APIs für eine wandlungsfähige Verwaltung

Thomas Lo Russo
OpenZH
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9 min readMay 8

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Die digitale Infrastruktur der Schweizer Verwaltung wird von isolierten IT-Systemen dominiert. Dies hemmt die digitale Transformation des öffentlichen Sektors. APIs können Abhilfe schaffen. Sie erlauben in Zeiten des Wandels, anpassungsfähig zu bleiben.

Picture : @alicegu_photos

APIs sind ein wichtiger Baustein für die Digitalisierung der Verwaltung. APIs — Application Programming Interfaces — auf Deutsch Schnittstellen — haben unsere Aufmerksamkeit verdient. Mindestens so stark wie das aktuelle Hype-Thema Künstliche Intelligenz (KI).

Das kürzlich verabschiedete Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG) markiert einen entscheidenden Wendepunkt [1]. Es zielt darauf ab, die Digitalisierung schnell voranzutreiben und bringt in zahlreichen Bereichen grundlegende Veränderungen mit sich. Bundesstellen sollen nicht-sensitive Daten offen bereitstellen, einfacher Programmcode austauschen und Pilotprojekte durchführen können. Standards und Interoperabilität werden zudem gross geschrieben. Und die Dienste des Bundes sollen künftig standardmässig über Schnittstellen (APIs) angeboten werden.

APIs als Erfolgsfaktor

Monolithische IT-Anwendungen zur Erfüllung spezifischer Aufgaben sind in der Verwaltung weit verbreitet. Daten wie auch Funktionalitäten sind oft in diesen Monolithen eingesperrt. Dies steht in krassem Gegensatz zu den Praktiken im Technologiesektor.

Viele der erfolgreichsten Tech-Unternehmen stellen ihre Dienste über APIs bereit oder setzen in ihren internen Prozessen auf sie.

1. OpenAI : die API als Wachstumsbeschleuniger

Ein herausragendes Beispiel an der Spitze des derzeitigen Hype-Zyklus ist OpenAI. Die ChatGPT-Webapplikation und der Bing Chatbot sind nicht die eigentlichen Endprodukte. Sie dienen Demozwecken und dem Ziel, Aufmerksamkeit zu generieren. OpenAI monetarisiert die eigenen KI-Modelle, indem sie diese via API anbietet. Via API können externe Entwickler*innen und Firmen mit minimalem Aufwand OpenAI-Technologie in eigene Produkte und Prozesse einbetten, anstatt eigene Modelle zu trainieren. Die APIs werden so zum eigentlichen Wachstumtsbeschleuniger und zu einem bedeutenden Wettbewerbsvorteil. Sie ermöglichen, dass in Windeseile ein Ökosystem an Anwendungen rund um OpenAI entsteht. Die zahlreichen Plug-ins, die zur Zeit wie Pilze aus dem Boden schiessen, sind dafür ein gutes Beispiel [2, 3].

2. Flexibilität durch Microservices & APIs bei Netflix & Co.

APIs spielen für viele Unternehmen auch in internen Prozessen eine gewichtige Rolle. Netflix, Airbnb, Amazon, Zalando und Uber setzten für den Betrieb ihrer Plattformen intensiv auf Microservices, die via APIs miteinander kommunizieren, anstatt auf Monolithen. Auch Unternehmen ausserhalb des Tech-Sektors gehen in diese Richtung — beispielsweise Coca Cola [5]. Microservice-Architekturen dienen dem Zweck, grosse Systeme in handlichere, kleine Teile zu teilen, die einfacher angepasst werden können. Dies erhöht die Flexibilität sowie Skalierbarkeit und lässt Raum für Innovation (anschaulich erklärt wird das hier).

Die wenigen ausgewählten Beispiele zeigen: APIs sind für Unternehmen ein Erfolgsfaktor. Und sie haben das Potential, es auch für die Öffentliche Verwaltung zu sein.

Was sind APIs?

APIs ermöglichen eine standardisierte, automatisierte und effiziente Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Anwendungen und Systemen.

Eine intuitive Metapher dafür, was APIs sind und warum sie so mächtig sind, ist der Lego-Baustein. Dienste und Anwendungen kann man sich als Technologiebausteine vorstellen. APIs verleihen den Bausteinen die Fähigkeit, über eine formalisierte Schnittstelle mit jedem anderen Baustein integriert zu werden. Die Bausteine können zu verschiedenen Strukturen zusammengesetzt und bei Bedarf wieder neu zusammengefügt werden [6].

Source : apiscene.io

API-first

APIs erlauben es, Prozesse radikal zu optimieren und einfacher an sich wandelnde Bedürfnisse anpassen zu können. Daher brauchen wir in der Öffentlichen Verwaltung, sofern wir es mit der Digitalisierung ernst meinen, einen API-first-Ansatz. Und zwar über alle föderalen Ebenen hinweg.

Was bedeutet API-first ?

Ein API-first-Ansatz ist ein Modell, bei dem die Entwicklung einer Anwendung mit der API beginnt, bevor jegliche andere Bestandteile der App entwickelt werden. APIs werden damit nicht als nachträglicher Gedanke behandelt, sondern werden als Fundament und eigenständiges Produkt betrachtet, wobei die Entwicklung mit der API-Spezifikation beginnt und die Anwendungen zunächst als API konzipiert werden [7].

“API-first” steht in krassem Gegensatz zum “Code-first”-Ansatz, bei dem monolithische Anwendungen von A bis Z geplant werden aber das API-Design erst später — oder auch gar nicht — stattfindet [8]. Mittels API-first wird sichergestellt, dass eine gut dokumentierte und zugängliche API besteht und Entwickler*innen möglichst einfach darauf aufbauende Applikationen programmieren können. Bei Bedarf auch mehrere.

API-first beruht auf dem Gedanken, dass die in einem System verfügbaren Informationen und Funktionalitäten standardmässig von mehreren Anwendungen und Datenbanken wiederverwendet und gemeinsam genutzt werden können und sollen. Die Daten und Funktionalitäten können so leicht für unterschiedliche Geschäftsanforderungen genutzt werden und unterschiedliche Bedürfnisse adressieren [9].

Ein Beispiel für API-first : der Datenkatalog des Kantons Zürich

Der Katalog der offenen Behördendaten im Kanton Zürich wurde nach dem API-first Prinzip entwickelt. Metadaten der auf zh.ch/daten publizierten Daten können sowohl über eine API aktualisiert werden, was automatisierte Prozesse ermöglicht, als auch über eine “menschenfreundliche” Webanwendung, die auf ebendieser aufbaut.

Dieses Beispiel zeigt die Stärke von APIs auf : Sie ermöglichen eine bessere User Experience, indem sie es erlauben, verschiedenen Nutzenden die für ihre spezifischen Bedürfnisse ideale Lösung zu bieten. Datenhaltende Verwaltungseinheiten, die ihre Daten täglich aktualisieren, können dies automatisiert via API tun. Data Publisher, die ihre Daten nur einmal jährlich aktualisieren, können dazu die grafische Weboberfläche nutzen.

APIs anstatt Copy-Paste

Mittels Schnittstellen können Datentöpfe innerhalb der öffentlichen Verwaltung neu verdrahtet werden. Dies ist gerade in unserem föderalen, dezentralen Kontext von entscheidender Bedeutung. Schnittstellen sind eine notwendige Bedingung, um über föderale Ebenen hinweg durchgängige Dienste (“End-to-end”) zu ermöglichen und den Zeitaufwand für Bürger*innen zu reduzieren, indem sie die den Datenfluss zwischen separaten Systemen ermöglichen — ohne dass Menschen händisch Daten vom einen ins andere System übertragen oder sich Bürger*innen für ihre Anliegen bei mehreren Stellen melden müssten.

Ein Beispiel: die Bearbeitungszeit von Kurzarbeitsgesuchen während der Covid-Pandemie. Während der Covid-Pandemie wurden Software-Bots — sogenannte “Robotic Process Automation”-Lösungen (RPA) entwickelt, die Daten von einem API-losen System in ein anderes übertragen konnten. Diese Bots waren eine Art “Quick Fix”-Alternative zu APIs. Sie ermöglichten es, dass ohne menschlichen Aufwand Unmengen an Daten transferiert werden konnten. Die Übermittlung von Tausenden Kurzarbeitsanträgen von der kantonalen Ebene an den Bund und deren Bearbeitung innert nützlicher Frist wäre ohne diese Bots unmöglich gewesen [9].

Source: https://imgflip.com/i/7hb58l

APIs sind auf solch automatisierte Prozesse ausgelegt — wenn alle beteiligten Systeme via API ansprechbar sind, braucht es keine Bots, die via “Copy Paste”-Automatisierung menschliche Nutzende imitieren und Daten von einem System in ein anderes transferieren.

API first — aber für welche Systeme?

Welche Systeme sollten API-first sein? Eben nicht nur Systeme, die strukturierte Daten im klassischen Sinne enthalten. Auch weniger strukturierte Inhalte auf Verwaltungs-Webseiten, in Intranets wie auch in Dokumentations- und Geschäftsverwaltungssystemen könnten via Schnittstellen beziehbar sein oder automatisch erstellt werden. Doch nicht nur Inhalte und Daten, sondern auch zentrale Funktionalitäten — wie beispielsweise solche zur Authentifizierung — können via API zentral angeboten und von verschiedenen Systemen geteilt werden. Praxisbeispiele hierfür bieten der Kanton Aargau oder der britische Government Digital Service mit dem ‘Build Once, Use Many’- Paradigma. Die technischen Lösungen sind vorhanden, doch mangelt es an vielen Ecken in der Verwaltung noch am Bewusstsein dafür. Zudem entspricht API-first nicht den Interessen vieler Software-Hersteller, da APIs Datenportabilität ermöglichen und die Ablösung ihrer Produkte vereinfachen.

Die API als Tür zum Verwaltungswissen

Breitflächig Systeme via Schnittstellen zugänglich zu machen, könnte in der KI-Ära bedeutende Effizienzgewinne und Innovationen ermöglichen. Man stelle sich vor, Verwaltungsangestellte könnten à la ChatGPT mit ihren Wissensdatenbanken interagieren und daraus in Windeseile Antworten zu Anfragen aus Verwaltung, Bevölkerung, Politik oder Wirtschaft generieren. Oder komplexe Abläufe könnten dank KI automatisiert oder unterstützt werden. Dafür bräuchte es neben Ressourcen und einer geschützten, internen Infrastruktur für KI-Modelle eben auch APIs. Sie sind die Türen, die den Zugang zum reichlich vorhandenen Wissen eröffnen, über das wir in der Verwaltung verfügen.

Der Silberstreif am Horizont

Das Bewusstsein für die Bedeutung von APIs wächst. Auf nationaler Ebene besteht seit kurzem ein API-Architekturprogramm [10]. Konzeptionell wurde damit der Grundstein für eine API-basierte Zukunft gelegt. Doch die Frage, wie dieses nun breitflächig in der Praxis umgesetzt wird, muss noch beantwortet werden [11]. Das oben erwähnte neue Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Hilfsmittel bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben (EMBAG) kann den entscheidenden Wendepunkt darstellen — wenn es denn in der Beschaffung und Entwicklung von Systemen und Diensten zügig umgesetzt wird.

Was können wir tun?

Es ist essentiell, dass auf allen föderalen Ebenen ein Umdenken stattfindet und Schritte in Richtung API-first unternommen werden. Die Voraussetzungen dafür sind allerdings äusserst unterschiedlich. Während manche Verwaltungseinheiten über viel Expertise im Data Management verfügen und auch schon vielerorts APIs im Einsatz haben, pflegen andere Daten noch in Word-Dokumenten, Excel-Tabellen und Filedumps.

Die breitflächige Einführung von APIs wird kein Selbstläufer. Die notwendigen Bedingungen dafür müssen geschaffen werden. Es besteht auf verschiedenen Ebenen Handlungsbedarf.

Bestehende APIs sichtbar machen

Es braucht einen zentralen API-Hub, der Überblick über Schnittstellen des Bundes, der Kantone und Gemeinden bietet — insbesondere diejenigen, die durchgängige Prozesse und das Abbauen von Redundanzen ermöglichen. Diese Lücke will die Interoperabilitätsplattform I14Y des Bundes schliessen.

Vorgaben & Standards

Für die Entwicklung und Beschaffung von grösseren Applikationen braucht es klare Vorgaben. Sowohl Fach- als auch Querschnittsapplikationen — wie beispielsweise CMS- oder Intranet-Systeme - müssen bei Beschaffung oder Entwicklung standardmässig über APIs verfügen. Für Ausnahmen muss es eine wohlüberlegte Begründung geben.

Um Interoperabilität zu gewährleisten und Wildwuchs zu vermeiden sind zudem Standards essentiell. Wo Standards fehlen, beispielsweise hinsichtlicht Datenstrukturen- und Modellen, gilt es gemeinsame zu erarbeiten (ein Vorbild : der eCH-0108 für Unternehmensregister-Daten). Und es gilt auf existierenden Standards aufzubauen, z.B. was Authentifizierung und Verschlüsselung angeht oder auch API Design und Dokumentation.

Data Management as a Service / Low Code Tools

Für Verwaltungseinheiten, die wenig Ressourcen und Know-how haben, braucht es Instrumente wie “Data Management as a Service”. Ressourcen und Know-how müssen zentral geschaffen und als Service angeboten werden. Ebenso braucht es Werkzeuge, die es einfach ermöglichen, mit wenig technischem Wissen kleinere Applikationen zu bauen und die darin enthaltenen Daten via Schnittstelle weiterzugeben. Low Code Tools sind in dieser Hinsicht ein Gamechanger (z.B. die Open Source Lösung Direcuts).

Good Practices & Wissensaustausch

Das Bewusstsein für die Bedeutung von APIs muss auf allen Ebenen und in jedem Projekt geschärft werden. Denn selbst neue Gesetztesgrundlagen sind zahnlos, wenn den Menschen in der Verwaltung nicht bewusst ist, welche Bedeutung APIs für Digitalisierungsprojekte haben und wie sie in der Praxis genutzt werden können. Wir brauchen anschauliche Beispiele, die leicht verständliche Anwendungsfälle aufzeigen und die Vorteile von APIs auch für Nicht-Techniker*innen fassbar machen.

Auch gilt es geeignete Gefässe für den Wissensaustausch unter API-Praktiker*innen zu schaffen. Events wie der GovTech Hackathon im März dieses Jahres können hierfür eine gute Plattform sein (Bitte wiederholen😉!).

Fazit

Es gibt verschiedene Faktoren, welche die Transformation der Verwaltung hemmen — sowohl organisatorischer, rechtlicher oder kultureller Natur. Doch übt das technisch Machbare erheblichen Einfluss auf all diese Aspekte aus. Deshalb brauchen wir eine API-first Kultur.

In unserem föderalen Kontext ist “Once only” — à la Estland — in weiter Ferne. Doch mittels APIs sind wichtige Schritte in die Richtung möglich. Die bereits existierenden Vorbilder, wie z.B. die Unternehmens-ID API des Bundes, weisen den Weg [12].

APIs können die Synapsen des Systems Schweiz sein — wo Daten und Informationen dezentral gehalten werden, aber doch von verschiedenen Stellen gepflegt werden und überall dort hingelangen können, wo sie benötigt werden. Wenn wir den Menschen das Leben erleichtern, durchgängige Prozesse bauen, KI in der Verwaltung nutzenstiftend einsetzen und verschiedene Kundenbedürfnisse adressieren wollen, kommen wir nicht um sie herum.

Natürlich lässt dieser Blogpost noch einige Fragen unbeantwortet: Welche rechtlichen Voraussetzungen braucht es für einen vermehrten Datenaustausch über Schnittstellen? Wie stellen wir die Interoperabilität sicher? Auch auf diese Fragen gilt es letztendlich Antworten zu liefern.

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, Erfolgsgeschichten kennen, in denen APIs eine Veränderung in der Verwaltung bewirkt haben, dann bin ich gespannt, von Ihnen zu hören. Auch Fragen und kritische Anmerkungen sind willkommen.

**Mein aufrichtiger Dank gilt Laure Stadler und Andreas Amsler für ihre wertvollen Anregungen zum Blogpost sowie meinen Kolleg*innen im Statistischen Amt für die regelmäßigen und angeregten Gespräche rund um die Thematik dieses Beitrags, die sowohl als Inspirationsquelle als auch als Antrieb für das Verfassen dieses Posts dienten.**

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Thomas Lo Russo
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