Weniger Meinung wagen

Medien sollten sich auf Ihre Stärken besinnen. Weniger Meinungsjournalismus — mehr Recherche. Das würde die Qualität erhöhen und der allgemeinen Medienskepsis entgegenwirken.

Andreas Mullerleile
policylab.eu
3 min readOct 10, 2018

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Brauchen wir wirklich eine Meinungsseite in jeder Tageszeitung? Brauchen wir einen Kommentar in den Tagesthemen? Warum sind Kolumnisten die bekannteren Journalisten? Fragen, die nicht nur Medien betreffen, sondern auch unsere Demokratie und wie wir über Politik debattieren.

Mehr Meinungen = mehr engagement?

Es ist ja kein Geheimnis. Auf facebook funktionieren Meinungen besser als Nachrichten (mal abgesehen von fake news) Alle großen media websites — von der New York Times zum Guardian und der FT — haben einflussreiche Meinungsseiten, die — gepusht durch social media — eine globale Diskussion auslösen und steuern können. Und auch die Deutschen Medien haben den Meinungsjournalismus entdeckt. Es ist kein Zufall, dass die meinungsstarken SPON, Bild und Zeit Online die Online Debatten dominieren. Aber: Brauchen wir wirklich diesen Meinungsjournalismus oder können wir uns nicht selbst eine Meinung aufgrund der Nachrichtenlage bilden?

Meinungsstarke Aufhänger und lustige Überschriften sind gut für die Clickzahlen — schaden aber der Debattenkultur

Meinungstarke Überschriften und lustige Aufhänger sind kontraproduktiv — für die politische Debatte. Es gibt Studien, die belegen, dass Menschen oft nur Überschriften und vielleicht noch den Aufhänger lesen. Beides wird oft nur von Redakteuren hinzugefügt und der Journalist, der den Artikel geschrieben hat, hat oft wenig Mitspracherecht. Wenn nun aber eine große Anzahl von Lesern nur auf diese beiden Elemente schaut, sich dadurch eine Meinung bildet, läuft was falsch in unserer Mediendebatte. Unsere Debattenkultur verkümmert, wenn wir nur noch meinungsstarke und überspitzte Überschriften als Argumente benutzen. Im Prinzip wird so ein zu simples Modell der Politik kommuniziert und differenzierte Argumente bleiben auf der Strecke. Zuspitzung kann funktionieren aber nur im Kontext einer Gesellschaft, die medienkompetent ist, das einordnen zu können — auch auf social media. Im Moment sind wir leider an einem Punkt angekommen, an dem überspitzte Überschriften das Businessmodel vieler Zeitungen sind, da diese mehr Engagement bringen und somit die Werbeeinahnen steigen lassen. Dabei verkümmert die Qualität der demokratischen Debatte. Aber: Ist das noch ein ein Modell, dass Journalismus als gesellschaftliche Aufgabe definiert? Ein Umdenken scheint hier unausweichlich.

Im Internet sieht alles gleich aus.

Facebook macht kein Unterschied zwischen gut recherchierter Story und schnell hingerotzten Kommentar. Auch auf Spiegel, Sueddeutsche oder FAZ werden Kommentare oft als ‘Topstory’ gefeatured. In einer gedruckten Zeitung konnte man die Meinungsseite überspringen und wusste instinktiv, dass der Rest recherchierte Nachrichten waren. Auf social media Plattformen regiert die Überschrift. Da kommt man ohne eine gewisse Medienkompetenz nicht weit. Ist der Artikel Meinung oder Nachricht, ist das Outlet vertrauenswürdig, welche politische Richtung wird bedient, wann wurde das Stück veröffentlicht, auf was bezieht sich der Artikel, wer ist der Journalist?

Wir brauchen einen ganz neuen Zugang zu (Online-) Medienkompetenz — und das ist eine gesellschaftliche Mammutaufgabe. Wahrscheinlich sollten wir damit schon in der Grundschule anfangen, aber auch in Universitäten und Betrieben sollten wir diese Kompetenzen stärken. Nur so können wir die demokratische Debatte wieder zivilisieren — und unsere Demokratie retten.

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Andreas Mullerleile
policylab.eu

Political analyst, EU watcher, Comms Strategist & Innovator. @kosmopolit Media/speaking requests: andreas@policylab.eu