New Work braucht Inner Work, Teil 10: Was haben wir bislang erreicht?

joana breidenbach
New Work braucht Inner Work
5 min readNov 12, 2016

In den vorherigen neun Artikeln haben wir die „innere Dimension“ des Team Transformer Prozesses detailliert beschrieben. In diesem letzten Teil ziehen wir — Bettina und Joana — ein vorläufiges Fazit.

Unsere Bilanz:

Ein Jahr nachdem wir ernsthaft mit der Entwicklung zu einem selbstorganisierten Team ohne Chef gestartet sind, ist unsere Bilanz überwiegend positiv. Hier ein paar der wichtigsten Punkte:

· Zusammengewachsenes Team, offene, konstruktive, auch kritische Kommunikation.

· Erfolgreiche gemeinsame Verhandlung der Gehälter.

· Starke inhaltliche und persönliche Weiterentwicklung einzelner Teammitglieder

· Das Team ist in den letzten Monaten vertriebsstark geworden: der Fokus der Arbeit verändert sich etwas, da Joana nicht mehr maßgeblich Vertrieb macht. Richtung: länger angelegte Programme mit guten Partnern.

· Die Art von Innovation ändert sich organisch mit der jeweiligen Zusammensetzung der Mitarbeiter. Während unter Joanas Ägide die meisten Projekte aus der eigenen Mitte entstanden und erst im nachhinein dafür Partner gesucht (und nicht immer gefunden) wurden, geht das neue betterplace lab häufiger auf Anfragen ein, die von anderen Partnern kommen. Die Arbeit wird anschlussfähiger.

· Das neue Team wurde um neue Mitarbeiter erweitert und insbesondere mit Carolin Silbernagl kam jemand ins Team, der wichtige Funktionen von Joana übernehmen konnte und zudem die Anforderungen der Aktionäre und der Außenwelt erfüllt.

· Carolin meistert erfolgreich den Spagat zwischen „normalem Teammitglied“ und „Gesamt-Vertreterin des Labs nach außen“. Obwohl sie als Mitglied des betterplace Vorstands formell den anderen Teammitgliedern übergeordnet ist, gelingt es ihr im Operativen keine Sonderstellung einzunehmen.

· Teammitglieder zeigen eine hohe Selbstreflektion. Diese geht so weit, dass sie sich vom Team verabschieden, wenn sie sehen, dass ihre Kompetenzen und individuellen Bedürfnisse in der neuen Teamstruktur keinen Platz finden, bzw. das das „neue Lab“ andere Kompetenzen braucht als sie gerade anzubieten haben.

Alle diese Entwicklungen bedeuten, dass das neue Team ab 2017 wirklich gut alleine operieren kann. Joana wird zwar auch weiter dem Team als Beraterin zur Verfügung steht. Dies ist aber zum ersten Mal wirklich optional.

Was sind typische Stolpersteine für eine Entwicklung zu einer selbstorganisierten Organisation?

Neben diesen vielen positiven Entwicklungen gibt es ein paar, die uns kritisch erscheinen:

· Eine auf Selbstorganisation basierende Organisation muss sich ständig weiterentwickeln. Wir sind Pioniere und können uns nicht auf die Erfahrungen vieler anderer Vorbilder beziehen. Dieses ständige Wachsein und Offenheit für Veränderungen kann anstrengend sein. Kaum glaubt man einen Prozess festgelegt zu haben, schon erweist er sich beim ersten Durchlauf als ungenügend und muss verbessert werden. Von jedem Einzelnen wird daher ein hohes Maß an Wachheit und Flexibilität erwartet.

· Der Prozess kostet Geld. Gerade zu Anfang muss man viel Zeit damit verbringen, neue Prozesse, Strukturen und Rollen zu entwickeln. Auch die innere Arbeit, die wir hier besprochen haben, kostet Zeit = Geld. In Zukunft müssen wir effizienter werden.

· Selbstorganisation ist nicht für alle Mitarbeiter geeignet. Es gibt Menschen — und dies ist völlig wertfrei zu verstehen — denen ein solches System zu wenig Sicherheit oder Kontrollmöglichkeit bietet. Andere sind davon überzeugt, dass sie es immer besser wissen und sich deshalb durchsetzen sollten. Für besonders Gruppenaffine Menschen mit einem hohen Harmoniebedürfnis gibt es in dieser Organisationsform zu wenig Konsensentscheidungen, denn einzelne Mitarbeiter sind in vielen Bereichen sehr autonom.

· Der fundamentale Unterschied zwischen hierarchiefreien, konsensorientierten Teams und kompetenzbasierter Selbstorganisation ist für viele schwer zu verstehen. Er ist aber essentiell für den Erfolg: denn erstere Teams neigen dazu sich auf dem kleinen gemeinsamen Nenner zu treffen und der Exzellenz des Einzelnen nicht gerecht zu werden. Das das betterplace lab in diese Richtung geht, ist persönlich Joanas größte Sorge. Um der Konsensfalle zu entgehen müssen Mitarbeiter zu ihrer eigenen Exzellenz finden. Joanas größtes Asset ist, das andere sie interessant finden. Interessante Menschen wollen mit interessanten Menschen zusammenkommen und in diesem Umfeld kann Überdurchschnittliches entstehen. Dies ist im Zweifel ein längerer Prozess der Selbstfindung und kann nur schwer von außen verordnet werden.

· Bei einer Krise droht der Rückfall in alte Muster.

· Formaljuristische Herausforderungen: wie sieht die Schnittstelle zum alten System aus? Wie geht es, dass ein Teammitglied rechtlich eine wesentlich stärkere Verantwortung trägt? Bei uns ist das Carolin, die im Vorstand der gut.org sitzt und damit rechtlich allen ihren Kollegen übergeordnet ist.

· Gibt es einen belastbaren Konfliktbearbeitungsprozess und sind die Teammitglieder wirklich fähig ihre Konflikte offen auszutragen? Oder dominiert eine auf Harmonie und Konsens ausgerichtete Kultur?

· Wer hält den Raum für die ungewöhnliche Organisationsform? Laloux beschreibt als die einzige unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiche selbstorganisierte Unternehmen, das es ganz oben in der Unternehmensleitung jemand geben muss, der sich für diese Arbeitskultur einsetzt und voll hinter ihr steht. Bei betterplace heißt das, das im Vorstand und Aufsichtsrat Befürworter sitzen müssen. Momentan ist das gegeben, da Carolin im Vorstand und Joana im Aufsichtsrat sitzen. Sollte es hier jedoch zu personellen Veränderungen kommen, ist das System potentiell in Gefahr.

Ausblick

Der eingeschlagene Weg hin zu einer „türkisen“ Organisation (Laloux) ist ein offener, sehr dynamischer Prozess ohne absehbares Ende. Das betterplace lab Team geht dabei einen Schritt nach dem anderen — macht Fehler, adjustiert Arbeitsschritte, wächst in neue Kompetenzen und Kapazitäten hinein. Da es bislang nur wenige Unternehmen gibt, die mit flexiblen, kompetenzbasierten Hierarchien arbeiten, gibt es für uns nur wenige Vorbilder. Zugleich wächst die Zahl der Organisationen, die sich für neue, selbstorganisierte Arbeitsformen interessieren und es entstehende neue, spannende Austauschplattformen wie Reinventing Organisations Plattform und Teal for Startups Meetup Berlin. Für diese entstehende Community haben wir unsere betterplace lab Verfassung veröffentlicht und die dabei gewonnenen Erfahrungen in dieser Artikelserie detaillierter beschrieben.

Das betterplace lab Team wird weiter lernen noch transparenter miteinander zu kommunizieren und noch offener kompetenzbasierte Entscheidungen zu treffen. Wir müssen besser darin werden auch unangenehme Themen anzusprechen und Spannungen zu beinhalten. Bezeichnenderweise haben wir als Team den konfliktträchtigsten und unangenehmsten Teil unserer Verfassung, unseren Entlassungsprozess, erst ganz zum Schluss formuliert. Viele Aspekte der betterplace lab Verfassung werden sich erst in der wiederholten Praxis bewähren — oder auch nicht. Vision und Strategie werden kontinuierlich weiterentwickelt werden. Dabei hoffen wir die Organisation auch noch mehr für ihre „evolutionäre Zielrichtung“ (Laloux) zu sensibilisieren. Welche neuen Ideen, Projekte und Arbeitsweisen wollen durch unser Team in die Welt kommen und dort Impulse setzen?

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joana breidenbach
New Work braucht Inner Work

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