Formularlabor

Tests mit Menschen

Public Service Lab
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3 min readJun 29, 2018

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Interview mit Michaela Sobczak & Sonja Laag

Dreihundert verschiedene Formulare gibt es in der deutschen vertragsärztlichen Versorgung. Die meisten von ihnen stammen aus einer Zeit, in der Durchschlagverfahren statt Computernutzung den Alltag in Praxen bestimmten. Seit 2011 werden im Formularlabor die lückenhaften Dokumente mit NutzerInnen getestet. Wir sprachen mit den Laborleiterinnen, um mehr zu erfahren.

Wir haben gehört, dass Sie schon seit Längerem an einem spannenden Projekt, dem Formularlabor Westfalen-Lippe, arbeiten. Worum geht es dabei und welche Rolle nehmen NutzerInnen ein?
Sonja Laag: 2011 haben die Barmer und die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) das Formularlabor gegründet. In Borken, Münster und Dortmund wurden drei interdisziplinäre Arbeitsgruppen etabliert, um überflüssige bürokratische Hemmnisse abzubauen. In diesen Arbeitsgruppen kommen regelmäßig niedergelassene Haus- und Fachärzte, Ärzte des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, Mitarbeiter der KVWL und der Barmer zusammen. Sie prüfen und diskutieren die Vereinfachung von Formularen, die im Gesundheitssystem verwendet werden, insbesondere in ambulanten Fällen wie häuslicher Krankenpflege oder Krankentransport. Unser Motto ist ›aus der Praxis für die Praxis‹. Unsere Vorschläge leiten wir anschließend an die Gremien der Bundesebene weiter, wo die Formulare genehmigt werden.

Was sind die größten Herausforderungen und was müsste sich ändern, damit Ihre Arbeit noch mehr Wirkung hat?
Michaela Sobczak: Arbeitsstrukturen, insbesondere auf der Bundesebene müssten in ihre Planungen und Entscheidungen stärker die Basiskompetenzen einbeziehen. Bundesgremien wie Kassenärztliche Bundesvereinigung oder Spitzenverband der Krankenkassen haben selber nur wenige Erkenntnisse über praktische Details und gewichten diese damit oft zu gering. So werden Richtlinien vielfach entworfen und weiterentwickelt ohne die Umsetzung in der Praxis zu berücksichtigen. Das ist aber notwendig, weil die Gesundheitsversorgung operativ über Formulare umgesetzt wird! Die Bundesorgane sind vom Alltag der Ärzte und regionalen Mitarbeiter der Krankenkassen recht weit entfernt und haben damit geringe Kenntnis über die Verarbeitungsprozesse in den Praxen, bei Therapeuten oder auch in den Krankenkassen. Es braucht eine weitaus engere Verknüpfung zwischen den verschiedenen Ebenen der Selbstverwaltung. Formulare lassen sich nicht im ›Verhandlungsmodus‹ entwickeln, sondern im Verstehensmodus.

Bislang werden auch die Chancen der Digitalisierung noch nicht ausreichend gesehen. Daraus folgt, dass eine Vielzahl der Formulare für die digitale Anwendung inhaltlich überarbeitet werden muss. Die Digitalisierung verringert die bürokratische Belastung im Alltag nicht automatisch. Abfragen müssen logisch und verständlich sein. Dann kann digitale Umsetzung Arbeitsschritte ersetzen und beschleunigen. So können Informationen schneller und in besserer Qualität übermittelt werden.

Was war bisher Ihr größter Erfolgsmoment? Wann dachten Sie: ›Wir können richtig was bewegen!‹
MS: Die Zusammenlegung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit dem Auszahlungsschein. Bisher wurde mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dokumentiert, von wann bis wann ein Patient krankgeschrieben ist. Ist er länger als sechs Wochen krank, bezieht er Krankengeld. Für den Bezug des Krankengeldes musste immer noch ein zusätzlicher ›Auszahlungsschein‹ in der Praxis ausgestellt werden, der ist jetzt komplett entfallen.

SL: Ein anderes Beispiel ist die Vereinfachung der Chronikerbescheinigung, die bundesweit jährlich 300.000 Stunden für Bürokratie in der Arztpraxis einspart.

Aus Ihrer Sicht — was brauchen große Organisationen, um nutzerorientierter zu werden?
SL: Ein deutlich engerer Einbezug der Praxisebene. Nutzer in unserem Fall sind vor allem Ärzte und Krankenkassen. Formulare müssen gut, stringent und kurzgefasst sein, damit sie schnell bearbeitet werden können und somit auch für den Patienten schnell wirken können.

Und wie geht es jetzt weiter? Was wäre Ihr Traum für das Formularlabor?MS: Unser Traum wären verbindliche, kooperativ ausgerichtete Arbeitsstrukturen mit der Bundesebene, die eine regelmäßige Einbeziehung der Praxisebene vorsehen. Vor allem aber wünschen wir uns auch im Rahmen der Formulargestaltung dort mehr Workshop-Charakter, so wie wir es im Formularlabor handhaben. Es geht nicht darum, dass jemand seine Interessen durchsetzt, es geht um die beste Lösung für komplizierte Arbeitsprozesse. Die Digitalisierung des Formularwesens wird aufgrund der technischen Komplexität ein anderes Miteinander im Gestalten erfordern, um einfache, strukturierte und formularübergreifende Prozesse zu realisieren. Beispielsweise zur Vereinfachung von Kopfangaben oder Diagnose-Codes, die bislang in unterschiedlicher Form in zahlreichen Formularen erhoben werden.

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Michaela Sobczak arbeitet im Referat Entbürokratisierung der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. Zusammen mit Sonja Laag leitet sie das Formularlabor.

Sonja Laag ist seit 2010 Leiterin für Versorgungsprogramme bei der Barmer Ersatzkasse. Zuvor war sie für gesundheitspolitische Grundsatzfragen verantwortlich.

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Das Public Service Lab führt die deutsche Verwaltung an nutzerzentrierte Arbeits­praktiken heran und unterstützt sie in der digitalen Transformation.