Beginnen, bevor man fertig ist

Andreas Amsler
OpenZH
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4 min readMay 15, 2019

Ziele erreichen wir schrittweise, indem wir Erfahrungen – Bedürfnisse, Erwartungen, Hindernisse und Fragen – offen mit anderen, miteinander teilen. Möglichst früh, bevor wir fertig sind.

Vor einigen Jahren hielt eine meiner Kolleginnen ein Referat zu ihrer Haltung als Designerin. Ihre Botschaft fesselte mich. Un trés grand merci, Darja Gartner! Weder war ich Designer, noch verstand ich mich damals als solcher. Am Schluss ihres Beitrags nannte Darja das Motto, nach dem sie arbeitete und Neues anging:

“Begin before you are ready.”

Seit etwas über einem Jahr leite ich nun die Fach- und Koordinationsstelle Open Government Data (OGD) des Kantons Zürich. Wir sind ein Team des Statistischen Amts. Unser Auftrag ist, der Öffentlichkeit ein bedarfsgerechtes Angebot an nicht personenbezogenen, nicht sicherheitskritischen und keinen Drittrechten unterliegenden Daten von Verwaltungseinheiten und Behörden zur freien Wiederverwendung zur Verfügung zu stellen.

Nach einer Pilot- und Aufbauphase hat der Zürcher Regierungsrat im Herbst 2017 beschlossen, OGD produktiv umzusetzen. Er hat keine kantonale OGD-Strategie verabschiedet, sondern die “OGD-Strategie Schweiz” zur Richtschnur erklärt. Wer sich mit OGD etwas auskennt und umsieht, der weiss, dass es an Strategien nicht fehlt. Uns, die wir mit der Umsetzung betraut sind, freut der Entscheid: Wir müssen das Rad nicht neu erfinden und können praktisch tätig sein.

Die Haltung zählt

Das von Darja erwähnte Motto stammt von James Victore, US-amerikanischer Art Director, Designer und Autor. Für mich drückt es ziemlich genau aus, wie ich mir vorstelle, dass ich mich an Neues heranwage. Und dabei den Anspruch habe, diese Haltung auch transparent zu machen. Was meine ich damit? Ich versuche mir selbst und anderen nicht vorzumachen, zu wissen, was getan werden müsse. Zweck unserer Existenz und unseres Handelns ist es nicht, unsere eigene Unfehlbarkeit zu beweisen – was sowieso ein hoffnungsloses Unterfangen darstellt –, sondern wirksam tätig zu sein. Wirksame Massnahmen entwickeln wir, indem wir kleine Dinge möglichst einfach und schnell unter realen Bedingungen erforschen.

Als Verwaltungsangestellter untersteht mein Handeln dem Legalitätsprinzip. Explorative Problemlösungsansätze und iterative Vorgehensweisen verbreiten sich auch zunehmend in der Verwaltung, was ich mit Freude beobachte. Ein Recht auf Erfolg beziehungsweise auf die Wirksamkeit einer Massnahme gibt es nicht. Hingegen besteht die Pflicht, einen rechtlichen Auftrag zweckmässig und effizient umzusetzen. Erforschen wir etwas Kleines früh hinsichtlich seiner Wirksamkeit und lernen, dass es (zu) wenig bringt, sparen wir uns grosse Aufwände und wenig Ertrag.

Wie sprechen wir über unser Tun

“Experimentieren” verwende ich bewusst nicht, sondern ich sage, dass ich etwas “erforsche” – einen Umstand, eine Frage, ein Bedürfnis. Selbst etwas zu “testen”, hat in unserem Sprachgebrauch, wie ich ihn wahrnehme, eine negative Bedeutung . Dies vielleicht insbesondere in Zusammenhang mit staatlichem Handeln, von dem wir alle zu Recht Sicherheit und Zuverlässigkeit erwarten dürfen. Tests aber können scheitern. Dabei müssen sie genau das, damit dank der dadurch gewonnenen Erkenntnisse ein Vorhaben erfolgreich werden, eine Dienstleistung die erwünschten Ergebnisse erzielen kann.

Tests macht man nicht zum ersten und einzigen Mal am Schluss eines Projekts, wenn der Mist geführt ist, sondern früh und häufig. Erforschen heisst, kontinuierlich zu fragen und zu messen, wie etwas funktioniert; Annahmen zu treffen und diese an der Realität zu überprüfen. Das erfordert unter anderem Offenheit, Kreativität und Methodik. Ergebnisse sind neben guten Produkten und Dienstleistungen, welche die Bedürfnisse ihrer Nutzenden treffen, auch Standards. Durch praktische Erfahrungen gewonnene, angepasste und dadurch belastbare Standards, die auch andere anwenden können.

Mit Erfahrungen Schwung erzeugen

Im Falle von OGD – wie wohl bei vielen anderen staatlichen Vorhaben auch – gibt es bereits von anderen erarbeitete Standards. Ihre Existenz an sich vermag unsere Praxis nicht stark zu beeinflussen. Wir müssen sie mit unserer eigenen Erfahrung in Beziehung bringen, sie praktisch anwenden. Wir müssen in unserem Kontext lernen, was wie wirkt. Jede*r Mitarbeitende sollte das möglichst selbst tun und sich mit anderen über Beobachtungen und Erfahrungen austauschen. So bauen wir Kompetenzen und Fähigkeiten auf und aus.

Meine praktische Arbeit bestätigt mich darin, dass wir unseren Auftrag dann überzeugend, wirksam und nachhaltig erfüllen, wenn wir früh in kleinen Schritten etwas Konkretes umsetzen, daraus dank Daten, qualitativen Feedbacks und Selbstkritik lernen und Entscheidungen darauf abstützen. Vorhaben, deren Umsetzung von Erfolg gekennzeichnet sind, wurden in den seltensten Fällen komplett vorab bis ins letzte Detail konzipiert und danach wasserfallartig in einem einzigen Guss umgesetzt. So funktioniert unsere Welt nicht, weder früher noch im digitalen Zeitalter.

Quellen und Inspiration

Dieser Text entstand im Februar 2019 auf Anregung von Martin Jordan – danke, Martin! In einer kürzeren Fassung ist er in der Service Gazette (5. Jahrgang, Nr. 1) des Public Service Lab erschienen. Danke, Katrin Dribbisch und Simone Carrier!

Die Bilder sind Auszüge eines Referats, das ich am 13. Mai am Info Sprint 2019 des Vereins OneGov.ch halten durfte. Danke, Jürg Kellner!

Den Gedankengang von einer “Verwaltung im Wandel” zu einer “wandlungsfähigen Verwaltung” habe ich einem Blogpost von Stephen Foreshew-Cain entnommen. Thanks, Stephen!

Ich freue mich, von Erfahrungen anderer zu lesen. Und über Feedback. Herzlichen Dank!

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Andreas Amsler
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