Posterpropaganda

Über visuelle Kultur und Kommunikation in der Verwaltung

Martin Jordan
Public Service Lab
4 min readFeb 18, 2018

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Die Idee ist alles andere als neu: Das Poster als Medium für Propaganda. Heute wie schon vor 100 Jahren in der russischen Revolution werden sie genutzt um Haltungen auszudrücken, Ideen zu verbreiten und Einstellungen von Menschen zu verändern. Startups, Technologiefirmen und innovative Verwaltungen nutzen sie als Hilfsmittel für digitale Transformation.

›Good services are verbs‹-Poster in Räumen des Government Digital Service in London

Propaganda: »systematische Verbreitung politischer, weltanschaulicher o. ä. Ideen und Meinungen mit dem Ziel, das allgemeine Bewusstsein in bestimmter Weise zu beeinflussen« (Duden)

Heute nutzen Technologiefirmen wie Facebook Poster intern um in ihren Büros zentrale Unternehmenswerte zum Ausdruck zu bringen oder MitarbeiterInnen Handlungsanweisungen zu geben. Facebooks Analog Research Laboratory produzierte in den vergangenen Jahren zahlreiche Plakate, oftmals handgedruckt in Kleinserie. Ihre Motive sind schlicht, bestehen meist ausschließlich aus Text und postulieren Dinge wie ›Den Mutigen gehört die Welt‹, ›Erledigt ist besser als perfekt‹ oder ›Scheitere härter‹. Sie treiben an, lassen innehalten, sprechen Mut zu. MitarbeiterInnen wiederum kommentieren sie mit Klebezetteln, editieren und imitieren sie mit ergänzenden oder widersprechenden Aussagen.

Facebooks Pendants im öffentlichen Sektor — digitale Serviceteams wie die des Government Digital Service (GDS) in Großbritannien, der Digital Transformation Agency (DTA) in Australien oder des United States Digital Service (USDS) in den USA — bedienen sich gleicher Taktik. Unterschiedlich ist jedoch die Strategie. Ihre jeweilige Mission ist es, festgefahrene Denkweisen in Verwaltungen aufzubrechen, frische Arbeitsweisen zu propagieren oder neue Richtlinien zu kommunizieren.

Diese nutzerzentriert und agil arbeitenden Teams wollen die Art und Weise, wie öffentliche Dienstleistungen gestaltet werden, radikal verändern sowie Services einfacher, schneller und signifikant besser für ihre NutzerInnen machen. Dafür braucht es anderes Denken, beschleunigtes Handeln und moderne Methoden. Poster sind ein effektives und kostengünstiges Mittel, genau das in die langen Flure der Verwaltungsapparate zu tragen. Die Teams von GDS, DTA und USDS machen ihre Plakate einfach und für jeden über GitHub zugänglich. Das Kommunikationsteam von GDS unterhält selbst eine Galerie auf Tumblr und einen Instagram-Account, über die Interessierte stets auf dem Laufenden bleiben können.

Schaut man durch die GDS-Postersammlung der letzten vier Jahre, findet man eine Bandbreite von Funktionen, Formaten und Anlässen. Es finden sich einfache Aufforderungen wie ›Zeig wovon Du sprichst‹, Leitprinzipien wie ›Starte bei Nutzerbedürfnissen‹ und Slogans wie ›Bessere Services, bessere Verwaltung‹. Weitere Plakate enthalten detaillierte Tipps zu Nutzerforschung, Einladungen zu internen Veranstaltungen oder beschreiben die Regel, dass jedes Teammitglied zwei Stunden alle sechs Wochen Nutzerforschung beiwohnen sollte, um die Menschen zu verstehen, für die sie Dienstleistungen entwickeln.

Andere Motive fassen eine Richtlinie zusammen, z. B. über Namenskonventionen für Dienstleistungen (›Gute Dienste sind Verben. Schlechte Dienste sind Nomen.‹) oder Gestaltungsmuster (›Eine Sache pro Seite‹). Neue Vorschriften werden mit grafisch schlichten, aber wirkungsstarken Postern vorstellt. Sie enthalten einen Link, der BetrachterInnen zu den Details der Direktive führt. Oft dienen die Aushänge als Stimulus für eine Unterhaltung oder der Gedankenanregung.

Durch das offene Arbeiten und zentrale Bereitstellen der Plakate finden die Designs rasend schnell Verbreitung — hinweg über Behördengrenzen und weite Distanzen. Graswurzelartig drucken VerwaltungsmitarbeiterInnen die Poster aus und hängen sie auf, um ihre Geisteshaltung kundzutun. Fern ab vom GDS-Hauptquartier im Herzen Londons dienen sie der Rückendeckung der dortigen jungen Digitalteams und stellen ein Schutzschild gegen altes Denken dar. Besuchern gestatten sie zudem, schnell Gleichgesinnte zu identifizieren. Dies geht mittlerweile auch über Landesgrenzen hinaus. So finden sich Plakate der britischen Regierung in dänischen Verwaltungsgebäuden, in der australischen Administration und auch in deutschen Beamtenzimmern.

Poster als Kommunikationsmittel begleiten Transformationsprozesse, stellen bessere Arbeitsweisen vor und präsentieren BeamtInnen neue Richtlinien in mitunter provokanter Kürze. Auf ihren Kern reduzierte Botschaften generieren hohe Aufmerksamkeit und sorgen für eine intensivere Auseinandersetzung. Sie dienen nicht der Gehirnwäsche, sondern entfachen Dialoge und Diskussionen, die mittelfristig zu neuen Einstellungen und veränderten Haltungen führen können — und letztlich zu besseren öffentlichen Diensten, die für ihre NutzerInnen funktionieren.

Für unsere erste Veranstaltung, das Public Service Lab 2017, übersetzten wir eine Reihe australischer, britischer und nordamerikanischer Poster ins Deutsche. Im Berliner Impact Hub schmückten sie den Raum und dienten als Stichwortgeber für Gespräche unter den anwesenden VerwaltungsmitarbeiterInnen. Nun können Sie die Motive herunterladen, ausdrucken und so mit KollegInnen in Ihrer Behörde einen Diskurs über bessere Servicegestaltung starten.

Übersetzte Poster aus Großbritannien, den USA und Australien während des Public Service Lab 2017

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Martin Jordan
arbeitet als Head of Service Design beim Government Digital Service (GDS) im britischen Cabinet Office. Zudem unterstützt er als MBA-Kandidat die Freie und Hansestadt Hamburg in der Integration von nutzerzentrierten Praktiken und bei Servicetransformation.

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Bessere Bürgerdienste, bessere Verwaltung — das ist das Anliegen des ›Public Service Lab‹. Durch Konferenzen, Workshops und Artikel führt es Verwaltungs­mitarbeiter­Innen & BeamtInnen an nutzerzentrierte Arbeits­praktiken heran und unterstützt sie in der digitalen Transformation.

Martin Jordan
Martin Jordan

Written by Martin Jordan

Making services work better for all people; Head of Design at German govt’s Digital Service, former Head of Service Design at UK Gov; Service Gazette co-editor

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