Die DSGVO und das “freie Web”

Marcel Weiß
neunetz.com Analysen
5 min readMay 14, 2018

Sascha Lobo in seiner SPON-Kolumne über die DSGVO:

Die Umrüstung ist aufwendiger als DSGVO-Verfechter es hinstellen, aber kein Hexenwerk. Trotzdem kostet sie Zeit und Geld und birgt potenziell teure Risiken, die nicht bloß auf Panikmache zurückgehen. Abmahnanwälte werden Verstöße massenhaft kostenpflichtig abmahnen, das Muster ist bekannt, das haben die DSGVO-Schöpfer zu wenig bedacht. Deshalb werden große Mengen digitaler Nebenbei-Projekte aus Furcht abgeschaltet werden: Archive, halbprivate Fachforen, historisch interessante Websites.

Die halbprivate Seite wird riskanter als die Nutzung einer Plattform, das ist keine gute Nachricht für das freie Web. Es stärkt die großen Plattformen.

Sowohl in der Datenschutzdebatte als auch bei Themen wie z.B. der ​Netzneutralität (in der US-Debatte) wird der private/halb-private/freie Teil des Webs nicht mitgedacht. Dabei ist es das Kostbarste, das das Internet der Öffentlichkeit mitgegeben hat. Gleichzeitig ist es auch das Fragilste.

Die Unternehmensseite, besonders der Blick auf heutige Startups und die noch nicht existierenden, jungen Unternehmen von morgen ist extrem wichtig. Diesen Blick versuche ich hier immer auf diese Dinge zu präsentieren, weil auch er unterrepräsentiert ist. Aber mindestens ebenso wichtig ist das freie Web, das, wenn es um Datenschutzregulierung und dadurch entstehende Kosten und Risiken geht, nicht einmal eine Lobby bei den Aktivisten hat.

Wie ich im neunetzcast 68 gesagt habe: Wir werden nicht von den Blogs erfahren, die künftig nicht gestartet werden, wir erfahren nicht von den Unternehmen, die nicht gegründet werden, wir erfahren nicht von den Foren und Angeboten, die lieber nicht gestartet werden, weil alles zu ungewiss und gefährlich ist.

Das ist immer die Gefahr von weitreichender Regulierung und auch die Herausforderung, wenn man über so ein Thema reden will.

Lobo:

Aber mir stößt vor allem der Geist des Datenschutzes auf, denn meiner Ansicht nach wird der Übergriffigkeit der Digitalkonzerne ein Paternalismus der Datenschützer entgegengesetzt. Das ist mein grundsätzliches Problem: Ein Kampf tobt darum, wer mir geilere Vorschriften machen darf. Ich sitze zwischen den Stühlen und fühle mich damit unwohl. Und ich fürchte, dass es vielen Menschen bald ebenso geht.

​Viele Menschen, die meisten™ Menschen, machen sich darüber gar keine Gedanken. Sie nutzen einfach die Dienste, die sie bereits benutzen oder die ihre Freunde benutzen. Sie klicken die Popups weg und werden unterbewusst merken, dass diese Einwilligungen auf Google und Facebook (und damit zum Beispiel auch auf Facebook-Pages) nicht mehr kommen, während sie “im Web unterwegs”, also wenn sie auf Links auf Facebook tippen, regelmäßig gegängelt werden (müssen).

Das wird eine implizite Auswirkung auf die Internetnutzung haben, die an diesen und vielen weiteren Stellen zugunsten der etablierten Angebote geht.

Desweiteren wird es sich diffus unter Bürgern (also juristischen Laien, die ein privates Web füllen würden) etablieren, dass es rechtlich sicherer ist, etwas auf Facebook oder Youtube oder Twitter zu machen, statt, zum Beispiel, eine Site mit Wordpress selbst aufzusetzen.

Ob man das gut oder schlecht findet, ist Ansichtssache. Es schränkt sicher die Vielfalt der Formate ein, während es die Plattformen stärkt. (Die öffentliche Partizipation wird nicht zurückgehen. “Nur” die eingesetzten Werkzeuge werden sich noch stärker, noch nachhaltiger verschieben. Und zwar weg vom Kleinteiligen.)

Tatsächlich werden die negativen Auswirkungen der Regeln (AGBs etc.) der großen Plattformen sehr viel weniger als Vorschriften wahrgenommen, die einem persönlich vorgesetzt werden. Währen die DSGVO sehr wohl als einschränkende Vorschrift wahrgenommen wird. Der Unterschied liegt in den persönlichen Konsequenzen: Vieles, was Facebook macht, bleibt mir verborgen und ist eben auch Teil des Ganzen, auch wenn ich jetzt zustimmen muss, Häkchen hier, Häkchen da; während Facebook mich nicht auf Geld verklagt, wenn ich etwas falsch mache. Das mag ‘unfair’ sein, aber so ist die Wahrnehmung.

Diese Wahrnehmung kann einer DSGVO egal sein, aber die DSGVO ist künftig eben auch das rostige, immer schwerer zu öffnende Gartentor zum Schrebergarten Blog/Website.

Enno Park auf t3n: “Warum die DSGVO eine Datenschutz-Karikatur ist”:

Mein Geduldsfaden riss, als Angela Merkel am Donnerstag ankündigte, nochmal über die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und ihre Umsetzung beraten zu wollen. Also demnächst nochmal alles revidieren? Nachdem wir monatelang versucht haben, die EU-Verordnung und ihre komplexen Wechselwirkungen mit anderen Gesetzen zu verstehen?

​Angela Merkels Ankündigung keine zwei Wochen bevor die DSGVO angwendet wird, ist vor allem amüsant, weil Datenschützer und Macher der DSGVO seit Beginn des Jahres Kritiker fragen, warum sie sich erst jetzt damit beschäftigen, während die DSGVO doch schon seit 2 Jahren in Kraft wäre. Dass quasi alle, die nicht beruflich oder in ihrer Freizeit etwas mit Datenschutz machen, sich erst seit diesem Jahr mit der DSGVO beschäftigen, sogar die Kanzlerin, könnte einen Hinweis auf die Antwort liefern.

Park:

„Wir“, das sind Blogger, Arztpraxen, Fotografen, Onlinehändler, Influencer, Buchhaltungsbüros, Journalisten, Youtuber, kleine und große Vereine, Open-Source-Entwickler, Webdesigner, Coaches, Aktivisten, Berater oder Seelsorger — also genau diejenigen, die ganz offenbar immer wieder durch Datenmissbrauch auffallen und dringend mal strenger reguliert werden müssten.

Das private/teil-private Web. Die Gesellschaft hinter der vernetzten Öffentlichkeit.

Klar, die DSGVO reguliert auch die „Großen“. Aber wieviel ist eine Datenschutzreform wert, die Facebook gleich mal verwendet, um seinen Nutzern die automatische Gesichtserkennung unterzujubeln? Wie Sascha Lobo in seiner Spiegel-Online-Kolumne schreibt, ist „Hier klicken, sonst können Sie Google nicht weiterverwenden“ schon fast eine Drohung, während „Hier klicken, sonst dürfen Sie die alternative Suchmaschine Findevogel nicht mehr nutzen“ ein Witz ist.

Ich hatte es oben (und auch an anderen Stellen hier auf neunetz.com) bereits angedeutet: Die Macher der DSGVO haben sich zu wenige Gedanken über die Makro-Implikationen ihres Machwerks gemacht. Das merkt man auch deutlich in Gesprächen mit ihnen. Selbstzufriedenheit und Kritikresistenz (letztere ist sicher ein Resultat der Lobbyschlachten) mischt sich mit Genugtuung, dass Facebook die DSGVO auf einmal doch nicht mehr so schlimm finde; alles natürlich sehr stark gewürzt mit einem überraschend starken Missverständnis der digitalen Märkte. (Sonst wäre man zum Beispiel über Facebooks völlig vorhersehbaren Schwenk nicht überrascht.) Gleichzeitig schwingt eine leichte Grundaggression gegenüber allen kritischen Stimmen mit.

Dieses Verhalten hat auch Techdirt beobachtet:

But the larger issue to me is how this is increasingly splintering the internet, and doing so in a way that we’re not entirely prepared for. The GDPR has significant problems — even if it does also have some good stuff. The fact that it feels like supporters of the GDPR refuse to fix the problems seems troubling. It’s going to have quite an impact and there seems to be little concern among those who support it. They automatically default to the idea that opposing the GDPR means that you want to do something bad, no matter how inaccurate that statement is.

It would have been much better if those crafting the GDPR had actually bothered to listen to the wider concerns. And, barring that, if they hadn’t made the reach of the law go so far beyond EU borders where it will rule over the internet and the rest of us have to deal with. They could have preserved some of the good ideas concerning control and transparency, without creating so much of a mess for everything else. But they chose not to, and now we’re all going to leap off the cliff together and see how everyone ends up.

Enno Park auf t3n weiter:

Alternative Anbieter wie Diaspora oder Mastodon, die graswurzelartig von den Nutzern selbst betrieben werden, stehen vor kaum lösbaren Problemen: Wie etwa soll das in der DSGVO verankerte „Recht auf Vergessen“ auf derart verteilten Plattformen eigentlich umgesetzt werden?

​Ich habe nachgeschaut. Auf netzpolitik.org gibt es keinen Eintrag, wie Mastodon unter der DSGVO funktionieren soll. Es gibt auch keinen Eintrag zu Diaspora und DSGVO. Beide Netzwerke werden allerdings regelmäßig als Alternativen zu Facebook und co. angepriesen. (Die DSGVO wird natürlich konstant begleitet.)

Nicht nur das freie, halbprivat durchmischte Web steht allein da: Wenn es hart auf hart kommt, also um Datenschutz geht, hat auch das dezentrale Web keine Unterstützung von den Internetaktivisten in Deutschland zu erwarten.

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Marcel Weiß
neunetz.com Analysen

Ich denke, rede und schreibe über das Internet. (Senior Strategy Analyst bei excitingcommerce.de, Blog: neunetz.com, Podcasts: neunetz.fm)