Warum Landtagswahlen nichts mit Merkel zu tun haben— aber wir alle so tun als ob

Wir haben es uns angewöhnt jede Landtagswahl als Gradmesser für Bundespolitik anzusehen. Eigentlich totaler Blödsinn, da Landespolitik und Bundespolitik zwei verschiedene Paar
Schuhe sind.

Andreas Mullerleile
policylab.eu
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3 min readOct 27, 2018

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Bei jeder Landtagswahl das gleiche Ritual. Journalisten analysieren den Einfluss der Landtagswahl auf die Bundespolitik und vice versa. Am Wahlabend gibt es dann diese langweiligen Interviews mit Parteivorsitzenden und der Frage, was das Ergebnis jetzt mit der Politik der Bundesregierung zu tun hat. Dann eine Schalte nach Berlin, gleiche Fragen — gleiche Antworten. Den einzigen Einfluss den es geben kann— mögliche Mehrheitsverschiebungen im Bundesrat — kommt in der Berichterstattung kaum vor. Auch vor der Wahl das gleiche Spiel. Es gibt Umfragen, die von den Wählern wissen will, ob sie die Landtagswahl benutzen um “Berlin einen Denkzettel zu geben”. Die (überregionalen) Vorberichterstattung in den Medien dreht sich meistens um die Stärke/Schwäche der Regierung in Berlin und warum diese Landtagswahl so wichtig ist für das Überleben/Untergang der Regierung ist. Und internationale Medien interessieren sich sowieso nur für den Aspekt der Bundespolitik. “Noch eine Schlappe — wird die Koalition halten?” “Wäher strafen Bundeskanzlerin ab”; “Denkzettel für die CDU”; etc. Das ist großes Theater. Gute Unterhaltung.

Und wer kann es den Journalisten verdenken? Gerhard Schröder hat einst die Vertrauensfrage nach einer verlorenen Landtagswahl gestellt. Und es ist natürlich auch immer eine super ‘David vs. Goliath’ - Geschichte —ein Bundesland in der Provinz kann die Kanzlerin stürzen. Toll! Das macht die Wahl spannend — auch für Menschen in anderen Bundesländern oder im Ausland.

Landtagswahl = Bundestagswahl in klein?

Aber: Ist so eine Herangehensweise nützliche für unsere politische Kultur? Ist es nicht eher viel Lärm um nichts? Es ist eine konstruierte Wirklichkeit von Politik und führt zu einem sehr simplifizierenden Verständnis von Politik. Oder anders ausgedrückt: Wir bilden uns den Zusammenhang zwischen Landtagswahl und Bundespolitik eigentlich nur ein. Denn durch das vereinfachende Narrativ “Landtagswahl ist wie Bundestagswahl nur in kleiner” wird uns eingeredet, dass wir in einem politischen System leben, in dem alle Entscheidungen von der Kanzlerin und der Bundesregierung getroffen werden und wir mit unserer Stimme bei der Landtagswahl daran irgendwie was ändern können. Dabei verlieren wir aber das Verständnis für unser föderales System — und schwächen damit unsere Demokratie. Regionale Sachthemen gehen unter, alles wird mit dem Narrativ “Bundespolitik” in Verbindung gebracht. Wie verlieren den Überblick, wer für was verantwortlich ist.

Politikverdrossenheit hat oft mehrere Gründe. Einer davon sind politische Versprechen, die nicht gehalten werden. Wenn also eine Landtagswahl als Stimmungstest für die Bundesregierung in Berlin missbraucht wird oder wenn über Sachthemen diskutiert wird, die die Landespolitik nicht verändern kann, ist das kontraproduktiv. Der Wähler beginnt, den Glauben an die Politik zu verlieren, die Landtagswahl wird als nicht wichtig eingestuft, da sich ja in Berlin nichts verändert…

In einem föderalen System wählt man die besten Konzepte für die jeweilige Ebene. Ganz ehrlich: Als Wähler fühle ich mich nicht ernst genommen, wenn meine Stimme als Stimmung für die Konstellation auf einer anderen Ebene interpretiert wird. Das Tolle an unserem politischen System ist doch, dass ich bei lokalen, nationalen und Europäischen Wahlen unterschiedliche Parteien wählen kann und mir genau überlegen kann, wer mich auf welcher Ebene am besten repräsentiert und welche Themen mir dort wichtig sind. Die Frage ist natürlich, inwieweit die Wähler das (noch) so sehen. Wenn Wähler in Umfragen regelmäßig angeben, die kommende Landtagswahl als “Denkzettel für Berlin” zu benutzen, zeugt das von einem großen politischen Missverständnis. Oder ist es ein Zeichen von fehlender politischer Bildung? Klar ist, wir Wähler sind gefangen in diesem Narrativ.

Wir müssen wieder lernen, zu unterscheiden, welche politischen Themen auf welcher Ebene entschieden werden.

Hier sind Parteien und Journalisten gefordert. Das beginnt im Wahlkampf und setzt sich in der Berichterstattung fort. Landtagswahlen sollten nicht mehr für Bundespolitik missbraucht werden. Themen sollten aus der Landespolitik kommen. Bundespolitiker sollten sich zurückhalten und sich nicht in den Wahlkampf einmischen. Journalisten sollten über die Landespolitik berichten (auch zwischen den Wahlen, was ja in regionalen Medien gut gemacht wird) und nicht in jedem Artikel die Frage nach den Auswirkungen auf die Bundespolitik stellen.

Das würde auch helfen, Politik wieder “näher an die Menschen zu bringen”, “Sachthemen wieder in der Vordergrund zu stellen”.

Ausblick auf Europa

Nächstes Jahr bei den Europawahlen könnten wir damit ja mal anfangen und es mit einem Fokus auf die Arbeit des Europaparlaments und seiner Abgeordneten versuchen — anstatt die Wahl als erneuten Stimmungstest für die Bundesregierung zu verkaufen.

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Andreas Mullerleile
policylab.eu

Political analyst, EU watcher, Comms Strategist & Innovator. @kosmopolit Media/speaking requests: andreas@policylab.eu