Die Hoffnung auf den Text, der wirkt

Gabriel Yoran
Notizbuch
Published in
2 min readAug 3, 2020

Ich werfe noch einen Artikel ins Instapaper-Grab zu den anderen, die zu lang sind oder deren szenischer Einstieg so unnötig ist wie ich zu faul bin, das Fleisch zu suchen in dieser Suppe aus gewohnheitsmäßigem Einstiegsgelaber für Leute, die sich eine Pfeife anzünden vorm Lesen. Wahrscheinlich geht es in dem Artikel um ein wichtiges Thema, aber wahrscheinlich kann ich mir denken was drin steht. Es wird ausgehen wie diese Studien über Kaffekonsum, an ungeraden Tagen ist Kaffee gesund, an geraden bringt er dich um. Further research is needed.

Wie viele Artikel bleiben denn in Erinnerung, wie viele verändern wirklich etwas, wenigstens für einen selbst. Wie viele teilt man – nachdem man sie gelesen hat, nicht um durch die Überschrift (oder das Medium) der eigenen Kohorte zu versichern, dass man dazugehört?

Und dann die Coronaleugner, die durch Berlin laufen mit ihrer Timeline auf Transparenten, ein Feed aus ideellen Luftwurzeln, irgendwo aufgeschnappt, nacherzählt, verstärkt bekommen. Sie haben sich das Gift selbst ausgesucht, das ihre Gedanken verwirrt. Sie haben es zugelassen. Kein noch so vernünftiger Text kann da anknüpfen, es ist zu inkonsistent, es ist ein Knäuel aus tausend Tentakeln von tausend Monstern, ausgedachten Monstern, vor denen sie aber echte Angst haben. Was immer diese Leute gelesen haben, es hatte eine Wirkung auf sie, vermutlich stärker als es alle Texte, die ich so lese, jemals hatten. Diese Leute sind gewillt, andere sterben zu lassen für ihre Überzeugung, es gibt dieses Virus nicht oder es sei nicht so schlimm.

Menschen können durch Texte dazu gebracht werden, andere Menschen ins Lebensgefahr zu bringen. Diese unglaubliche Kraft können Texte haben. Texte sind das Virus. Texte verwirren diesen Leute den Geist. Es ist nämlich nicht so, dass Texte nichts mehr bewirken. Es ist nur eben auch nicht so, dass die aufklärerischen Texte immer stärker sind. Sie müssen mühsam hergestellt werden. Lügen ist einfach, Recherche ist schwer.

Dabei kommen sich die Coronaleugner avantgardistisch vor, sie nennen uns Schafe, sie glauben besonders kritisch zu sein, weil sie alles hinterfragen. Wir sollten doch alles hinterfragen, hieß es in der Schule. Aber was sie da abziehen ist Kritik als Performance, als Pose. Die Coronaleugner selbst können nie Gegenstand der Kritik sein, wenn man nachfragt, wird man verjagt, man komme ja von den Systemmedien, von der Lügenpresse. Ihre Texte haben sie gegen Kritik völlig immunisiert, in dem Kritiker per se delegitimiert wurden.

Die Hoffnung auf den Text, der wirkt. Die richtige Aneinanderreihung der Wörter, die macht, dass der Wahn verfliegt. Die Hoffnung auf das Vakzin.

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