Was an Sabbaticals gut ist — und was nicht

Ein paar Monate oder ein Jahr der Arbeit den Rücken kehren — fast jede*r Zweite hätte gerne eine längere Auszeit vom Job. Nur: Wem ist es überhaupt möglich, diesen Wunsch um­zusetzen? Und was heißt das eigentlich genau, ein Sabbatical machen?

Neue Narrative
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7 min readJan 9, 2019

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Von Louka Goetzke

Illustrationen: Patrick Mariscal

„Ich bin gerade zu Hause in meinem wöchentlichen Mini-Sabbatical“, sagt Frank Möller gleich zu Beginn unseres Gesprächs. „Nicht wundern, wenn aus dem Hintergrund ab und zu das professionelle Geschrei eines knapp Vierjährigen kommt.“ Möller hat viel Erfahrung mit Sabbaticals, gewollten wie ungewollten: einer abgebrochenen Ausbildung, auf die eine Auszeit folgte, oder einer Pause als Arbeitnehmer, weil ihm ein Burn-out drohte. Vor Kurzem hat er eine mehrmonatige Auszeit als Arbeitgeber genommen. „Als Arbeitgeber ein Sabbatical zu nehmen ist eher ungewöhnlich, aber möglich.“ Inzwischen versuche er, regelmäßig kleinere Pausen zu nehmen und zum Beispiel jede Woche zwei Werktage nicht im Büro zu sein.

Als Sabbatical-Coach berät Frank Möller heute Berufstätige auf ihrem Weg hin zu einer längeren Auszeit. „Bei einem Sabbatical geht es für viele darum, rauszukommen und etwas anderes zu sehen“, sagt er. Er bietet mit der ManaTapu GmbH Sabbaticals in Lateinamerika an, in denen Berufs­tätige ihren Lebenssinn finden können, indem sie Tiere retten oder Kinder mit Behinderung unterrichten.

Sabbaticals sind gelebter Ausdruck des Gedankens, dass Arbeit das Zentrum des Lebens ist und Freizeit die Ausnahme. Ein Sabbatical ist eine Auszeit vom Job, zur Erholung, zum Reisen, zur Betreuung von Angehörigen oder zur Umsetzung von Projekten, die im Arbeitsalltag keinen Platz haben. Der Begriff stammt aus dem Hebräischen, „schabat“ steht für „ruhen“. In der Thora ist das Sabbatjahr ein Ruhejahr für das Ackerland nach sechs Jahren Bewirtschaftung. Damals wie heute sollen durch die Pause Ressourcen nicht bis aufs Letzte aufgebraucht und dem Menschen ein Raum für Kontemplation und innere Sammlung geschaffen werden. In neuerer Zeit prägten US-amerikanische Professor*innen den Begriff im Sinne eines Forschungssemesters, in welchem die Lehre ruht. Auch an europäischen Unis ist ein solches Freisemester seit den 1990er-Jahren möglich und wird immer häufiger in Anspruch genommen, um neben dem fordernden Lehralltag auch eigene Forschungsprojekte voranbringen zu können. Bis heute ist der öffentliche Dienst in Deutschland ein Vorreiter in Sachen Sabbaticals. Für Beamt*innen aller Bundesländer und des Bundes gibt es diesbezüglich klare Regelungen, wie sie in der freien Wirtschaft kaum zu finden sind. Diese Regelungen stammen noch aus den 80er-Jahren, als wegen der Lehrer*innenschwemme gerne lange Auszeiten gewährt wurden. Aber aus welchen Gründen wollen heute immer mehr Berufstätige eine längere Auszeit nehmen?

Auszeit — wovon und wofür?

In den meisten Fällen stellt die Arbeit selbst den Hauptgrund für ein Sabbatical dar. Fast die Hälfte derer, die ein Sabbatical nehmen möchten, begründen dies mit der Erschöpfung durch ihre Erwerbsarbeit. Über 60 Prozent möchten eine Auszeit zur geistigen und körperlichen Erholung nutzen. Weniger als ein Fünftel würde die Zeit nutzen, um sich aus- bzw. weiterzubilden.

Sabbaticals sind gelebter Ausdruck des Gedankens, dass Arbeit das Zentrum des Lebens ist und Freizeit die Ausnahme.

Frank Möller beobachtet, dass immer jüngere Menschen sich ein Sabbatical nehmen. „Oft haben sie gerade das erste Arbeitsjahrzehnt hinter sich oder ihren ersten Lebensabschnitt nach der Berufsausbildung. Nach drei oder fünf Jahren bei ihrem ersten Arbeitgeber legen sie vor dem Wechsel zum nächsten ein Jahr Pause ein.“

Ein Sabbatical bedeutet meist, dass diejenigen, die die Pause einlegen, weiterhin ein Gehalt bekommen. Sie sind nach wie vor kranken- und sozialversichert und kehren nach dem Ende der Auszeit wieder zu ihrem vorigen Arbeitsplatz zurück. Heute hat etwa jede*r zehnte Berufstätige in Deutschland schon eine Auszeit im Sinne eines Sabbaticals genommen. Interesse an einem Sabbatical haben noch deutlich mehr Menschen, doch viele von ihnen stehen vor großen Hürden.

Hürde I — Das Unternehmen

Nur jedes zehnte Unternehmen bietet seinen Mitarbeiter*innen überhaupt die Möglichkeit eines Sabbaticals. Etwa die Hälfte aller Sabbatical-Anfragen in der freien Wirtschaft wird abgelehnt und ein Drittel wird nur mit Einschränkungen genehmigt. Zu diesen Ergebnissen kommt der XING Urlaubsreport, für den mehr als Tausend Arbeitnehmer*innen Anfang 2018 befragt wurden. Dabei ist sich Frank Möller sicher: „Der Nutzen von Sabbaticals für beide Seiten ist messbar.“ In bestimmten Berufen stellt die Sabbatical-Erfahrung an sich sogar schon einen Vorteil dar. Wer Erfahrung im Ausland gesammelt, Sprachkenntnisse verbessert hat und Kontakte knüpfen konnte, hat in vielen Branchen einen Vorteil.

Praktisch müssen Arbeitgeber*innen aber vor allem klären, wie sie die betreffende Arbeitskraft ersetzen können“, weiß Frank Möller — wer zum Beispiel bestehende Kundenbeziehungen weiter pflegen kann. Dazu komme auch die Angst, dass die Arbeitnehmer*innen nach der Auszeit eventuell gar nicht mehr ins Unternehmen zurückkehren. Planbarkeit sei aus Sicht der Arbeitgeber*innen am wichtigsten. Die wissen auch, dass sie „Arbeits­kräfte, die schwer zu finden sind, nicht verheizen dürfen“.

In Deutschland können Sabbaticals zurzeit fast nur über Ansparmodelle realisiert werden, die individuell mit dem oder der Arbeitgeber*in ausgehandelt werden müssen. Genutzt werden kann eine solche Option deswegen nur von wenigen Beschäftigten, die über die entsprechenden Ressourcen verfügen. Frauen sind wegen der häufigen Doppelbelastung durch Lohnarbeit und Fürsorgetätigkeiten (Care-Arbeit) oft nicht dazu in der Lage, zusätzlich auch noch auf ein Zeitkonto einzusparen. Laut Frank Möller sei es aber auch so, dass ein Sabbatical in Männerdomänen häufig schwieriger umzusetzen sei, da die Arbeitgeber*innen es dort nicht gewohnt seien, Arbeitskräfte wegen Schwangerschaftsausfällen längerfristig ersetzen zu müssen. In der Dienstleistungsbranche oder in Start-ups seien Sabbaticals häufig schon zu Beginn der Arbeitnehmer*in-Arbeitgeber*in-Beziehung Teil des Planungsziels und können in Arbeitsverträge aufgenommen werden, während im Handwerk und in gewerblichen Domänen eine längere Auszeit eher weniger gern gesehen ist.

Hürde II — Ohne Moos nix los

Ob jemand ein Sabbatical nehmen kann oder nicht, hängt neben den konkreten Regelungen am Arbeitsplatz noch von vielen anderen Faktoren ab. Eine längere Auszeit wird deutlich häufiger von höheren Gehaltsklassen in Anspruch genommen und stärker für besser bezahlte Stellen im Unternehmen gefördert. Manchmal ist ein Sabbatical schon Bestandteil des Einstellungsgesprächs, vor allem bei jungen und begehrten Arbeitskräften. Geringverdiener*innen haben fast gar keine Chance auf ein Sabbatical. Die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, und Schwierigkeiten in der Planung des Sabbaticals seien zwei große Hindernisse, die für viele Arbeitnehmer*innen eine längere Pause unmöglich erscheinen lassen, sagt Sabbatical-Coach Frank Möller. Auch wenn viele Angestellte während ihres Sabbaticals weiterhin Gehalt bekämen und sozialversichert seien, müssten sie oft den „Gürtel enger schnallen oder den Sparstrumpf anzapfen“.

Der Business Insider Deutschland schreibt, Arbeitnehmer*innen mit geringerem Gehalt seien womöglich entweder davon abgeschreckt, auf einen Teil ihres Gehalts verzichten zu müssen, oder sie seien weniger entbehrlich für ihre Unternehmen. Dabei ist belegt, dass sich viele ein Sabbatical schlichtweg nicht leisten können, weil ihnen der finanzielle Spielraum fehlt. Frank Möller ergänzt, dass auch die individuelle Verhandlungsposition entscheidend ist — Geringverdienende und wenig Qualifizierte würden dabei oft den Kürzeren ziehen: „Wer leicht zu substituieren ist, hat es schwieriger.“ In Deutschland regelt jedes Unternehmen selbst, ob Mitarbeiter*innen eine Auszeit nehmen können oder nicht. Oft treffen sie Einzelfallentscheidungen — nur wer wichtig ist, kann auch Bedingungen stellen. „Für bestimmte Berufsgruppen und Gehaltsklassen kommt ein Sabbatical gar nicht infrage“, sagt Möller.

Hürde III — Wenn der Job danach weg ist

Neben dieser Hürde hält auch die Angst um die Arbeitsplatzsicherheit viele von einer längeren Auszeit ab: die Unsicherheit, ob man seinen alten Job nach der Pause wirklich wieder aufnehmen kann. Die Sorge scheint nicht ganz unbegründet, denn ein Sabbatical kann durchaus auch schädlich für die Karriere sein: „Es kann schon passieren, dass man sich die Konkurrenz im eigenen Haus großgezogen hat“, merkt Frank Möller an. Wenn die Person, die einen während der Auszeit ersetzt hat, die eigene Arbeit besser erledigt als man selbst, müsse man sich unter Umständen erst einmal neu beweisen, wenn man wiederkommt.

Noch schlimmer: Während der Abwesenheit finden personelle Umstrukturierungen statt und auf die Auszeit folgt die Kündigung. Das kann passieren, denn: „Bei einem Sabbatical gibt es ja keinen extra Schutz wie zum Beispiel bei der Elternzeit. Bei so einer Kündigung kommen natürlich Fragen auf zur Unternehmenskultur und -ethik. Rechtlich zulässig ist sie aber“, sagt Möller.

Ein echtes Sabbatical sollte für alle möglich sein

Wegen der vielen Hürden, die bewältigt werden müssen, können sich nur manche Menschen ein Sabbatical erlauben. In Deutschland haben wir keine Strukturen, die eine bezahlte Auszeit für viele Berufstätige zugänglich
machen würden. Die Forscher*innen Philip Wotschack und Claire Samtleben vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung empfehlen daher, einen Rechtsanspruch auf ein Sabbatical einzuführen. Mit einer solchen Gesetzesänderung könnten die oben genannten Hürden adressiert werden. Eine finanziell und sozial abgesicherte Auszeit sei wichtig, damit mehr Arbeitnehmer*innen Sabbaticals nutzen können.

Doch selbst das wäre nur ein kleiner Schritt: In Belgien besteht bereits ein solcher Rechtsanspruch auf ein Sabbatical. Dort lässt sich beobachten, wie Sabbaticals häufig von Frauen in Teilzeit genommen werden, um Care- und Lohnarbeit unter einen Hut zu bekommen. In der gewonnenen Zeit werden also notwendige, aber unbezahlte Sorgetätigkeiten untergebracht. Auch in Deutschland nutzt derzeit jede*r Zehnte die Auszeit, um sich um Kinder oder andere Angehörige zu kümmern. Der Frauenanteil liegt auch hier deutlich höher. Solch ein Care-Sabbatical widerspricht jedoch der Idee einer echten Pause.

„Die Motivation für ein Sabbatical hat nicht immer nur selbst gewählte Gründe“, sagt Frank Möller. Die Realität ist also: Während der eine zum Surfen nach Australien fährt oder einen Master macht, kümmert sich die andere in ihrer vermeintlichen Auszeit um Kinder und die kranke Oma. Neben den Strukturen, die Sabbaticals für mehr Berufstätige zugänglich machen, brauchen wir deswegen spezielle Rahmenbedingungen für Geringverdiener*innen und Alleinerziehende — sodass sie ihre Auszeit tatsächlich zur Inspiration, Weiterbildung oder Erholung nutzen können. Für ein echtes Sabbatical, das allen zugänglich ist.

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