Denn dann kam Strache

Nino Groß
5 min readJun 21, 2015

Ich wollte das eigentlich schon gestern schreiben. Dagegen sprach der Respekt vor den Toten, den Verletzten und ihren Familien. Hier geht es um den Wahnsinn von Graz. Und um den blinden Nationalismus einer Partei, dem wir gerade jetzt entgegentreten müssen. Ein Aufruf an alle, die wie ich denken.

Ich wohne mit zwei meiner besten Freunde am Grazer Hauptplatz. Gestern bin ich knappe zehn Minuten, bevor das Unfassbare passierte, am Hauptplatz in eine Bim stadtauswärts gestiegen. Zwei Zigarettenlängen später lagen Tote und Verletzte quasi vor unserer Haustür. Surreal. Völlig. Aber das sollte an diesem Tag nicht das einzige Unglaubliche bleiben.

Diese Sache ging mir nahe und tut es noch. Wahrscheinlich, weil es so knapp an mir dran war. Ich bin 26 Jahre alt, laufe tagtäglich über genau die Straßen, die ein anderer 26-Jähriger gestern dazu nutzte, gezielt Menschen zu töten. An einem Grazer Samstag mit Formel-1-Trara am Hauptplatz, gewohnt vielen Touristen, Familienfestatmosphäre. Aus Flanieren, Eis essen und Kaffee trinken unter der Sonne wurde Chaos, Tod und Trauer auf Asphalt. Verursacht durch den Ausraster eines psychotischen Einzeltäters. Das Schlimme ist, Vorfälle wie dieser lassen sich wahrscheinlich nicht vermeiden. Wenn einer durchdrehen will, dann tut er das. Das hätte vor drei Jahren passieren können, das kann in zwei in ähnlicher Form woanders wieder passieren. Dagegen gibt es keine Präventivmaßnahmen. Wir können nur unser Mitgefühl ausdrücken, Anteil nehmen und als Gesellschaft enger zusammenrücken.

Ich erfuhr gegen 12:30 Uhr von den Geschehnissen in der Innenstadt. Die Mutter meiner Freundin rief mit zitternder Stimme an, wollte wissen, wo wir gerade sind. Danach herrschte bei uns Fassungslosigkeit. Wir waren auf dem Weg in die Oststeiermark. Immer wieder checkte ich unterwegs meinen Facebook-Newsfeed, Twitter und den Live-Ticker der Kleinen Zeitung. Aus zwei Toten wurden drei, die Verletztenzahl schritt nach oben, immer mehr Infos kamen ans Licht. Schlimmer geht’s nicht, dachte ich mir. Doch, geht es. Denn dann kam Strache.

Als ich dieses Posting las, geriet ich in Rage. Man ist mittlerweile einiges gewohnt, das aus dem Mund dieses Mannes tritt (Hier liegt ja eigentlich der Hund begraben, Stichwort schleichende Enttabuisierung in einer offenen Demokratie), aber das machte mich fassungslos. Ich will die Worte hier nicht wiedergeben, die mir in dem Moment durch den Kopf geschossen sind. In Graz liegen drei Menschen tot vor ihren Familien auf der Straße, dutzende weitere bluten neben ihnen. Ein Mensch hat anderen Menschen in einer Einzeltat ohne jegliche politische Motivation unfassbares Leid zugefügt. Was macht der Parteiobmann der drittstärksten Partei Österreichs knappe 90 Minuten später? Er benutzt die Tat als übelsten politischen Spielball, erörtert die vollkommen irrelevante Nationalität des Täters für die eigene nationalistische Hetze. Alles auf dem Rücken der Toten von Graz. Ohne ein einziges Wort des Mitgefühls. Und genau hier ist Schluss. Jetzt reicht’s.

Vielleicht haben wir schon viel zu lange zugesehen, sind — zumindest was meine Generation betrifft — politikverdrossen und zu wenig aktiv. Haben uns nicht genug engagiert, weil es uns gut geht. Es ist ja auch denkbar schwer, diese FPÖ zu handeln. Ausgeklügelte PR-Strategie, dazu ein starker Mann mit Strahlkraft ganz vorne. Strache ist “One with the Underdogs”. Prädestiniert, die strohdummen 10% (Achtung, Nino-Schätzung, keine offizielle Statistik, dürfte dennoch voll gut hinkommen) der Bevölkerung abzuholen, rhetorisch gut genug, um weitere 20% ausreichend zu manipulieren und mobilisieren. Im Bühnenlicht der österreichischen Öffentlichkeit jedes Mal dasselbe Trauerspiel: Strache und Konsorten provozieren und empören, das politische Restspektrum samt Medienlandschaft reagiert und empört sich darüber. Beim FPÖ-Klientel bleibt hängen: “Die wollten den HC schon wieder ruhig stellen.” Massive Aufmerksamkeit für Blau, der Inhalt ist da gar nicht so wichtig, die Rechnung geht wieder auf. Die inszenieren ihre Schlacht ja auch sehr schön. Hier die strammen Recken, die letzten Abendländer, die, die sich noch was sagen trauen und “die Gefühle der Österreicher” verstehen. Drüben die Links-linken im Interessenspakt mit der Medienschickeria, angeführt von einem Armin Wolf, der immer so gemein fragt und dem diese blöde Wahrheit so wichtig ist; abschließend ergänzt um die grünen “Gutmenschen”.

Ich kann es nicht mehr mit ansehen. Seit Jahren bemühe ich mich, mich nicht mehr über FPÖ-Sager aufzuregen. Das Kalkül dahinter ist ja eh klar. Und in Wahrheit mache ich hier genau denselben Fehler: Ich empöre mich über einen Strache-Post, den er ganz bewusst so veröffentlichen hat lassen. Er und sein Kernteam kennen die Knöpfe, die für ein hübsches Quantum öffentlicher Empörung zu drücken sind. Die Strache-FPÖ bespielt die Klaviatur populistischer Politkommunikation virtuos. Doch mein Fehler ist ebenso bewusster Natur. Er soll nicht bloß die Äußerung persönlichen Unmuts darstellen, wie ein flottes, schnell gedropptes Facebook-Posting oder ein Share. Er soll ein Aufruf sein. An alle Bürger dieses Landes, die Liebe über Hass stellen, zu Mitgefühl fähig sind und für die Gut oder Schlecht keinen Reisepass hat. Ich bin überzeugt, von euch gibt es genug da draußen.

  • Steht auf. Gegen Hetze und Fremdenfeindlichkeit, gegen blaue Demagogie. Auch wenn euch Politik vielleicht bislang nicht interessiert hat. Informiert euch, schafft Bewusstsein.
  • Beginnt in eurem persönlichen Umfeld. Lasst den Onkel/Arbeitskollegen bei der Grillfeier nicht mehr mit einem “Aber ganz unrecht hat der HC auch nicht” davonkommen, weil euch die Diskussion zu blöd ist.
  • Geht wählen. Um Himmels willen, geht wählen. Bis zur NRW 2018 müssen wir das wieder drehen.
  • Am wichtigsten: Vergesst niemals Straches Reaktion auf die Toten von Graz. Erzählt sie weiter, zeigt sie jedem, haltet sie seinen Befürwortern entgegen.

Ab jetzt gibt es keine Entschuldigung mehr, jeder in dieser FPÖ bezollt mit seiner Mitgliedschaft seine Sympathie für Straches Gedankengut. Jeder, der sie wählt, ist einer von ihnen. Jeder FPÖ-Funktionär, der nach diesem Facebook-Post noch in den Spiegel schauen und reinen Gewissens unter diesem Obmann weiterarbeiten kann, ist einer von ihnen. Ein Menschenfeind, jemand, der die Gesellschaft spalten will. In einer demokratischen Republik müssen wir uns damit abfinden, dass es immer ein Milieu mit derartigem Gedankengut geben wird. Können wir nicht ignorieren, sollten wir nicht ausgrenzen. Wir dürfen niemandem das Recht vorenthalten, sich sein eigenes Bild von dieser Welt zu machen, so verklärt es auch sein mag. Dafür können wir alles daran setzen, ihnen keine weitere politische Macht abzutreten, keinen Zentimeter. Die steirischen Landtagswahlen sind noch nicht lange passé. Detailinfo, die man angesichts unseres schnellen, durchdigitalisierten Medienkonsums mit inkludierter, verknappter Aufmersamkeitsspanne übersehen haben könnte: In Graz-Umgebung, dem einwohnerstärksten Bezirk der Steiermark, war die FPÖ nicht bloß Dritter auf Augenhöhe, wie im landesweiten Endergebnis. Nein, sie war stimmenstärkste Partei.

Sollte sich dieser Trend auf Bundesebene fortsetzen, mag ich nicht mehr in diesem eigentlich so wunderbaren Land leben. Denn wenn Blau ans Ruder kommt, sieht es für Österreich schwarz aus.

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DerStandard.at, VICE | Alps und schattenblicke.at haben sich ebenso mit diesem Thema beschäftigt.

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