Gettysburg- die „Entscheidungsschlacht“, die keine war

Peter Lang
Peter Lang Publishing Blog
3 min readJun 27, 2023

von Stephan Maurer

Kanone im Gettysburg National Military Park Museum and Visitor Center
Gettysburg National Military Park Museum and Visitor Center, Baltimore Pike, Gettysburg, PA, USA. Picture by John Kostyk on Unsplash

Vor 160 Jahren- vom 1. bis 3. Juli 1863, fand die berühmte Schlacht von Gettysburg statt. Drei Tage lang griff die konföderierte „Armee von Nord-Virginia“ unter General Lee die Linien der unionistischen „Armee des Potomac“ unter General Meade an. Mehrfach gelang den Konföderierten fast der Durchbruch, am Ende wurden ihre Angriffe jedoch abgeschlagen und sie mussten sich wieder nach Süden zurückziehen. Fast 8.000 Männer verloren ihr Leben, Zehntausende weitere wurden verwundet oder gefangen genommen- mehr als in jeder anderen Schlacht des Bürgerkrieges.

In der kollektiven Erinnerung wurde Gettysburg zur Entscheidungsschlacht des Krieges. Dies ist zunächst nicht verwunderlich - Gettysburg war nicht nur die blutigste Schlacht des Krieges, sondern auch die am weitesten nördliche- nie zuvor und nie mehr danach drangen die Konföderierten mit einer ganzen Feldarmee so tief in das Gebiet der Nordstaaten ein. Für viele Südstaatler wurde Gettysburg nach dem Krieg zum „verlorenen Sieg“, zu der vergebenen Gelegenheit, den Krieg für sich zu entscheiden. Der Schriftsteller William Faulkner, selbst ein Südstaatler, schilderte dieses Gefühl in seinem Roman „Griff in den Staub“: „Für jeden vierzehnjährigen Jungen im Süden gibt es einen Moment, nicht nur einmal, sondern wann immer er es will, da ist es noch nicht ganz zwei Uhr an diesem Julinachmittag 1863, die Brigaden sind in Stellung hinter dem Lattenzaun, die Geschütze sind im Gehölz bereit […]. Dieses Mal. Vielleicht dieses Mal, mit so viel zu verlieren und so viel zu gewinnen: Pennsylvania, Maryland, die Welt, den Goldenen Dom von Washington selbst.“

Gettysburg hatte tatsächlich das Potential, dem Krieg eine entscheidende Wendung zu geben. Die Konföderierten erhofften sich von der Invasion Pennsylvanias einen Sieg mit Signalwirkung: Ein militärischer Erfolg, vielleicht sogar ein Festsetzen auf dem Gebiet der Nordstaaten, so das Kalkül, könnte den Norden vielleicht kriegsmüde machen und im Wahljahr 1864 einen Politikwechsel herbeiführen. US-Präsident Lincoln andererseits hoffte, dass seine Truppen die Konföderierten fernab ihrer Basis vernichten würden.

Der Verlauf der Schlacht machte jedoch beide Hoffnungen zunichte. Die Konföderierten kamen im Verlauf der Schlacht einem Sieg nahe, mussten die Schlacht und ihre Invasion jedoch schließlich abbrechen. Umgekehrt gelang es aber auch den Nordstaatlern nicht, General Lees Armee von ihrem Rückzug nach Virginia abzuschneiden und zu vernichten. Ironischerweise liegt die Bedeutung von Gettysburg damit weniger darin, was dort geschah, sondern darin, was hätte geschehen können.

So wie die Schlacht tatsächlich verlief, war sie nämlich keineswegs kriegsentscheidend. Der Bürgerkrieg dauerte nach Gettysburg noch 20 weitere, blutige Monate. Lincolns Wiederwahl und der Sieg der Union waren lange keineswegs gesichert, und Lees Armee keineswegs geschlagen. Bereits im Herbst 1863 versuchte Lee, erneut die Voraussetzungen für eine Offensive des Nordens zu schaffen, und 1864/65 hielt seine Armee neuneinhalb Monate lang einer Belagerung stand. Was Lincolns Wiederwahl sicherte und den Krieg schließlich zugunsten des Nordens entschied, waren die Erfolge der Nordstaaten auf anderen Kriegsschauplätzen. Im Sommer 1863 wurde eine südstaatliche Armee bei Vicksburg eingekesselt und zur Kapitulation gezwungen. Gleichzeitig befreiten die Unionstruppen den Großteil Tennessees und eroberten im Sommer 1864 Atlanta und einige Monate darauf Savannah. Diese Erfolge auf dem sogenannten „westlichen Kriegsschauplatz“ waren es, die den Süden nach und nach seiner industriellen Kapazitäten beraubten, die Befreiung der Sklaven vorantrieben und die südstaatliche Bevölkerung kriegsmüde machten- und schließlich zum militärischen Zusammenbruch der Rebellion 1865 führten.

Stephan Maurer ist Autor von „Die Schlacht von Gettysburg: 1.-3. Juli 1863“, Peter Lang Verlag 2023, https://www.peterlang.com/document/1292360

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Peter Lang specializes in the Humanities and Social Sciences, covering the complete publication spectrum from monographs to student textbooks.