Daniel Bell — Soziale Systeme sind zählebig

Frank Stratmann
praxis2null
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3 min readSep 11, 2013

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In dem Klassiker “Die nachindustrielle Gesellschaft” von Daniel Bell aus dem Jahre 1973 steht zum Anfang eines Kapitels “Wie sich Gesellschaftssysteme wandeln” als erster Satz:

Soziale Systeme sind zählebig

Bell will uns damit sagen, dass wir anerkennen müssen, dass es Zeit braucht, wenn Menschen sich entscheiden, einen Prozessmusterwechsel im sozialen Miteinander zu wagen. Häufig gönnt sich dieser Wandel mehrere Jahrzehnte. Für unsere Situation bedeutet das. Gesundheitsnetze bilden unter dem Dach eines zunächst juristischen Komplexes eine Gemeinschaft, die sich erst einem zweiten, wünschenswerten Schritt als Netzwerk findet.

Die Entscheidung zum Prozessmusterwechsel und damit aus einem Netz, ein Netzwerk entstehen zu lassen, muss bewusst eingeleitet werden.

In der Netzwerkgesellschaft ist die selbst gewählte Gemeinsacht der Zufluchtsort für Menschen.

Diese Erkenntnis offenbart uns der Trendforscher Peter Wippermann im Werte-Index 2012. Und diese Aussage besitzt eine wichtige Erkenntnis. Netzwerke (ergo Communities) entstehen im Anspruch der Selbstbestimmtheit.

Daniel Bell konnte 1973, elf Jahre bevor die erste Internet E-Mail Deutschland erreichte, nicht wissen, dass die nachindustrielle Gesellschaft, die es in dieser Reinform wohl auch nie geben wird, die Bezeichnung Netzwerkgesellschaft tragen darf. Zu seiner Zeit wäre er als technischer Utopist verschrieben worden. Neben der Kritik, die er wohl zu seiner Zeit aufgrund seiner Thesen eh schon geerntet hat.

Er wusste nur, dass eine Zeit anbricht, in der die kleinste, soziale Einheit das Individuum sein würde und das wurde ihm unter anderem auch anhand der Tatsache klar, dass schon damals der private Autobesitz des nach Freiheit strebenden Individuums Schuld an der öffentlichen Verkehrsverstopfung trug.

Daraus leitete er ab, dass echte, soziale Entscheidungen nötig und damit möglich werden, in denen das Individuum lernt, dass Zusammenarbeit zwischen Menschen (Kollege) schwieriger ist, als der Umgang mit Dingen (Hammer).

Von wegen Zeitvertreib

Die Teilhabe an der sozialen Vernetzung über die Sozialen Netzwerke und Kollaborationsformen durch eine fortgesetzte Digitalisierung ist also kein Zeitvertreib von fremdgesteuerten Konsumbesessenen. Es ist ein Angebot, das sich aus der Gesellschaft heraus quasi täglich erneuert und immer mehr Anhänger findet. Die Reoralisierung des Gesellschaft schreitet voran. Jeder erhält eine Stimme und kann diese im Netz veräußern. Ob er gehört wird, hängt nicht zuletzt vom Grad der Vernetzung ab.

Netz oder Netzwerk

Dabei ist die Begrifflichkeit Netzwerk, die sich aus Netz und Werk zusammensetzt Programm. Es geht bei dem Angebot auch darum, die Chance zu haben, etwas gemeinsam zu erarbeiten. Übersetzen wir Netzwerk ins Englische, heißt es Network. Work wie arbeiten, funktionieren, gelingen lassen, umformen. Auch deshalb greift für mich der Begriff Gesundheitsnetz zu kurz. Es wirkt auf mich wie eine geduldige Organisationsform, die sich rechtlich gefunden hat, aber nur wenig auf die Beine stellt. Mir ist klar, dass ich damit nicht allen Gesundheitsnetzen gerecht werde. Sicher ist es eine Petitesse, auf die Genauigkeit in der Definition zu bestehen. Doch wer Aktivität und vor allem Interaktivität als Tugend für sich in Anspruch nimmt, ist Netzwerker und nicht Netzer.

Dass dies eine zusätzliche Dimension, also virtuelle Umgebung bedarf, liegt nicht am Zeitgeist, in der wir von Technik umgeben sind. Ein Soziales Unternehmensnetzwerk zum Beispiel hebt Potenziale und schont Ressourcen. Die Öffnung der eigenen Organisation in Form der Gestaltung eines Sozialen Graphen muss die Folge sein. Der kulturelle Sprung ins kalte Wasser ist dabei leider nicht zu vermeiden, denn die Taktung mit der wir uns virtuell begegnen, ist eine andere und erinnert nicht an eine liebgewonnene Sozialeromantik der Kohlenstoffwelt. Das heißt nicht, dass wir diese aufgeben. Ganz im Gegenteil. Je normativer der Umgang mit Sozialen Medien wird, um so mehr wird sich das positiv auf Gemeinschaft außerhalb von Virtualität auswirken.

Mehr über die Virtualisierung des Sozialen Kitt erfahren, darf gewollt sein. Dabei bietet die Technik nur (noch) so lange ein Hindernis, wie sie als kompliziert verstanden wird. Danach schließt sich der Kreis. Dort, wo Technik als Errungenschaft normativ gelebt wird, kann man sich wieder auf das konzentrieren, was man eigentlich will. Zwischenmenschliche Interaktion als Essenz von Gemeinschaft.

Deshalb hoffe ich auf immer mehr Fragen hier im Blog und die sich daraus ergebenen Dialoge in einem noch sperrig wirkenden Umfeld sollen einen Beitrag leisten, die Teilhabe an sozialer Vernetzung in der täglichen Routine zu berücksichtigen.

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Frank Stratmann
praxis2null

… bietet die Verknüpfung gesellschaftlicher Trends mit zukunftsorientierten Entscheidungen für alle professionell am Gesundheitsgeschehen Beteiligten.