New Automotive Retail — Der Handel ist tot. Es lebe der Handel.

Antonia Völkers
Next Mobility Lab
Published in
5 min readAug 23, 2018

Mit dem Wandel der Digitalisierung hat sich auch der Vertrieb verändert: der traditionelle Retail gilt als alles andere als Gewinner.

Auch die Fahrzeughersteller geraten zunehmend unter Wettbewerbsdruck aufgrund von Internetkonkurrenten wie Mobile.de und Autoscout24, welche zwar noch mit Händlern zusammenarbeiten, die Autos jedoch oft zu günstigeren Preisen anbieten. Die Kunden sind es mittlerweile gewohnt alle möglichen Dinge unkompliziert übers Internet zu bestellen und wollen dieses Online-Kauferlebnis auch beim Autokauf.

Momentan sieht die Realität meist jedoch noch anders aus.

Händler und Hersteller sind im digitalen Bereich schlecht miteinander verbunden und tauschen kaum Informationen aus, sodass keine konsistente Customer Experience besteht. 90% der Kunden starten, dem Marktforschungsunternehmen TNS zufolge, den Kaufprozess und die Informationssuche online und nicht mehr beim Händler. Der letzte Schritt des Kaufabschlusses muss jedoch noch größtenteils offline im Autohaus abgewickelt werden. Ein Besuch zum außerhalbliegenden Händler ist für Kunden unattraktiv und hat oft nur noch die Funktion einer Probefahrt.

Laut der Strategieberatung child haben sich die Händlerbesuche pro Autokauf von 2008 bis 2016 um fast 68% auf 1,3 Besuche reduziert.

Die Hersteller und Vertriebspartner müssen sich diesem veränderten Kundenverhalten anpassen, um nicht in den Schatten der Internetplattformen zu gelangen. Hierfür ist ein einheitliches IT-System zur Integration eines Omnichannel-Vertriebs nötig, um einen nahtlosen Übergang der analogen und digitalen Stufen im Kaufprozess zu schaffen. In der Praxis bedeutet das, ein holistisches Verkaufskonzept mit physischen Stores, die voll in die digitalen Vertriebskanäle integriert sind.

Autohersteller ergreifen erste Maßnahmen

Opel verfolgt zusammen mit seinem Partner Autohaus Staiger diese Strategie mit dem neuen CAYU („CAr for YoU“) Store im Stuttgarter Einkaufszentrum Milaneo. Der Store gleicht nicht einem traditionellen Autohaus, sondern viel mehr einer Lounge mit Sofas und Kaffeeecke. Es sind nur wenige Automodelle vor Ort, aber im Showroom können die Kunden die Modelle virtuell durch Großbildschirme und Tablets erleben. Bei dem Konzept wird auf zwei Werte besonders geachtet. Zum einem auf die Nähe, sowohl in geografischer Hinsicht durch die Verlagerung in die Innenstadt, als auch in persönlicher Hinsicht durch geschulten Mitarbeiter, sogenannte „Insider“, welche die Kunden beraten, jedoch keine Verkäufer sind. Zum anderen wird auf Authentizität Wert gelegt, CAYU soll nicht dazu dienen ein reiner Übergabeort für Opel-Fahrzeuge zu sein, sondern den Kunden noch in der Inspirations- und Orientierungsphase seines Autokaufs — ergänzend zu den digitalen Kanälen — ansprechen. Durch den Onlinestore wird der Autokaufprozess digitalisiert, sodass es den Konsumenten möglich ist das Auto online zu konfigurieren, Kosten berechnen zu lassen und sogar den Vertrag per eSigning vor Ort im Showroom oder von Zuhause aus abzuschließen.

Auch andere Hersteller nähern sich diesem „Future Retail“-Konzept der Integration von online und offline an: BMW testete mehrere Pop Up Stores und bietet bereits seit 2015 in Großbritannien den Online-Verkauf über ihre Website an. Für den Verkaufsabschluss sind Händler aber immer noch mitintegriert. Auch Mercedes erreicht mit seinen Mercedes me Stores, insbesondere in China, eine neue Stufe beim Thema Experience. In Beijing bietet der weltweit größte Mercedes me Store genug Platz für interaktive Touchpoints, Restaurant, Bar und Eventveranstaltungen, welche den Kunden die Marke aktiv erleben lassen.

Der Mercedes me Store in Beijing stellt die Experience klar in den Mittelpunkt. (©Foto: Decca London)

Der PSA-Konzern erprobt momentan einen „Experience Store“ in Paris, der das virtuelle Markenerlebnis zusätzlich noch durch VR-Brillen erweitert. Und seine Tochtermarke Citroen eröffnete im letzten Jahr einen Showroom in der Stadt-Galerie Hameln in Kooperation mit dem Autohaus Fischer und vermittelt zudem Autos über den „Citroen Carstore“, verkauft werden sie letztlich jedoch vom Händler. Premiumhersteller Tesla hingegen verkauft seine Fahrzeuge direkt über die Website ohne zwischengeschalteten Händler und betreibt bereits 18 Showrooms in Deutschland. Und ist somit anderen Autobauern voraus.

Der CAYU Store von Opel in Stuttgart. (©Foto: Opel)

Ein vollständiger Direktvertrieb ist nicht so einfach

Der Direktvertrieb übers Internet stellt für die Hersteller Vorteile in Form von geringeren Vertriebskosten und geringerer Abhängigkeit von den Händlern dar, nichtsdestotrotz verhalten sich sie sich noch zurückhaltend in der Umsetzung. Gründe hierfür sind das erhöhte finanzielle Risiko, da die Liquidität der Hersteller durch die länger zugerechneten Autos verringert wird. Und der noch wesentlichere Grund ist die Sorge um den Widerstand der Händler. Bei einer Verkaufsaktion mit Direktvertrieb von Peugeot in Zusammenarbeit mit 1&1 kam es beispielsweise zu entrüsteten Reaktionen seitens der Händler und dementsprechenden Folgen fürs Management. Da die Händler dennoch für gewisse Geschäftsprozesse wie z.B. Probefahrten notwendig sind, ist es wichtig solch einen Konflikt zu vermeiden. Kleinere Autohersteller ohne bestehendes Händlernetz wie die chinesische Marke Lynk & Co, welche nur übers Internet vertreibt, haben hier bessere Voraussetzungen. Hinzukommt, dass laut einer Studie von McKinsey 82% der Kunden Wert auf eine Probefahrt legen.

„In zehn Jahren wird es weiterhin Vertriebsmodelle mit Händlern geben, da Kunden das Produkt weiterhin physisch erleben wollen“, so Capgemini-Experte Markus Winkler.

Ein kompletter Verzicht auf die Händler ist somit schwer umzusetzen. Dennoch wird sich die Anzahl der Handelsbetriebe verringern und die Rolle der Händler verändern. Die Händler müssen digital aufrüsten und vermehrt in einen übergangslosen Kaufprozess integriert werden. Denn, dass die Kunden und insbesondere die jüngeren Generationen zunehmend einen Autokauf übers Internet in Erwägung ziehen, ist unumstritten. Bereits heute können sich, laut Capgemini, drei Viertel der Kunden vorstellen ein Auto im Netz zu kaufen. Wie diese Veränderung aussehen kann, wird bei den neuen Store-Modellen sichtbar, wo eine intensivere Experience in den Vordergrund rückt. Der Kaufprozess muss online durchführbar sein und gleichzeitig muss die Möglichkeit bestehen den Pkw auch in der Realität erleben zu können, um so das perfekte Einkaufserlebnis zu erzielen.

OEMs arbeiten fieberhaft an der Einführung von Direct Sales über das Internet.
www.nextmobilitylab.com

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