Wie wir das reichweitenstärkste Produkt der NZZ komplett neu gedacht haben

Alexander Muehlbach
NZZ Open
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8 min readMar 4, 2020

Anfang März haben wir die beiden reichweitenstärksten Newsletter der Neuen Zürcher Zeitung, «NZZ am Morgen» und «NZZ am Abend», komplett überarbeitet und neu gebranded. Das Produkt bietet nun unseren Leserinnen und Lesern jeden Morgen und jeden Abend einen noch kompakteren und informativeren Nachrichtenüberblick — und heisst jetzt neu «NZZ Briefing».

Im Zuge der Überarbeitung haben wir ein internationales Briefing-Team in der Redaktion gegründet, das für die Erstellung des Produkts verantwortlich ist. Wir haben eine eigene Version für den Schweizer und den deutschen Lesermarkt erstellt und dafür gesorgt, dass Nicht-Abonnenten in Zukunft Aboangebote in Newslettern angezeigt bekommen. Und wir haben sichergestellt, dass das Briefing nicht nur als Newsletter, sondern auch in gleicher Form in unserer App und auf unserer Webseite erhältlich ist.

Das Ergebnis: Wir haben ein wiedererkennbares Produkt über mehrere Plattformen hinweg geschaffen, das einerseits noch relevanter für unsere Leserinnen und Lesern im In- und Ausland ist und uns andererseits dabei hilft, mehr Abonnenten zu gewinnen.

Hier kann man das Ergebnis für das eigene E-Mail-Postfach abonnieren.

Warum haben wir das Briefing überarbeitet?

Wenn wir unsere Leserinnen und Leser danach fragen, warum sie ihr Abo gekündigt haben, hören wir eine Antwort besonders häufig: die fehlende Zeit. Unsere Abonnentinnen und Abonnenten kündigen, weil die Zeitung ungelesen in der Ecke liegt. Weil sie das Gefühl haben, dass sie viele der täglich auf NZZ.ch publizierten Artikel gar nicht lesen. Und weil Sie das Gefühl haben, dass sie die Informationsflut nicht bewältigen können.

Das ist ein grosses Problem. Eines, das uns und andere Medienunternehmen noch lange beschäftigen wird. Es erklärt aber auch, warum gerade unsere Newsletter, die das tägliche Nachrichtengeschehen kurz und knapp zusammenfassen, bei unseren Leserinnen und Lesern so beliebt sind.

So erreichten «NZZ am Morgen» und «NZZ am Abend» rund sechs Jahre nach dem Start täglich mehr als 430 000 Menschen, also fast doppelt so viele Leserinnen und Leser wie die gedruckte Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung. Der mit am häufigsten genannte Grund für die Beliebtheit des Newsletters ist dabei die Zeitersparnis: Man erhält eine kurze und kompakte Zusammenfassung über die aktuellen Ereignisse — und kann sich danach anderem zuwenden.

Trotz seiner Beliebtheit und seines Erfolgs war es jetzt an der Zeit, Veränderungen vorzunehmen, um die Bedürfnisse unserer Leserinnen und Leser noch besser erfüllen und uns gegenüber der wachsenden Konkurrenz bei Nachrichtenzusammenfassungen behaupten zu können. Wir identifizierten dabei einige Potenziale:

  • Beim Wiedererkennungswert: Wir hatten drei Produkte, die einen kompakten Nachrichtenüberblick boten: «NZZ am Morgen» und «NZZ am Abend» als Newsletter und das Briefing auf NZZ.ch. Jedes der drei Produkte sah anders aus und hatte andere Inhalte.
  • Beim Aufwand: In wechselnden Zyklen waren rund 15 Redakteurinnen und Redakteure mit der Erstellung der kompakten Nachrichtenüberblicke beschäftigt — und dies oftmals neben ihren eigentlichen Aufgaben
  • Bei der Conversion: Wir haben die Newsletter trotz hoher Reichweite nie verwendet, um Abonnentinnen und Abonnenten zu gewinnen. Artikel, die innerhalb des Newsletters verlinkt waren, waren von der Paywall ausgenommen.
  • Beim Leseerlebnis: «NZZ am Morgen» und «NZZ am Abend» als Newsletter und das Briefing auf NZZ.ch wurden von unseren Leserinnen und Lesern mit sehr vielen unterschiedlichen Zielen und aufgrund einer Vielzahl an — teils sogar entgegengesetzten — Bedürfnissen genutzt. Zur Erhöhung der Relevanz für unsere Leserinnen und Leser musste daher die Erwartbarkeit an das Format geschärft und dieses mehr von anderen Angeboten der NZZ abgegrenzt werden.
  • Bei den Werbeeinnahmen: Trotz der hohen Reichweite haben wir nie ernsthaft versucht, die Newsletter an Werbekunden zu vermarkten.

In einem crossfunktionalen Projekt — bestehend aus dem Team digitale Produkte, der Redaktion, der Technologie, dem Marketing und dem Werbemarkt — haben wir daher beschlossen, diese Potenziale gemeinsam auszuschöpfen.

Die Bedürfnisse unserer Leserinnen und Leser verstehen

Die Auswertung der Nutzerbefragung brauchte ein paar Tage Zeit.

Wir fingen damit an zu verstehen, was unseren Leserinnen und Lesern bei einem kompakten Nachrichtenüberblick wichtig ist — und was nicht. Wir wollten wissen, wo und wann sie unsere Newsletter und das Briefing lesen und was ihre Motivation dabei ist.

Dazu führten wir eine gross angelegte qualitative Nutzeranalyse durch. Wir befragten über 5200 NZZ-Abonnenten und Nicht-Abonnenten in Newslettern und auf der Startseite der NZZ und der NZZ am Sonntag. Wir führten einstündige Tiefeninterviews mit 16 NZZ-Lesern in Deutschland und in der Schweiz.

Das waren die Resultate:

  • Wir haben die falsche Struktur: Die Newsletter sind trotz hoher Leserzahl nicht perfekt aufgebaut. Wir boten in der Vergangenheit immer zuerst unsere Artikelempfehlungen an, bevor wir die Nachrichten präsentierten. Unsere Leserinnen und Leser möchten die relevanten Nachrichten jedoch zuerst.
  • Wir sind zu spät: Mit unserem morgendlichen Newsletter-Versand um 7:30 Uhr verpassten wir vor allem die berufstätigen Leserinnen und Leser, die sich bereit morgens beim Kaffee oder auf dem Weg zur Arbeit über die wichtigsten Themen des Tages informieren wollen.
  • Am Wochenende fehlt ein kompakter Nachrichtenüberblick: Wir gingen immer davon aus, dass unsere Leserinnen und Leser am Wochenende wenig Bedarf nach einem Nachrichtenüberblick haben, da sie sich entweder mit anderen Dingen beschäftigen oder bereit sind, mehr Zeit in ihren Medienkonsum zu stecken. Dabei bleibt am Wochenende für unsere Leserinnen und Leser viel weniger Zeit, um sich auf Grund der Freizeitbeschäftigungen zu informieren.
  • Deutsche Nutzer und Nutzerinnen haben andere Bedürfnisse als Schweizer: Schweizer Themen wurden nur teilweise von internationalen Leserinnen und Lesern geschätzt. In den meisten Fällen wurden solche Themen einfach überlesen. Gleichzeitig äusserten die deutschen Nutzer den Wunsch nach mehr internationalen Themen.
  • Nur Nachrichten aufzuzählen reicht nicht: Unsere Leserinnen und Leser wollen nicht nur wissen, was gerade aktuell wichtig ist, sondern auch den Hintergrund und den Kontext zu jeder Nachricht verstehen.

Nach der grundlegenden Analyse war uns klar, dass wir einen kompakten Nachrichtenüberblick kreieren wollten, der drei Punkte erfüllte:

  1. Das Format sollte sowohl als Newsletter als auch in der App und im Web gleich funktionieren, den gleichen Namen haben, und eine relevantere Struktur beinhalten als die jetzigen Formate.
  2. Es sollte eine nationale Version für die Schweiz und eine internationale Version geben, die sich vor allem an deutsche Nutzer richtet.
  3. Das Format sollte künftig häufiger (auch samstags) und früher verschickt werden.

Die Kreation eines schnelleren, einfacheren und persönlicheren «NZZ Briefings»

Von links nach rechts: die neue klarere Struktur mit der Dreiteilung, die persönliche Welcome Message, die unsere Leserinnen und Leser beim ersten Briefing-Versand im Newsletter begrüsst, und das neue Conversion-Element im Newsletter.

Neuer Name: Die Newsletter bekamen denselben Namen wie das Format, das wir bereits auf unserer Webseite hatten: «NZZ Briefing».

Klarere Struktur: Wir wollten innerhalb des Briefings eine so klare Struktur schaffen, dass auch neue Leserinnen und Leser diese auf Anhieb verstehen. Gleichzeitig sollen bestehende Leserinnen und Leser schnell durch das Briefing scannen können. Das neue Briefing startet mit den wichtigsten Themen des Tages und geht dann über in die Nachrichten, die sonst noch auf der Welt passiert sind. Das Briefing endet mit einem Bereich, in dem wir die besten Artikel des Tages empfehlen, und einem Bereich mit Veranstaltungs-, Rezept-, Kino- und Buchttipps. Diese Struktur wird sowohl für die nationale als auch für die internationale Version verwendet.

Mehr Einordnung: Damit unsere Leserinnen und Leser den Kontext einer Nachricht besser verstehen, präsentieren wir die wichtigsten Themen des Tages zukünftig immer in einer Dreiteilung. Die Themen werden immer mit den gefetteten Worten «Das ist passiert:» eingeleitet und danach um zwei Absätze ergänzt, die ebenfalls mit gefetteten Worten gelabelt sind. Diese sogenannten News-Items lauten beispielsweise wie folgt: «Das sind die Reaktionen», «So ist die Lage vor Ort:» oder «Das ist der Hintergrund».

Bessere Nutzerkommunikation: Innerhalb des Newsletters können wir durch sogenannte «Welcome Messages» zukünftig bestimmten Nutzergruppen unterschiedliche Nachrichten anzeigen. So zeigen wir Leserinnen und Lesern, die zum ersten Mal das «NZZ Briefing» erhalten, eine Erklärung an, was das Briefing genau bietet — und bei denen, die ein Abonnement der NZZ gekauft haben, bedanken wir uns für ihr Vertrauen.

Bessere Conversion: Wir stellten in den vergangenen Monaten technisch sicher, dass wir Nicht-Abonnenten innerhalb des Newsletters ein Probeabo-Angebot unterbreiten können. Und Artikel, die im Newsletter verlinkt sind, folgen in Sachen Paywall nun den gleichen Regeln wie alle anderen Artikel.

Die richtigen Voraussetzungen für das «NZZ Briefing» schaffen

Einige unserer Prototypen.

Schnelle Usertests: Wir testeten mehrere Prototypen des neuen Briefing-Formats zusammen mit rund 150 Leserinnen und Lesern in persönlichen Gesprächen und Onlinetests. Das Leser-Feedback wurde sofort in die Prototypen eingebunden, sodass vom ersten bis zum endgültigen Prototypen nur drei Wochen vergingen.

Aufbau eines Briefing-Teams in der Redaktion: Künftig wird sich ein dezidiertes Briefing-Team dem Schreiben des «NZZ Briefings» widmen — und nicht wie bisher, 15 Redakteurinnen und Redakteure. Das Team setzt sich aus zwei Personen in Zürich und zwei weiteren Personen in Übersee (Südamerika, Asien) zusammen. Damit ist sichergestellt, dass wir früh morgens um 6 Uhr ein möglichst aktuelles Briefing verschicken und auf die Webseite stellen können. Zudem bietet sich dadurch die Möglichkeit im kleinen Team das Format stetig weiterzuentwickeln und die dazugehörige Expertise aufzubauen.

Testen der Workflows: Vor dem Re-Launch führten wir einen zweiwöchigen Test des «NZZ Briefing» an rund 30 000 Nutzerinnen und Nutzern durch, die per Zufall ausgewählt wurden. In täglichen Feedbackrunden zwischen dem Produkte-Team und dem Briefing-Team wurden dabei Workflows angepasst, technische Fehler beseitigt, auf Leser-Feedback eingegangen und das neue Produkt immer wieder optimiert. Das hatte drei Vorteile: Erstens konnten wir die grössten Probleme bereits vor dem eigentlichen Launch ausräumen. Zweitens haben wir durch den Test gemerkt, dass das «NZZ Briefing» in vielerlei Hinsicht deutlich besser performt als «NZZ am Morgen» und «NZZ am Abend». Und drittens stellten wir fest, dass das Conversion-Element mehr Probeabos generiert, als anfangs gedacht.

Was dies für die Zukunft der Newsletter-Entwicklung der NZZ bedeutet

Schnellere Entwicklung: Das Briefing-Projekt sorgt dafür, dass wir zukünftig viel schneller redaktionelle Newsletter konzipieren können. Wir wissen nun, was unsere Leserinnen und Leser von einem NZZ-Newsletter erwarten. Ausserdem haben wir ein auf andere Themenbereiche leicht skalierbares Newsletter-Template geschaffen, das immer wieder angewendet werden kann. Der Effekt: Für die neue Konzeption von neuen Newslettern brauchen wir nun nur noch eine bis maximal zwei Stunden.

Bessere Zusammenarbeit: Dieses Projekt brachte viele Personen aus unterschiedlichen Bereichen zusammen. Marketing, Redaktion, digitale Produkte und der Werbemarkt haben über Monate hinweg gemeinsam sehr eng daran gearbeitet, ein besseres Nutzungserlebnis zu kreieren. Nicht zuletzt stets im Austausch mit einer Vielzahl an Nutzerinnen und Nutzer, die durch ihr Feedback und ihre Bereitschaft, unsere Ideen zu testen, ebenfalls tatkräftig mitgewirkt haben. Diese Zusammenarbeit hat nicht nur die nutzerzentrierte Arbeitsweise weiter in den verschiedenen Teams verankert, sondern auch das Vertrauen und das Verständnis zwischen den einzelnen Bereichen gestärkt.

Last but not least: Das Team

Ohne ein so grossartiges, hart arbeitendes, immer motiviertes crossfunktionales Team wäre das Projekt niemals möglich gewesen.

Produktmanager: Alexander Mühlbach
UX Research: Sabrina Peterer
Konzeption: Katrin Huth, Sabrina Peterer
Design: Andres Kaminski
Redaktion: Jenni Thier, Tobias Ochsenbein, Manuel Frick, Tobias Sedlmaier, Kathrin Klette, Christian Steiner, Andreas Schürer, Michael Schilliger
Technische Umsetzung: Saskia Schultis, Sandra Meyer, Sandra Schnell, Simon Finkenstädt, Jann Steiner, Martina Geselle, Benjamin Mock, Micha Schwendener, Volodymyr Fertak, Carina Drews, Reico Canella
Marketing: Katharina Kaiser, Milena Russ
Werbemarkt: Jasmine Künzli
Datenanalyse: Rahel Huber
Business Development: Michael Lampart, Eva Günther
Mentoren:
Michaël Jarjour, Jonathan Landau

Special thanks to: Patrick Bühler, Nick Wegmann

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Alexander Muehlbach
NZZ Open

Product Manager at NZZ. Mainly responsible for newsletters and podcasts.