Tschüss!

Bei „Pause machen“ denken wir an Auszeit, Erholung. Und baldige Rückkehr zur Arbeit. Doch Pause kann auch heißen, Abstand zu gewinnen, neue Wege zu erkunden, danach anders weiterzumachen. Hier stellen wir fünf Menschen vor, die von Konsum und Lohnarbeit pausieren — und dadurch neue Aufgaben finden.

Neue Narrative
Neue Narrative
7 min readFeb 6, 2019

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Von Louka Goetzke

Illustrationen: Ira Göller

Selbstversorgung: Ich will das Huhn selbst schlachten

Ralf Roesberger ist Selbstversorger, auf 2.000 Quadratmetern lebt er mit seiner Familie in Rommerskirchen am Niederrhein. Unter dem Slogan „Wenn Sie schon immer wissen wollten, was in Ihrem Leben fehlt“ erklärt er auf Youtube, wie Selbstversorgung aussehen kann. Sein Ziel ist es, mit dem Anbau von Gemüse und Obst und dem Halten von Kleintieren genug zu produzieren, um sich und seine Familie zu ernähren. So ermöglicht er seiner Familie eine Konsumpause, in den Supermarkt müssen sie nur noch sehr selten.

Alles kann Ralf in seinem riesigen Garten jedoch nicht anbauen. Rapsöl zum Beispiel lässt sich im kleinen Stil einfach nicht herstellen. Wichtiger ist ihm aber, dass er genug Kalorien produziert — denn es geht darum, zu zeigen, dass wir uns alle selbst versorgen könnten.

Was vor zwölf Jahren mit einem kleinen Schrebergarten begann, ist heute ein Vollzeitprojekt. Nach drei Wochen Abwesenheit sprießt das Unkraut und jedes Jahr, wenn die Schulferien der Kinder beginnen und sie Ralfs Zeit und Aufmerksamkeit stärker in Anspruch nehmen, „geht alles den Bach runter“. Aber so sei das, er versuche zwar seine Ernährung dem Garten anzupassen, aber auch die Gartenarbeit dem Familienleben. Trotzdem passiert es jedes Jahr, dass er und seine Frau um zwei Uhr morgens in der Küche stehen und Gemüse blanchieren, um es für den Winter haltbar zu machen.

Warum die ganze Arbeit? „Ich will, dass meine Kinder sehen, woher das Essen auf ihren Tellern kommt.“ Und er will ein Umdenken in den Köpfen bewirken. Dabei muss nicht jede*r einen Riesengarten bewirtschaften oder an Selbstversorgung denken — aber in einem Schrebergarten einen Teil der eigenen Lebensmittel selbst anbauen, das könne jede*r. Bleibt dabei auch noch Zeit für eine Pause? Der Familienurlaub sei ein andauerndes Konfliktthema, denn der lässt sich mit der Selbstversorgung nicht vereinbaren. Aber für Ralf gibt es sowieso nichts Schöneres, als beim Sonnenuntergang im Garten zu sitzen und den Vögeln zuzusehen.

Zero Waste: Mein Leben ohne Plastikmüll

Als Tami Jarvis begann, aus Tierliebe vegan zu leben und sich dadurch mehr mit den Auswirkungen ihres Konsums zu beschäftigen, wurde sie wütend. Auf sich und ihre Art, Ressourcen zu verschwenden, wegen des Strohhalms in ihrem Gin Tonic und der Plastikverpackung der Gurke aus dem Supermarkt.

Heute ist Tami eine wichtige Stimme der Zero-Waste-Bewegung und versucht, andere mit ihrem (fast) müllfreien Leben zu inspirieren. Seit zwei Jahren versucht sie, keinen Müll mehr zu produzieren. Beim Kauf von Gemüse und Obst war der Umstieg gut möglich, auf Nudeln musste sie lange verzichten: „Keinen Müll zu produzieren, ist ein Albtraum. Es frisst dich auf, dein ganzes Leben wird davon beeinflusst. Du kannst nicht einmal unterwegs einen Snack kaufen, es sei denn, du kaufst einen Apfel.“

Um diese Situation zu ändern, hat sie vor einem Jahr den Harmless Store im Norden Londons gegründet. Wer den kleinen Laden in dem knallgelben Häuschen betritt, findet nicht nur Lebensmittel wie Reis, Nudeln oder Olivenöl zum Selbstabfüllen, sondern auch kompostierbare Zahnbürsten oder eben wiederverwendbare Strohhalme. „Du musst die ganze Zeit wachsam sein. Es ist anstrengend, weniger Müll zu produzieren.“ Die Szene sei gut vernetzt und man unterstütze sich, wo es geht, müllfrei zu leben und plastikfreie Einkaufsmöglichkeiten zu gestalten. „Für eine Businesswelt geht es hier sehr ungewöhnlich zu. Andere Shops sind keine Konkurrenz, denn wir arbeiten für die gleiche Sache und sind solidarisch.“

Anderen zu helfen, weniger Müll zu produzieren, sei Tamis Leidenschaft. „Dennoch“, sagt sie, „strengt es mich unglaublich an und belastet mich, mein ganzes Leben bis heute“. Um klein anzufangen, empfiehlt sie, in einem Mülltagebuch eine Woche lang alles aufzuschreiben, was in der Tonne landet — und dann auf die drei häufigsten dieser Müllquellen in der nächsten Woche zu verzichten. Tami produziere inzwischen 90 Prozent weniger Müll als noch vor zwei Jahren und gar keinen Plastikmüll mehr.

Tiny House: Zeitwohlstand auf kleinstem Raum

Vor einem Jahr krempelte Lisa Koßmann ihr Leben um. Neben einem Masterstudium der Philosophie begann sie, sich ihr eigenes Haus zu bauen. Vom Rohbau bis zum Bücherregal über dem Bett legte Lisa überall selbst Hand an. Ihr Haus hat nur 20 Quadratmeter und auf denen will Lisa zukünftig leben. Ein Tiny House ist für sie ein Weg zu mehr Lebenszeit, mehr Zeit für das, was ihr wirklich wichtig ist, wie Zeit mit Freund*innen zu verbringen oder Bücher zu lesen. Lisa ist davon überzeugt, dass ihr Tiny House ihr das Leben ermöglicht, das sie führen möchte: unabhängig, spontan, ressourcenschonend.

Durch die Auszeit, die sie sich für den Bau ihres Tiny House genommen hatte, merkte sie, dass sie eigentlich lieber handwerklich arbeiten als am Schreibtisch sitzen will. „Vor drei Jahren hätte ich niemals gedacht, dass mein Leben heute so aussehen würde.“ Es ist Lisa wichtig, ihren Alltag selbst bestimmen zu können und durch ihr eigenes kleines Häuschen mit fahrbarem Untersatz unabhängig zu sein. „Jede Woche sieht bei mir anders aus, manchmal auch jeder Tag.“

Dabei müsse man aber bedenken, dass man dieses Haus nicht einfach irgendwo hinstellen kann. „Ein Leben im Tiny House entspricht nicht dieser romantischen Vorstellung vom mobilen Leben“, sagt Lisa. Einen Stellplatz für ein Tiny House in Deutschland zu finden, sei wegen vieler Auflagen sehr kompliziert. Doch durch die geringe Pacht, die sie für ihr Grundstücksplätzchen zahlen muss, braucht sie weniger Geld und muss deswegen weniger arbeiten.

Minimalismus: Was ich alles (nicht) zum Leben brauche

Frustriert von der Arbeitsmühle, in der er sich befand, kündigte Christof Herrmann 2006 seinen Job und brauch auf zu einer Weltreise. Unterwegs entdeckte er den Minimalismus für sich. Er sagt, ein minimalistisches Leben könne uns Freiheit, Zeit, Glück und Geld bringen. „Es ist für mich Auszeit im Alltag.“

Rückblickend sagt Christof, er habe eigentlich nie in seinem 9-to-5-Job in der IT-Branche arbeiten wollen. Mangels Alternativen und Mutes war es aber nach dem Informatikstudium der nächste logische Schritt. Trotz gutem Gehalt und Arbeitsplatzsicherheit war Christof unzufrieden. Nach fünf Jahren kündigte er Job, Wohnung sowie fast alle seine Versicherungen und schwang sich für die folgenden eineinhalb Jahre aufs Fahrrad. Während der Reisevorbereitungen stieß er auf das Thema Minimalismus, als Folge der Wohnungsauflösung verkaufte und verschenkte er einen großen Teil seines Besitzes. „Dieses Loslassen von all diesen Dingen, das war schon ein gutes Gefühl, es hat sich befreiend angefühlt.”

Die Weltreise mit dem Fahrrad bedeutete wenig Platz für Gepäck: „Ich hatte da ja den ganzen Haushalt in meinen fünf Fahrradtaschen. Und bei dem wenigen, was man dabei hat, hat man doch irgendwie alles, was man braucht. Ich habe gemerkt: Es fehlt einem eigentlich nichts.“ Etwa 10.000 Gegenstände besitzt der oder die durchschnittliche Deutsche. Nach seiner Rückkehr wusste Christof, er will deutlich weniger besitzen.

Heute wohnt er in einer kleinen Wohnung, hat noch fünf Hemden und fünf T-Shirts und verdient seine Brötchen als freier Autor. „Ich versuche, nur noch Dinge zu besitzen, die ich wirklich (ge)brauche. Ein paar schöne Erinnerungsgegenstände habe ich aber auch aufbewahrt, weil die mir Freude bereiten.“ Neben dem Verzicht auf Dinge gehört für Christof auch eine bewusste Gestaltung seiner sozialen Beziehungen zu einem minimalistischen Lebensstil: „Ich will wirklich nur Menschen treffen oder Texte schreiben, auf die ich tatsächlich Lust habe.“

Das Grundeinkommensgefühl: Eine Pause von der Existenzangst

Was wäre, wenn du plötzlich ein Grundeinkommen hättest? Jeden Monat tausend Euro auf deinem Konto, einfach so. Die politische Kampagne „Mein Grundeinkommen“ macht aus dem „Was wäre?“ Realität. Seit über vier Jahren setzen sich die inzwischen 30 Mitstreiter*innen für die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens ein. Und das auf sehr praktische Art und Weise: Mit über einer Million Unterstützer*innen und 70.000 Spenden vergeben sie alle vier bis sechs Wochen um die zwölf Grundeinkommen. Bisher haben 216 Menschen ein Jahr lang 1.000 Euro erhalten.

„Unser Grundeinkommen ist bedingungslos. Die Gewinner*innen machen die unterschiedlichsten Sachen damit. Sie reisen, bilden sich weiter, spenden es, gründen … “, sagt Christina Strohm, die alle Gewinner*innen des Grundeinkommens durch ihr Jahr begleitet. Was jedoch bei allen zuträfe: Es stelle sich Entspannung ein.

Landwirt Henrik Maaß gehört zu den glücklichen Gewinnern der Losziehung im Juli 2017. „Als wir die Mail bekamen, konnten wir es erst gar nicht fassen.“ Dann stellte sich ein Gefühl der Erleichterung und Dankbarkeit ein. Für Henrik war das Grundeinkommen eine Möglichkeit, freier zu handeln, da es ihm die Existenzangst nahm. Er engagierte sich agrarpolitisch und setzte sich für Ernährungssouveränität ein. „Mit der Pause von der Existenzangst entsteht eine Leichtigkeit“, sagt Henrik.

„Das ist das Grundeinkommensgefühl, welches wir erforschen wollen”, sagt Christina — „das, was mit den Menschen durch ein Grundeinkommen passiert.“ Jetzt schon könne sie sagen, dass die Zufriedenheit aller Gewinner*innen ansteige. Und: „Die Pause von den Existenzängsten dauert bei uns zwar nur ein Jahr, aber oft beeindruckt sie Menschen so nachhaltig, dass es ihr Leben langfristig verändert.“

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