Nordkorea höher als in jedem anderen Land der Welt. Drei Faktoren sind dafür hauptverantwortlich:

  1. Nordkorea traut man mittlerweile aus verschiedenen Gründen in Sachen politischer Skurrilität wirklich alles zu.
  2. Informationen sind aus dem Westen praktisch nicht überprüfbar.
  3. Südkorea als politischer Antagonist des Nordens hat Desinformation mittlerweile zur Königsdisziplin erhoben.

Ein ideales Experimentierfeld für Propaganda aller Art.

‘Kim Jong-un verfüttert seinen Onkel an Hunde’

Beispiel gefällig?

So wurde Kim Jong Uns mächtiger Onkel Jang Song-thaek als Auftakt zu einer umfassenden Säuberungsaktion im Dezember 2013 live auf einer Sitzung des nordkoreanischen Politbüros festgenommen und wenige Tage später exekutiert.

Jang Song-thaek war ein mächtiger Apparatschik, der sich wohl über die Jahre etwas zu viel Macht angeeignet hatte und deshalb in völliger Kongruenz mit der stalinistischen Logik der Kims denunziert und dann “entfernt werden musste.”

Für die westlichen Medien reichte diese Geschichte so allerdings noch nicht.

Die Zeitung mit den vier Buchstaben wusste:

Fokus legt noch einen drauf:

Und auch der Independent kann was dazu sagen:

Interessant sind dabei zwei Dinge:

Für westliche Medien scheinen Zusätze wie “Bericht aus Nordkorea” oder “China Zeitung berichtet”, Legitimation genug zu sein, um jede aber auch jede Geschichte aus dem Land einfach zu bringen. Zweitens: die Beweisführung für die Glaubwürdigkeit der Story ist an journalistischer Sorgfaltlosigkeit kaum zu überbieten.

So schreibt Bild in ihrem oben zitierten Artikel über die Quelle dieser Nachricht: “Das schreibt die in Hongkong ansässige Zeitung „Wen Wei Po“, immerhin ein Sprachrohr der chinesischen Regierung in Peking…” Lustig nur, dass die Washington Post im Januar 2014 über den folgenden Fall folgendes schrieb:

“First and foremost, let’s consider the source. The story originated in a Hong Kong newspaper called Wen Wei Po, which oddly makes the claim without citing a source. With a couple of high-quality exceptions, Hong Kong media have a reputation for sensationalist and tabloidy stories that do not always turn out to be true. But, even by Hong Kong standards, Wen Wei Po is considered an unusually unreliable outlet. A recent study found that, out of Hong Kong’s 21 newspapers, Wen Wei Po ranks 19th for credibility. (Thanks to Asia-watcher Taylor Washburn for flagging this.)”

Wer sich für die Details dieser Desinformations-Kampagne interessiert, dem sei der Artikel “No, Kim Jong Un probably didn’t feed his uncle to 120 dogs”, empfohlen. Hier stellt Redakteur Max Fisher eine durchaus berechtigte Frage: “Why are so many people — and so many major U.S. media outlets — still willing to treat this implausible story as plausible?”

‘Kim Jong-un erschießt General mit Flak’

Nächster Fall: Generalstabschef Hyon Yong Chol wurde am 30. April 2015 in einer weiteren Säuberungswälle davongespült.

Wie Fokus und Bild auch hier laut “Agenturberichten” wissen, wurde er kurz darauf durch “Flak-Feuer” hingerichtet. Fokus kann sogar noch einen draufsetzen, denn er weiß angeblich, dass “unbestätigten Berichten zufolge” in Nordkorea “diese Methode hochrangigen Regierungsvertretern vorbehalten“ sei.

Ach, echt?

Nur wenig später schrieb die österreichische Kronenzeitung unter dem Titel: “Flak-Hinrichtung in Nordkorea nicht verifiziert”:

“Der südkoreanische Geheimdienst NIS hat eine durchwachsene Bilanz, was die Qualität seiner Berichte angeht. Einige Angaben erwiesen sich in der Vergangenheit als falsch. Der Nordkorea-Experte Cheong Seong Chang vom Sejong-Institut in Seoul hatte den NIS-Bericht über die angebliche Hinrichtung Hyons bereits am Mittwoch als “unüberlegt” bezeichnet. Es handle sich um “wackelige, unbestätigte Geheimdienstberichte”, sagte er.”

In Sachen Propaganda gerne vor der eigenen Haustür kehren…

Die Liste an entsprechenden Storys könnte ich für immer weiterführen: Egal, ob Exekution durch Flammenwerfer, Exekution durch Mörser oder — wie kürzlich-der ebenfalls anscheinend erfundene übergelaufene nordkoreanische Chemiewaffen-Experte: Nordkorea mutiert zu einem LSD-Wunderland an Freak-Meldungen, die als Click-Magnet ausreichen und deren mangelnder Wahrheitsgehalt durch den Leser dann einfach auch nicht weiter hinterfragt wird, wenn der schnelle Fix erfolgt ist.

Während wir fröhlich mit dem Finger auf die verrückten, gebrainwashten Nordkoreaner zeigen, führt uns unsere eigene Presse unter Führung von Bild, Welt und Fokus vor, und hält uns mit ihren lausig zusammenkopierten Gerüchten selbst einen Spiegel in Sachen Desinformation vor.

Was mich aber richtig, richtig, richtig ärgert, sind Viralwellen wie dieses unten stehende Bild vom Besuch Kim Jong Uns in einem Weisenhaus.

Was relativ viele Menschen anscheinend lustig fanden (neben seiner Kippe), war die Anordnung der beiden Stofftiere im Hintergrund. Tatsächlich gibt es guten Grund anzunehmen, dass völlig unbedacht handelnde Person, die diese Stofftiere so, und nicht anders, angeordnet hat — im Nachgang von tausenden Schmähtweets über den großen Führer durchaus große Probleme bekommen haben dürfte. Und diese Person dürfte noch nicht mal wissen, warum.

Aber das sieht man dann ja nicht mehr in den Medien.

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Gerald Hensel
Neue Bellona

Neu-Hamburger, Politologe und Sicherheits-/Geschichtsfreak. Hier nur privat. Beruflich: Co-Gründer und GF bei superspring Marketing Consulting.