Gestalten statt Verwalten

Warum die Digitalisierung der Verwaltung ›in house‹ stattfinden muss

Simone Carrier
Public Service Lab
4 min readOct 30, 2017

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von Adam Walther & Simone Carrier

Die preußische Verwaltung war einmal eine große Innovation — jeder Bürger wird gleich behandelt und niemand mehr der Willkür eines Beamten ausgeliefert. Wer versucht, bei Berliner Bürgerämtern einen Termin zu bekommen, weiß, dass von einem innovativen Geist im Dienste der Bürger nicht mehr viel übrig ist. Jetzt aber hat die deutsche Verwaltung die Modernisierung verordnet bekommen — per E-Government-Gesetz.

Die Digitalisierung bietet Potential nicht nur Services für Bürger, sondern auch interne Prozesse für Beamte zu verbessern. Allerdings besteht die Gefahr, dass dieses Potential ungenutzt bleibt, sollte die Verwaltung diese wichtige Aufgabe nicht selbst übernehmen, sondern mehrheitlich an externe Berater und it-Dienstleister auslagern. Auf den ersten Blick mag das Sinn machen. Die Verwaltung ist nicht unbedingt für ihre digitalen Kompetenzen bekannt. Wir glauben aber, dass es ein großer Fehler ist, die Digitalisierung der deutschen Verwaltung anderen zu überlassen. Was aber ist riskant daran, wenn die Aufgabe von externen Experten und nicht der Verwaltung selbst übernommen wird?

1. Die Digitalisierung der Verwaltung ist keine einmalige Sache. Es ist kein Projekt, das man startet und nach 18 Monaten wird das fertige Resultat übergeben. Jeder Service wird in Zukunft (hoffentlich) digital verfügbar sein. Es geht um eine Aufgabe, die niemals abgeschlossen sein wird. Digital ist die neue Art, wie öffentliche Dienstleistungen entwickelt und erbracht werden. Will man also wirklich das Herz der Verwaltung, die Gestaltung der Bürgerdienste, an Dritte auslagern?

2. In Zukunft wird Verwaltung also die Betreuung digitaler Dienste beinhalten. Dazu braucht es neue Fähigkeiten. Wie anders sollen Verwaltungsbeamte diese lernen als durchs Machen? Übernehmen externe Experten die Umsetzung, verpasst man die Gelegenheit, neue Fähigkeiten und Expertisen ›in house‹ aufzubauen.

3. Die Föderalität Deutschlands wird bei der Gestaltung des E-Governments zur Herausforderung. Um zu vermeiden, dass jeder das Rad neu erfindet, müssen entwickelte Lösungen auch von anderen genutzt werden dürfen. it-Dienstleister sind meist nicht besonders großzügig, was das Teilen von Code betrifft. Nur die Verwaltung selbst hat Interesse an Open Source Code und dem Erschaffen geeigneter Schnittstellen, um reibungslosen Datenaustausch zu ermöglichen. Auch deshalb muss sie die Verantwortung dafür tragen.

4. Einen Service zu gestalten, der so perfekt funktioniert wie Amazon, wenn die Organisation dahinter so tickt wie unter Bismarck, ist unmöglich. Um Services zu verbessern, muss sich auch die Verwaltung modernisieren. Dazu müssen sich die Organisationskultur und das Mindset der Mitarbeiter verändern. Externe Dienstleister können von außen Impulse geben, der Großteil der Arbeit kann aber nur von der Organisation selbst getragen werden.

Welche Voraussetzungen braucht es also um Digitalisierung ›in house‹ anzugehen?

Die Beziehung zu Dienstleistern muss neu definiert werden. Statt Auftraggeber und Auftragnehmer zu sein, werden Dienstleister zu Partnern. Das eigene Team wird durch externe Experten erweitert, jedes Projekt muss auch dem Wissenstransfer dienen.

Wenn man einfach nur digitalisiert, was heute analog ist, vergibt man die einmalige Chance, Bürgerdienste neu zu denken und grundlegend zu verbessern — und zwar ausgehend vom Bürger. Für die Verwaltung ist der nutzerzentrierte Ansatz neu. Ein wichtiger Schritt dahin, ist ein verändertes Mindset. Da Beamte in Zukunft nicht nur verwalten werden, sondern auch gestalten, ist das zukünftige Mindset inspiriert von dem des Gestaltenden — des Designers.

Beamten-Mindset der Zukunft

Mehr Empathie, weniger Daten
Um neue Lösungen zu schaffen, brauchen wir Inspiration und die kommt durch Begegnungen mit echten Menschen, selten aus Excel-Tabellen.

Mehr Neugierde, weniger Expertenwissen
Jahrelange Erfahrung in einem Gebiet kann uns das Gefühl geben, alles zu wissen und beraubt uns der Möglichkeit, Neues zu lernen.

Mehr Experimentieren, weniger Planen
Große, innovative Projekte lassen sich nur schwer planen. Statt nach langer Planung zu scheitern, lässt sich Unsicherheit und Komplexität durch kleine Experimente managen.

Für den Bürger, nicht den Minister
Minister räumen nach 4 Jahren ihren Posten. Wäre es da nicht besser, sich nach den Bedürfnissen der Bürger zu richten?

Um E-Government selbst zu schaffen und zu leiten, braucht es neue Kompetenzen. Andere Länder haben es vorgemacht. Die englische Regierung hat zu hunderten Designer und Programmier verbeamtet und Beamte in User Research, Service und UX-Design weitergebildet. Expertisen, die auch für die deutsche Verwaltung relevant sind.

Es wäre naiv zu denken, dass jeder Verwaltungsbeamte Interesse und Talent hat, sich in diese Richtung weiterzubilden. Wir sind stolz, wenn unsere Partner erkennen, welche Fähigkeiten sie intern etablieren können und wo sie sich besser von außerhalb Unterstützung holen. In der Vergangenheit halfen wir unseren Kunden dabei, Stellenausschreibungen zu formulieren — auch wenn es bedeutet, dass wir uns damit selbst überflüssig machen.

Für die Zukunft wünschen wir der deutschen Verwaltung den Ehrgeiz, die Digitalisierung selbst anzugehen, statt nur deren Auftraggeber zu sein. Wir glauben daran, dass Verwaltung nicht nur verwaltet — sondern auch gestaltet.

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Adam Walther @adamwalther
arbeitet als Project Director bei FutureGov in London. Dort berät er als Organisationsdesigner Gemeinden, Behörden und Regierungen.

Simone Carrier @simonecarrier
ist freiberufliche Service Designerin in Berlin. Zuvor beriet sie als Head of Service Design bei FutureGov in London Regierungen in Europa und im Mittleren Osten.

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