Zwischen Rohrstock und Knete-Tierchen
Grundschulunterricht in Ghana: Erfahrungen und Anregungen für zukünftige Freiwillige
Wenn ich an mein Jahr in Ghana zurückdenke, vermisse ich drei Dinge am meisten. Erstens: Die Ungezwungenheit der Menschen. Zweitens: Omo Tuo in Erdnusssuppe. Und drittens: Die Schulkinder der Christ The King School, an der ich als Freiwilligendienstler mitwirken durfte. Als mich der Direktor zu Beginn des Schuljahrs meinen zukünftigen Klassen vorstellte, brach jedes Mal lauter Jubel aus — welch umwerfende Begrüßung! Zwar konnten mir die Kinder die Nerven manchmal ganz schön aufreiben, doch viel öfter brachten sie mich innerlich regelrecht zum Strahlen. Ich unterrichtete die Klassen eins bis drei in ICT (Information and Communication Technologies) und die sechste Klasse in Mathematik. Mit einer der dritten Klassen führte ich ein Umweltbildungsprojekt durch, dessen Abschluss eine große Müllsammelaktion bildete, und als Freizeitprogramm für Fünft- und Sechstklässler*innen gründete ich einen “Music Club”, wo wir als Percussiongruppe einen einfachen Samba einübten. Mit diesem Artikel möchte ich meine Erfahrungen an aktuelle und zukünftige Volunteers weitergeben.
Die Christ The King School
Doch zunächst einige Infos zur Schule selbst. Die Christ The King School ist eine unter vielen christlichen Privatschulen im Süden Ghanas. Sie liegt inmitten eines Wohngebiets der Kleinstadt Swedru. Zur Schule gehören die Primary School (Jahrgangsstufen 1–6) und die Junior High School (allgemeine weiterführende Schule mit Jahrgangsstufen 7–9). Beide Schulteile sind — wie in Ghana üblich — U-förmig gebaut. Genauer gesagt bilden die Klassenräume eine Art rechteckiges Hufeisen, das einen unüberdachten Innenhof umschließt. Am offenen Ende des Hufeisens befindet sich der Eingang, außerdem werden hier Schulhefte, Kantinenessen und Süßigkeiten verkauft.
Wie an vermutlich allen ghanaischen Schulen findet frühmorgens zuallererst die Morning Assembly statt, zu der sich die Schüler*innen im Innenhof aufstellen und die ghanaische Nationalhymne singen müssen. Im Anschluss marschiert eine Klasse nach der anderen militärisch anmutend in ihr Klassenzimmer — eine verbreitete (und für mich befremdliche) Tradition, die wohl auf die Kolonialzeit zurückgehen dürfte. Der Unterricht beginnt bereits um 7:15 Uhr und endet erst um 15:10 Uhr. Vormittags und mittags gibt es kurze Pausen, in denen eine Verwandte des Direktors Süßigkeiten und frisch zubereitetes, ghanaisches Essen verkauft.
Die Schulgebühren der Christ The King School sind für ghanaische Verhältnisse überdurchschnittlich hoch und die Schüler*innen stammen überwiegend aus Familien der Mittel- und Oberschicht. Die Schule hat sogar einen eigenen, bunten Schulbus, für den Eltern ihre Kinder gegen eine Zusatzgebühr anmelden können. Der Schulalltag ist gut organisiert, die meisten der Schulkinder haben Hefte und einen (wenn auch stumpfen) Bleistift und sie verstehen Englisch — grundlegende Verständigung ist sogar mit den ganz kleinen möglich. Laut meinem Gastvater schneiden die Schüler*innen im Vergleich zu anderen in der Region gut ab. Meine Kolleg*innen an der Schule waren total freundlich, aufgeschlossen und hilfsbereit. Insgesamt hatte ich also sehr gute Unterrichtsvoraussetzungen und das Glück mich effektiv einbringen zu können. Trotzdem war das Unterrichten in so mancher Hinsicht eine ganz schöne Herausforderung.
Strafen und Belohnungen
Allem voran gibt es eine ganze Reihe an Dingen, die die Konzentrationsfähigkeit der Schulkinder erheblich beeinträchtigen. Dazu zählt, dass die Schultage lang sind und wegen der Morning Assembly schon um 6:15 Uhr beginnen (also mitten in der Nacht, nach meinen Zeitverständnis). Doch auch die Architektur der Schulgebäude ist problematisch. Da die Klassenräume zum Innenhof hin offen sind, werden sämtliche Schüler*innen abgelenkt, sobald eine Klasse beispielsweise das Einmaleins rezitieren muss. Hinzu kommt, dass die Wellblechdächer bei Regen ein rauschendes Getöse erzeugen. An heißen Tagen wiederum ist es schwül und drückend in den unklimatisierten Klassenzimmern. Unter solchen Voraussetzungen können sich die Schulkinder natürlich schlecht auf den Lernstoff konzentrieren. Für die Lehrer*innen ist es dann schwer, die Disziplin im Klassenzimmer aufrechtzuerhalten. Sie greifen gewöhnlich zum Rohrstock.
Doch in meinen Unterrichtsstunden kam selbstverständlich kein Rohrstock zum Einsatz. Stattdessen habe ich mich von meiner eigenen Grundschulzeit inspirieren lassen.
In der ersten Unterrichtsstunde hängte ich in jedem Klassenzimmer ein Plakat mit zwei Grundregeln auf: Erstens, es darf zu jeder Zeit nur eine Person sprechen, und zweitens, wer aufstehen möchte, muss vorher um Erlaubnis fragen. Von da an konnte ich bei Bedarf einfach auf das Plakat an der Wand zeigen. Gelegentlich wiesen die Kinder ihre Mitschüler*innen sogar selbst auf die Regeln hin.
Zu Beginn jeder Unterrichtsstunde bat ich alle Kinder aufzustehen, um als Energizer gemeinsam einen Song wie If you’re Happy and you Know it oder Head, Shoulders, Knees, and Toes oder Bob Marley’s Get up, Stand up zu singen. Dieses Anfangsritual löste jedes Mal wieder reichlich Freude aus.
Direkt nach dem Singen zeichnete ich immer ein glückliches und ein unglückliches Gesicht an die Tafel. Im Laufe des Unterrichts schrieb ich die Namen der besonders gut mitarbeitenden Schulkinder unter das glückliche Gesicht. Wer drei solcher Smileys gesammelt hatte, bekam eine kleine Belohnung — etwa einen Buntstift oder einen Radiergummi. Wer sich hingegen nicht an die Klassenzimmerregeln hielt, fand den eigenen Namen unter dem unglücklichen Gesicht wieder. Nach dem dritten Mal galt es dann, den Schulhof zu fegen oder die Latrinen zu putzen. Das klingt hart, doch was wäre die Alternative gewesen? Gewöhnliches Nachsitzen kam jedenfalls nicht in Frage, da der Unterricht wie beschrieben täglich erst gegen drei Uhr nachmittags endet und die Kinder im Anschluss nach Hause müssen. Außerdem zeigte sich bei meiner größten Klasse (45 Schüler*innen), dass es leider eine wirklich abschreckende Strafe brauchte. Im Endeffekt musste ich sie aber nur in dieser einen Klasse und insgesamt nur drei oder vier mal vergeben.
Alles in allem hat sich das ganze Konzept recht gut bewährt. Das hängt aber zugegebenermaßen auch damit zusammen, dass meine Klassen nur 25 bis 45 Schüler*innen hatten. Manche Freiwilligendienstler*innen im Nachbarland Togo waren 75-köpfigen Klassen ausgesetzt. Wenn so eine große Klasse einmal unruhig wird, helfen auch keine Plakate und Belohnungen mehr…
Prüfungen
Das Schuljahr ist in drei Abschnitte aufgeteilt. Nach jedem dieser Trimester finden in allen Klassen und Fächern Abschlussprüfungen statt. Leider hatten wir an der ganzen Schule keinen Drucker zur Verfügung. Daher blieb nichts anderes übrig, als die Prüfungsfragen an die Tafel zu schreiben. Wenn die Schulkinder die Fragen dann endlich mal in ihre Hefte übertragen hatten, blieb ihnen kaum noch Zeit die Fragen zu beantworten—denn dann folgte direkt auch schon die nächste Prüfung. So ging es von frühmorgens bis nachmittags, eine ganze Woche lang. Selbst an der Uni hatte ich nie einen so vollen Prüfungszeitraum! Um wenigstens die Jahrgangsstufen eins bis drei etwas zu entlasten, druckte ich ihnen die Prüfungen in einem Copyshop auf Papier aus.
ICT-Unterricht
Beim Unterrichten von ICT (Information and Communication Technologies) bestand die größte Herausforderung darin, dass es in der ganzen Schule nur einen Computerraum mit gerade mal vier funktionstüchtigen Rechnern gab. Ich versuchte sooft wie nur möglich mit den Klassen dorthin zu gehen, damit die Kinder den praktischen Umgang mit Maus und Tastatur üben konnten. Die meisten hatten noch nie zuvor einen Computer bedient. Die Windows-Hintergrundbilder lösten anfangs totale Begeisterung aus — die Erstklässler waren geradezu aus dem Häuschen. Auch strahlten alle, nachdem sie zum ersten Mal selbst das Startmenü geöffnet hatten. In solchen Augenblicken wurde es mir warm ums Herz; da kann mensch einfach nicht anders als sich mitzufreuen! Doch es war auch Frustrationstoleranz gefragt — zum Beispiel, wenn wiedermal der Strom ausfiel, ein Rechner nicht mehr wollte oder andere Lehrer*innen den Computerraum als Lehrerzimmer missbrauchten und sich während einer Unterrichtsstunde lauthals unterhielten. Einige Schüler*innen brauchten selbst für die vermeintlich einfachsten Dinge viel Zeit. Beispielsweise war der Doppelklick in der dritten Jahrgangsstufe eine eigene Unterrichtseinheit — kaum zu glauben, was mensch bei einem Doppelklick alles falsch machen kann! Nichtsdestotrotz verließ ich den Computerraum fast immer im Wissen, dass die Schulkinder etwas Essenzielles im Umgang mit dem Computer gelernt hatten. Und zwar fürs Leben, denn EDV-Kenntnisse sind auch in Ghana immer mehr gefragt.
Neben den Unterrichtseinheiten im Computerraum mussten viele ICT-Stunden im Klassenzimmer stattfinden. Zum einen, weil ich nicht permanent den Computerraum besetzen konnte, und zum anderen, weil das Fach auch theoretische Inhalte vorsieht. Um Grundschulkindern ein abstraktes Thema wie Informations- und Kommunikationstechnologien ohne praktische Anwendung zugänglich zu machen, ist etwas Kreativität gefragt. Hier sind drei Anregungen:
Music Club
Als Freizeitangebot für Fünft- und Sechstklässler*innen bot ich nachmittags einen “Music Club” an. Wer mitmachen wollte, konnte sich mit Unterschrift eines Elternteils dafür anmelden. Ich bat darum, dass sich nur diejenigen anmelden mögen, die auch wirklich jede Woche kommen konnten und wollten. Trotzdem erschienen jedes Mal nur zwischen 5 und 15 der 32 Schüler*innen, die sich anfangs angemeldet hatten. In den ersten Wochen sangen wir zwei Chorlieder und nahmen uns Bob Marleys legendären Protestsong Get up, Stand up mit Klatsch- und Stampfrhythmus vor. Danach studierten wir als Percussiongruppe einen einfachen Samba ein. Für mich waren die Proben anstrengend, denn die Schüler*innen machten reichlich Lärm, kamen viel zu spät oder gingen zwischendurch weg, ohne Bescheid zu sagen. Naja, Schüler*innen eben. Sie hatten jedenfalls ihren Spaß und am letzten Schultag gaben wir der versammelten Primary School sogar ein souveränes Abschlusskonzert.
Umweltbildungsprojekt
Zu guter Letzt möchte ich auf das Umweltbildungsprojekt eingehen, das ich mit einer der dritten Klassen durchführte. Ziel war es, den Schüler*innen einen verantwortungsvollen Umgang mit Müll zu vermitteln. Denn leider gilt es in Ghana weithin als normal, Abfälle einfach auf den Boden fallen zu lassen. Sie landen überall — auf der Straße, in den offenen Abwasserkanälen, im Regenwald, in den Flüssen und im Meer. Dass es im ganzen Land fast keine öffentlichen Mülleimer gibt, macht die Sache nicht besser, ist aber wohl kaum die Ursache für den sorglosen Umgang mit Müll. Das Problem scheint mir vielmehr zu sein, dass selbst Rollenfiguren wie Eltern und Lehrer*innen den eigenen Abfall einfach auf den Boden werfen. Um die Müllproblematik langfristig in den Griff zu bekommen, liegt es auf der Hand, schon in der Grundschule anzusetzen. So kam ich also auf die Idee ein kleines Umweltbildungsprojekt zu starten.
In den ersten Stunden ging es zunächst einmal darum, den Kindern das Konzept “Natur” greifbar zu machen. Die Schüler*innen konnten mit damit anfangs nicht viel anfangen. Das liegt vermutlich daran, dass der menschliche Eingriff in die Natur in Ghana noch nicht so allgegenwärtig ist wie zum Beispiel in Deutschland. Ein großer Teil des Landes ist noch weitgehend naturbelassen und selbst die Städte haben einen dörflichen Charakter — viele Straßen sind nicht betoniert, hier und dort trifft mensch auf Ziegen oder Hühner. Um uns also dem Begriff “Natur” anzunähern, erstellten wir im ersten Teil des Projekts eine große Mindmap und bastelten außerdem Tiere aus Knete (was den Kindern natürlich besonders Spaß machte).
Das Thema des zweiten Projektteils war Mülltrennung. Die Schüler*innen bekamen die Aufgabe, Gegenstände aus einer Tüte zu nehmen und zu sortieren: Holz, Metall, Glas, Kunststoff, Papier, Biomüll und Elektroschrott. Das klappte ziemlich gut, nur beim Plastik gab es einige Unsicherheiten.
Den Projektabschluss bildete eine große Müllsammelaktion in der umliegenden Wohnsiedlung. In den vorausgehenden Wochen zeichneten, malten und bastelten wir Plakate mit Slogans wie Keep Ghana Clean oder We Care for Our Environment. Am Tag, an dem die Müllsammelaktion stattfinden sollte, teilte ich die Klasse in drei Gruppen auf. Jede Gruppe bekam Gummihandschuhe, eine tragbare Mülltonne und zwei Plakate. Dann hieß die Devise: Möglichst schnell möglichst viel Müll sammeln und zu den Sammelcontainern bringen! Denn pro voller Tonne verdiente sich jedes Gruppenmitglied einen Milo Cube — eine kleine, beliebte Kakao-Süßigkeit. Die Teams begannen sofort eilig zu sammeln. An Müll mangelte es nirgends, Plastikverpackungen lagen überall verstreut. Kaum hatte eine Gruppe eine Tonne gefüllt, raste sie auf den nächstgelegenen Container zu, leerte die Tonne aus und sammelte weiter. Die Gruppe, mit der ich unterwegs war, fing bald an zu singen und manche riefen vorbeigehenden Leuten sogar die Slogans auf den Plakaten zu. Die Reaktionen der Anwohner*innen waren unterschiedlich: Manche lobten die Aktion und bedankten sich (“Gott bless you”), andere schenkten uns keine Beachtung. Nachdem wir eine gute Stunde lang unterwegs gewesen waren, versammelten wir uns wieder in der Schule. Die Spannung war groß — wer hatte am meisten Tonnen gesammelt? Gleichstand! Jedes Team kam auf acht Tonnen. Damit war das Verteilen der wohlverdienten Belohnung einfach: Acht Kakaowürfelchen für jede*n.
Alles in allem blicke ich auf die Arbeit an der Christ The King School immer wieder mit einem Lächeln zurück. Es war eine aufregende Zeit und mir hat es echt Spaß gemacht, Abwechslung in den Alltag der Schulkinder zu bringen. Wer mit dem Gedanken spielt, ebenfalls einen Freiwilligendienst an einer Grundschule zu machen, der/dem möchte ich abschließend noch zwei Dinge mit auf den Weg geben.
Erstens: Ich empfehle, ein ganzes Jahr einzuplanen. Wer kürzer vor Ort ist, muss die Schulkinder mitten im Schuljahr verlassen, was für alle Beteiligten belastend ist. Außerdem besteht bei Freiwilligendiensten von nur ein paar Monaten die Gefahr, dass die Zeit vorbei ist, bevor mensch richtig angekommen ist. Ich habe in Ghana drei Monate allein dafür gebraucht, mich halbwegs einzuleben und zu integrieren.
Zweitens: Weitreichende Vorbereitungen im Vorfeld sind in Freiwilligenprojekten oft ein Ding der Unmöglichkeit. Zum Beispiel erfuhr ich — genau wie viele andere Freiwilligendienstler*innen — erst unmittelbar vor Beginn des Schuljahres, welche Klassen und welche Fächer ich unterrichten würde. Trotzdem zahlt es sich meiner Erfahrung nach aus, sich schon vor Beginn des Freiwilligendiensts grundlegende Gedanken zur Unterrichtsgestaltung zu machen: Wie könnte meine erste Unterrichtsstunde aussehen? Wie kann ich den Schüler*innen Struktur geben? Was mache ich, wenn ich spontan eine Vertretungsstunde geben muss? Wie kann ich eine unruhige Klasse im Zaum halten? Wer sich das überlegt hat, ist trotz aller Unwägbarkeiten gut vorbereitet und kann im Idealfall schon von der ersten Unterrichtsstunde an sicher auftreten.
Doch nun genug gefaselt. Ich wünsche allen gegenwärtigen und zukünftigen Volunteers eine tolle Zeit, voller Freude am Tun, mit Gelassenheit in den schwierigen Zeiten und vielen herzlichen Begegnungen.
One World.