“Das war nicht gewaltfrei!”

Die Prä-/Trans-Verwechslung in der Gewaltfreien Kommunikation

Markus Fischer
Neue Gewaltfreie Kommunikation

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Diese Situation kennt bestimmt jeder, der schon mal Seminare in Gewaltfreier Kommunikation besucht hat. Plötzlich reden alle etwas komisch, antworten kryptisch und sagen Dinge wie “Das war aber jetzt nicht gewaltfrei!”.

Vielen Neulingen in der Gewaltfreien Kommunikation unterläuft in der ersten Begeisterung der Fehler, dass sie denken, sie hätten nun die “richtige”, “lebensbereichernde”, “gewaltfreie” Sprache gefunden — und dass man nun doch bitte nur noch in “Gefühlen und Bedürfnissen” sprechen möge, weil dadurch das Leben viel einfacher, schöner und harmonischer würde.

Anhand der verwendeten Worte kann man jedoch nicht erkennen, ob jemand eine “gewaltfreie” Haltung im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation hat — oder nicht.

Das ist eine typische sog. “Prä-Trans-Verwechslung”, wie sie Ken Wilber in seiner integralen Theorie beschrieben hat.

Der Satz “Du bist doof!” kann perfekt gewaltfrei sein, der Satz “Ich bin erschöpft und brauche Unterstützunen?” kann die Kommunikationsbombe schlechthin sein.

Die einzige Unterscheidung ob gewaltfrei oder nicht, ist die Haltung und Bewußtheit aus der heraus jemand spricht und handelt. Oder in Marshall Rosenbergs Worten “If you think other people are jackals then you are the jackal” (“Wenn Du denkst, andere Menschen sind wölfisch (d.h. “nicht gewaltfrei”, ), dann bist selbst Du der Wolf”).

Nach Ken Wilber vollzieht sich jede Entwicklung, jedes Lernen in drei Stufen: Präkonventionell, konventionell, postkonventionell.

Am Beispiel des Kochens (oder jeder anderen erlernten Fähigkeit) lässt sich dies leicht verdeutlichen. Bevor man die „Regeln der Kochkunst“ gelernt hat und die Zutaten und Gewürze kennt, sind die Intention und das Ergebnis des Kochens zufällig und ungeplant — man kocht präkonventionell.

Dann lernt man die Regeln, lernt die Ingredienzien und Zutaten kennen, hält sich an Rezepte. Das Ergebnis ist nun geplanter Ausdruck der Intention, allerdings durch die Regeln / Konventionen und Rezepte eingeschränkt — man kocht konventionell.

Wenn man die Regeln integriert hat, kann man sich frei entscheiden, diese zu beachten oder nicht. Man arbeitet situativ, intuitiv, frei — trans- oder postkonventionell.

Auf die Gewaltfreie Kommunikation bezogen:

Präkonventionelle Stufe = keine Bewußtheit über Intention, Gefühle und Bedürfnisse

Wir sprechen, wie wir es gewohnt sind und unbewusst gelernt haben, ohne über die Intention und Folgen nachzudenken. Wir sind nicht bewusst, dass wir aus Bedürfnissen heraus sprechen und unser Handeln ein Versuch ist, unsere (unbekannten) Bedürfnisse zu erfüllen. Präkonventionelle Sprache, kann „hart“ oder „weich“ sein, angreifend oder nett, auf jeden Fall ist es unbewusst über die Intention und Struktur.
- Form und Struktur: unentwickelt, unbewusst
- Ausdruck der Intention ist zufällig, wenn überhaupt.

Konventionelle Stufe = formelhafte Sprache (“4 Schritte”) = technische “Gewaltfreie Kommunikation”
Der bewusste Umgang mit der Sprache führt zu einer starken Anwendung von Regeln und einer (unbewussten) Tendenz der Bewertung, obwohl man doch “nicht bewerten wollte” (z.B. zu Aussagen wie „Das war nicht Giraffisch!“).
- Form und Struktur: Klare Regeln (4 Schritte), Übungsorientiert
- Ausdruck der Intention: Entwickelt sich, begrenzt durch Regeln und Übungen

Postkonventionelle Stufe = Bewußtheit der Intention, Gefühle und Bedürfnisse = natürliche “Gewaltfreie Kommunikation”
Die Regeln sind integriert und können frei nach Situation angewandt werden. Im Kontakt mit authentischen Gefühlen und Bedürfnissen kann man sich frei verhalten und unzensiert sprechen, oder auch nach den 4 Schritten, in freier, in bewusster Wahl.
- Form und Struktur: Frei, die Regeln zu benutzen oder nicht.
- Ausdruck der Intention: Bewusster, freier, unbegrenzter Ausdruck der
Intention.

Prä-/Trans-Verwechslung in der Gewaltfreien Kommunikation
Da präkonventionell und postkonventionell beide “nicht-konventionell” sind — die eine Stufe hat noch keine Struktur und Reglen für die Formulierung der eigenen Bedürfnisse, die andere ist über Struktur und Regeln hinaus — werden sie leicht verwechselt. Das Problem ist, dass beide Stufen die gleichen Worte und Begriffe verwenden — aber aus völlig unterschiedlicher Intention und Bewußtheit heraus.

Die Intention wird jedoch nicht durch bestimmte Worte und Begriffe deutlich, sondern durch den Gesprächsprozess. Jemand der die Intention verfolgt, durch ein Gespräch Lösungen für die Bedürfnisse aller Beteiligten zu finden (und dementsprechend im Gespräch bleibt) — der handelt “gewaltfrei” im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation, unabhängig davon welche Worte diese Person verwendet und ob sie sich “in Gefühlen und Bedürfnissen ausdrückt”, oder nicht.

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Markus Fischer
Neue Gewaltfreie Kommunikation

Autor von “Neue Gewaltfreie Kommunikation” ♢Ausbilder für Coaching und Mediation ♢ On- und Offline Berater