Tesla: 1 Tod nach 130 Mio. Meilen, Menschen: 1,08 Tode auf 100 Mio. Meilen

Marcel Weiß
neunetz.com Analysen
5 min readJul 5, 2016
Tesla

heise:

Nach dem ersten tödlichen Unfall mit einem vom Computer gesteuerten Auto rücken die Fähigkeiten des Autopiloten von Tesla in den Mittelpunkt. Der Elektroauto-Hersteller erklärte am Wochenende, das System habe den querenden Lastwagen-Anhänger, unter den der verunglückte Tesla raste, für ein hochhängendes Straßenschild gehalten.

Der Fahrer des Tesla Model S kam ums Leben, als die Unterkante des Anhängers die Windschutzscheibe traf. Der Tesla fuhr danach nach Angaben der Polizei zunächst weiter, kam von der Fahrbahn ab und traf einen Strommast.

Martin Oetting (ehemals trnd), selbst Eigentümer eines Tesla Model S, im Techniktagebuch über den ersten Unfalltod mit einem (mehr oder weniger) ‘selbstfahrenden’ Auto:

Gestern bin ich 600 km von Berlin nach München gefahren. Da bewegt sich das Auto ziemlich gelassen bei 130 km/h durch lange Autobahnkurven, bremst ab, wenn ein anderer vor mir in der Spur 120 km/h fährt, und wechselt die Spur, wenn ich den Blinker setze.

In unregelmäßigen Abständen fordert es mich allerdings auf, die Hände ans Lenkrad zu legen — falls ich es nicht tue, fängt der Wagen an zu piepen und bremst ab. Denn eins ist klar: der Autopilot soll niemals für sich allein fahren. Ein Nickerchen zu machen, sich in sein Handy oder gar in eine Tageszeitung zu vertiefen, ist nicht vorgesehen. Trotz Autopilot bin und bleibe ich der Fahrer. Und das teilt mir das Auto auch unmissverständlich mit. (…)

Denn bei der Faktenlage, die wir derzeit haben, könnte es sein, dass der Fahrer dank des Autopiloten womöglich eine größere Überlebenschance hatte — nur hat halt auch diese nicht gereicht. Wir wissen jedenfalls nicht genau, wie es zu dem Unfall gekommen ist. Aber sollte das System hier den Fehler gemacht haben, dann hätte zunächst der Eigentümer die Schuld: Am Steuer muss man am Ball und aufmerksam bleiben. Und wenn wir die Zahlen zu den Verkehrstoten heranziehen, die täglich auf den Straßen der Welt sterben, weil Menschen Fehler machen, steht eh kein Stein mehr auf dem anderen.

Zugegeben, der Autopilot von Tesla ist vielleicht etwas mutig benannt. In Deutschland nennt man so etwas eher “Fahrassistenz-System”. Aber das macht nicht wirklich große Lust darauf — für mich klingt es ein wenig, als müsse man zunächst bei einer Behörde dreizehn Formulare ausfüllen. Amerikaner haben’s nicht so mit den Formularen und wollen lieber Lust auf ihre Produkte machen. Also nennen sie es eben Autopilot. Das Problem könnte dann vielleicht darin liegen, dass der Name manchen Leichtsinnigen suggeriert, das Auto würde die Fahrerei komplett übernehmen. Aber diese haben dann wirklich alle Anweisungen von Tesla missachtet. Und zudem vergessen, dass selbst bei den hochprofessionellen Autopiloten der zivilen Luftfahrt Piloten immer dabei sind.

Ich werde weiter meinen Autopiloten einsetzen. Und Acht darauf geben, was das Auto damit so anstellt, um immer eingreifen zu können. Denn je mehr mein Auto von mir lernt, an welchen Stellen es vielleicht noch besser werden kann, desto besser wird die künstliche Intelligenz von Tesla. Und umso sicherer werden mittelfristig unsere Straßen.

Die teils hanebüchenen Reaktionen, die zum teil sogar selbstfahrende Autos und Elektromobilität dergestalt in einen Topf werfen, dass so ein Unfall ein Argument gegen E-Automobile wäre, waren zu erwarten. Ein Vorgeschmack auf das was kommt.

Notwendig wäre es, die Unfallraten (semi-)autonom fahrender Fahrzeuge mit denen von Menschen gesteuerten Fahrzeugen zu vergleichen, um irgendein Urteil fällen zu können. Gerade Tesla, das jetzt Erfahrungen mit seiner Betaphase sammelt, sammelt auch Millionen Meilen die mit bestehenden Unfallstatistiken verglichen werden können. (Im Gegensatz zu zum Beispiel Google, das nur auf dem Testgelände fährt.)

Man kann es direkt vergleichen: Tesla “Autopilot” liegt bei über 130 Millionen gefahren Meilen in den USA. Nun hat es leider den ersten Unfalltod gegeben.
Bei von Menschen gesteuerten Fahrzeugen in den USA liegen die Unfalltode per 100 Millionen gefahrener Meilen je nach Bundesland entweder gleichauf oder, und das ist die Regel, höher und sogar sehr viel höher, laut Zahlen der Federal Highway Administration der USA:

There were 29,989 fatal motor vehicle crashes in the United States in 2014 in which 32,675 deaths occurred. This resulted in 10.2 deaths per 100,000 people and 1.08 deaths per 100 million vehicle miles traveled. The fatality rate per 100,000 people ranged from 3.5 in the District of Columbia to 25.7 in Wyoming. The death rate per 100 million vehicle miles traveled ranged from 0.57 in Massachusetts to 1.65 in South Carolina.

(Hervorhebung von mir)

Eine Betrachtungsweise, die von deutschen Publikumsmedien eher nicht zu erwarten ist.

Tesla selbst verweist (von der Geschwindigkeit her ein bisschen pietätlos) auf diese Zahlen:

This is the first known fatality in just over 130 million miles where Autopilot was activated. Among all vehicles in the US, there is a fatality every 94 million miles. Worldwide, there is a fatality approximately every 60 million miles.

The Wall Street Journal (paywall):

Even before Thursday’s disclosure, people working on driverless cars worried that Tesla’s Autopilot was an accident waiting to happen. “Anyone who has worked in this area realized that this was inevitable,” said Mr. Pomerleau, who said he sold his Tesla stock when Autopilot was announced.

Tesla contends its system is safer than conventional automobiles, noting the crash was the first fatality in over 130 million miles driven with Autopilot and that the feature “results in a statistically significant improvement in safety when compared to purely manual driving.”

Was der Unfall, die anschließende öffentliche Debatte und Regulierung der Technologie befeuern werden, ist die bereits laufende Branchendebatte, welcher Weg zur Autonomie der Fahrzeuge der richtige ist:

Alphabet has been testing autonomous technology for several years, for instance, and consistently said it believes driverless cars must be fully autonomous to meet its safety standards. The company says semi-autonomous systems that require drivers to sometimes take control of the car can be unsafe because drivers put too much trust in the machine and can’t retake control if needed.

Alphabet has asked NHTSA to weigh in on whether its cars can omit steering wheels, and it is testing a prototype without pedals. That vehicle has only a large green “Go” button and a red “Stop” button. That sort of fully autonomous car is harder to design and perfect, “but it’s the right thing to do,” Alphabet research-lab chief Astro Teller said in a speech last year.

Nick Bilton (Vanity Fair, ehemals New York Times), fasst die (vorhersehbar gewesene) Medienhysterie so zusammen:

1.3 million people die a year in car accidents. Yet, 1 person dies in a Tesla on autopilot and people decry driverless cars as unsafe.

Originally published at neunetz.com.

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Marcel Weiß
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Ich denke, rede und schreibe über das Internet. (Senior Strategy Analyst bei excitingcommerce.de, Blog: neunetz.com, Podcasts: neunetz.fm)