Freiburg digital gestalten

Gemeinwohlorientierte und nachhaltige Stadtentwicklung

Bernd Winter
Public Service Lab
4 min readApr 12, 2021

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Mit seiner im Dezember 2019 vom Gemeinderat beschlossenen Digitalisierungsstrategie möchte die Stadt Freiburg große Schritte in ganz unterschiedlichen Feldern machen: Beteiligungsmöglichkeiten und Kommunikationswege für Bürger:innen sollen ausgebaut, städtisches Handeln transparenter, Museumsangebote auch digital und städtische Dienstleistungen hochwertig digitalisiert werden. Zielvorgabe aller strategischen Überlegungen und konkreten Maßnahmen ist ein realer Nutzen für die Menschen und Unternehmen in der Stadt.

Dafür wurden zunächst wichtige organisatorische Weichen gestellt: im Januar 2019 startete ein neues Fachamt mit dem Namen ›Digitales und it — DIGIT‹, angesiedelt beim Oberbürgermeister. Zudem wird mit der Ernennung Bernd Mutters als Digitalisierungsbeauftragter, gleichzeitig Leiter des DIGIT, das Themenfeld gestärkt: Bei ihm werden digitale Themen gebündelt, er und sein Team implementieren stadtinterne Qualitätsstandards und koordinieren digitale Prozesse, die teils quer über Ämtergrenzen hinaus Relevanz haben.

Vielfalt im Team

Zur Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie wurde ein interdisziplinäres Team — digital.freiburg — zusammengestellt: Dort agieren it-und Verwaltungserfahrene zusammen mit Mitarbeitenden aus dem Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich sowie solchen mit betriebs-, geo- und sozialwissenschaftlichem Hintergrund. Insbesondere durch diesen breiten Mix aus unterschiedlichen methodisch-fachlichen Kompetenzen und Erfahrungen können die Themen innovativ, aus vielfältigen Perspektiven und mit hoher Qualität bearbeitet werden.

Bürger:innen einbeziehen: von Beginn an

Ebenso wichtig war der methodische Ansatz: Damit digitale Maßnahmen und Ziele an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet werden, hat digital.freiburg vom Anfang an mit sehr Vielen geredet. Die Ansprache und der Einbezug ganz unterschiedlicher Stadtmilieus wurde durch das breit aufgestellte Team gefördert. In zahlreichen Workshops mit Verwaltungsmitarbeitenden und Menschen in der Stadt sowie einer großen Bürger:innenkonferenz hat digital.freiburg nach Vorschlägen und Ideen für Verbesserungen gefragt. Diese konnten online kommentiert und bewertet werden. Der gesamte Input wurde zusammen mit begleitender Fachexpertise angereichert, diskutiert und zusammengefasst.

Strategie als Beta-Version

Digital.freiburg formulierte einen Strategieentwurf, der als Beta-Version in vier sogenannten Check-up-Veranstaltungen eingeladenen Bürger:innen vorgestellt wurde. Es wurde gefragt: Ist der Inhalt verständlich, sind Ziele und Maßnahmen sinnvoll, fehlt Wichtiges? Mit diesem ungewöhnlichen Format hat digital.freiburg die ›Verwaltungskomfortzone‹ verlassen: das Team wusste im Vorfeld nicht, wie der Text aufgenommen werden oder ob es unrealistische Erwartungshaltungen provozieren würde, z.B. zu diesem Zeitpunkt gänzlich Neues einzubringen oder aufwendig abgestimmte Inhalte ganz rauszukippen. Wie würden Vertreter:innen der Stadtpolitik reagieren, wenn ein Entwurf vorgestellt wird, der bis dahin noch nicht vom Gemeinderat beschlossen wurde? Sämtliche Anwesende fanden es schlussendlich ein spannendes Format und gaben durchweg positives Feedback. Die inhaltlichen Rückmeldungen waren sehr hilfreich, um den Text an zahlreichen Stellen inhaltlich zu schärfen und verständlicher zu formulieren.

Dynamische Arbeitskultur

Nun wird es darauf ankommen, die zahlreich formulierten Maßnahmen auf den Weg zu bringen: Für die digitalen Services der Stadtverwaltung bedeutet dies, den iterativen Modus der Strategieentwicklung und seine agilen Elemente in der alltäglichen Verwaltungskultur deutlich stärker zu verankern. Digitale Services sollen dabei auf nutzer:innenzentriertes Entwickeln und schnell verfügbare Prototypen fokussieren. Dabei werden möglichst Methoden des ›Public Service Designs‹ eingesetzt, das bedeutet insbesondere Nutzer:innen-Tests von Services im Hinblick auf Verständlichkeit und Nutzen. Angesichts vormals dezentraler Hoheiten auch über Online-Servicefragen sowie fachrechtlicher Anforderungen ist es eine große Herausforderung, diese neue Vorgehensweise stadtweit zu etablieren und alle Fachämter produktiv einzubinden.

Es gibt erste greifbare Erfolge: So wurde ein Online-Mietspiegel entwickelt, der rege nachgefragt wird. Mit dessen Hilfe kann sofort und individuell die ortsübliche Vergleichsmiete für eine Mietwohnung in der Stadt Freiburg berechnet werden. Grundlage für die Schätzwerte des Mietspiegels ist eine repräsentative Befragung ausgewählter Haushalte. Entsprechend den mietrechtlichen Vorschriften hat man dabei nur Mietverhältnisse berücksichtigt, deren Mieten in den letzten vier Jahren vereinbart oder geändert wurden. Das Ergebnis dieser Online-Berechnung kann ausgedruckt werden.

Um einen qualitativ hochwertigen Service zu bekommen, wurde in diesem Fall auf dem landeseigenen Portal service-bw.de ein klickbarer Prototyp entwickelt. Mit diesem wurden Tests mit potenziellen Nutzenden durchgeführt. Das lief in etwa folgendermaßen ab: Die Testperson klickt sich durch den Prototyp und spricht dabei laut ihre persönlichen Wahrnehmungen und Gedanken aus: Was sehe ich? Was vermute ich hinter den unterschiedlichen Feldern und Klickbuttons? Ist es plausibel? etc. Ein abschließendes Gespräch zwischen Testleiter und Testperson runden diese Art von ›Think-Aloud‹-Test ab.

Die beobachteten und protokollierten Ergebnisse fließen in die Entwicklung mit ein und helfen den Service und seine intuitive Handhabung zu verbessern.

Dieses und weitere Projekte zeigen den Wert des eingeschlagenen Weges und machen Lust auf Weiteres.

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Bernd Winter ist Soziologe mit langjährigen Erfahrungen als Projektleiter im Sozialen und in der it, arbeitet im Team digital.freiburg.

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Bernd Winter
Public Service Lab

arbeitet bei der Stadt Freiburg (DIGIT — Digitales & IT), @digitalfreiburg, https://digital.freiburg.de