Services statt Fachverfahren gestalten

Wie Servicedesign Verwaltungsdienstleistungen für NutzerInnen verbessern kann

Martin Jordan
Public Service Lab
5 min readSep 15, 2018

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Von Dr. Katrin Dribbisch und Martin Jordan

Das Serviceverständnis von NutzerInnen und Verwaltung liegt zum Teil weit auseinander. Für NutzerInnen besteht ein Verwaltungsdienst darin, ihnen zu helfen ein Unternehmen zu gründen, einen Führerschein oder eine Ausbildung zu machen. VerwaltungsmitarbeiterInnen hingegen betrachten Dienste weniger aus der Nutzerperspektive, sondern vielmehr aus Sicht der für die Angebotsbereitstellung notwendigen Fachverfahren. Gute Verwaltungsdienste berücksichtigen zudem den Kontext der NutzerInnen. Dienstleistungen sind keine Lebenslagen, doch sind sie oftmals der Auslöser für Menschen, diese zu nutzen. Servicedesign ist die Gestaltung von nützlichen, nutzbaren und effektiven Dienstleistungen. Services müssen daher ein Problem lösen, das Menschen tatsächlich haben. Sie müssen gut verfügbar und einfach zu verwenden sein. Und sie müssen möglichst ohne Umwege zum Ziel führen. Servicedesign beinhaltet die Planung und Organisation aller Aspekte, die zur Bereitstellung eines Dienstes beitragen: Menschen, Infrastruktur, Kommunikation und Artefakte. Das Ziel damit verbundener Aktivitäten ist, die Qualität und Interaktion zwischen Anbieter und NutzerInnen zu verbessern. Servicedesign beinhaltet drei Grundprinzipien:

Services ganzheitlich gestalten
Viele Serviceleistungen erstrecken sich über einen längeren Zeitraum–ein Kind bekommen, im Ausland studieren oder einen neuen Job finden — und beinhalten zahlreiche Transaktionen, die oftmals von unterschiedlichen öffentlichen Institutionen bereitgestellt werden. Selten arbeiten diese verzahnt miteinander oder verstehen überhaupt, dass sie aus Nutzerperspektive als ein Glied in derselben Servicekette wahrgenommen werden. Daher sind die Pfade, die NutzerInnen nehmen müssen, oftmals umständlich. Servicedesign agiert ganzheitlich und versucht die Ausgangslagen und Ziele von NutzerInnen zu verstehen mit der Absicht, separate Transaktionen und Informationen zu verständlichen und nutzbaren holistischen Services zusammenzuführen.

Services von vorn nach hinten gestalten
Am effektivsten ist es, die für NutzerInnen sichtbaren Berührungspunkte mit der Verwaltung zu verändern. Das heißt Texte und Layouts auf Webseiten zu vereinfachen, Papierunterlagen von juristischem Kauderwelsch zu befreien oder Warteräume in Ämtern menschenfreundlicher zu gestalten. Die größere Aufgabe liegt jedoch darin, Prozessschritte zu hinterfragen, Duplikationen zu eliminieren und Transparenz zu erhöhen. Darüber hinaus ist es häufig erforderlich, Gesetze und Richtlinien auf weitere mögliche Interpretationen zu überprüfen. Nur so kann die aus Nutzersicht wahrgenommene Serviceerfahrung verbessert werden.

Services medienübergreifend gestalten
Verwaltungsservices müssen für alle Menschen funktionieren. Anders als privatwirtschaftliche Unternehmen dürfen Regierungen und Verwaltungen niemanden diskriminieren. Nicht jeder Mensch kann oder möchte einen Verwaltungsdienst auf digitalem Weg nutzen. Services sollten deshalb medienverzahnt gestaltet und die zugrundeliegenden Verwaltungsprozesse so angelegt sein, dass sie keinen Kanal per se bevorzugen, sondern Medienwechsel ermöglichen. Hat zum Beispiel die Nutzerin eines webbasierten Services eine kritische Detailfrage, sollte sie unkompliziert telefonisch nachfragen können, um dann umgehend online ihre Transaktion abzuschließen. Dabei können medienübergreifende Referenznummern, neue Kanäle wie Webchat und plattformübergreifende interne Systeme dienlich sein. Diese können dazu beitragen, dass öffentliche Dienste für alle NutzerInnen inklusiv werden.

Doch wie lassen sich diese Grundprinzipien in die Praxis überführen?

  1. Das wirkliche Problem verstehen
    Servicedesign versucht Nutzerbedürfnisse zu ergründen und damit sicherzustellen, dass nur Probleme gelöst werden, die auch wirklich existieren. Bei jedem neuen Geschäftsprozess, Fachverfahren oder der Beschaffung neuer Technologiesysteme müssen wir uns fragen: Wie helfen sie das Problem von NutzerInnen zu beseitigen? Welche Annahmen haben wir? Wie können wir sie validieren oder widerlegen?
  2. Die Wege von NutzerInnen nachvollziehen und visualisieren
    Servicedesign schafft so früh wie möglich einen Überblick über die Erfahrung von NutzerInnen im Zeitverlauf. Visualisierungen von Nutzerwegen über verschiedene Transaktionen und Berührungspunkte mit Verwaltungen hinweg bündeln zahlreiche Ebenen in einer Darstellung und können so Komplexität abbilden.
  3. Ein geteiltes Grundverständnis im und außerhalb des Teams etablieren
    Servicedesign hilft dabei, im Serviceteam eine gemeinsames Verständnis zu entwickeln. Es zeigt dem einzelnen Mitglied, wie dessen Arbeit im Bezug zum größeren Ziel steht. Letztlich ist ein klares, geteiltes Verständnis essentiell, um die Unterstützung auf oberster Verwaltungsebene zu sichern.
  4. Möglichkeiten für Kosten- und Komplexitätsreduktion finden
    Servicedesign macht Angebote schlanker, schneller und günstiger. Service-Blueprints und Visualisierungen von Nutzerwegen decken dabei strukturelle Fehler und überflüssige Prozessschritte auf. Sie machen Umwege und Wiederholungen sichtbar. Dies wiederum hilft die Nutzbarkeit von Diensten zu erhöhen und oftmals auch die Wertschöpfung.
  5. Den Umfang des Services definieren
    Servicedesign unterstützt Serviceteams ihre Arbeit anhand der wichtigsten Nutzerbedürfnisse zu priorisieren. Es gilt auszuloten, welchen kleinstmöglichen Umfang die nächste Version des Angebots haben kann, um nützlich und nutzbar zu sein. Der Dienst kann dann iterativ mit Nutzerfeedback weiterentwickelt werden. Für Serviceteams ist es wichtig, zu verstehen, welche ihrer Aktivitäten den größtmöglichen Nutzen für NutzerInnen generieren.
  6. Verschiedene Lösungen für das Problem erkunden und testen
    Servicedesign erkundet und testet unterschiedliche Lösungsansätze für das anfangs festgestellte Problem in einem frühen Entwicklungsstadium. So werden Risiken in der Entwicklung und Bereitstellung von Services minimiert und sichergestellt, dass zunächst der richtige Ansatz identifiziert und dann erst der Dienst funktionstauglich entwickelt wird.
  7. Services ganzheitlich und medienverknüpfend gestalten
    Servicedesign bringt die an der Bereitstellung von ganzheitlichen Services beteiligten Verwaltungseinheiten zusammen. Das bedarf behörden- und fachübergreifender, im Grunde multidisziplinärer Kollaboration — all das wiederum erfordert einen Veränderungswillen in der Verwaltung und das Aufbrechen nicht zuletzt mentaler Silostrukturen.

Zusammenfassend bietet Servicedesign viele Vorteile für die Verwaltung, um Verwaltungsdienste grundlegend besser zu machen. Servicedesign stellt sicher, dass die Dinge, die entwickelt werden, die Ziele und Probleme der NutzerInnen adressieren.

Servicedesign unterstützt die Verwaltung dabei, durch Komplexitätsreduzierung Geld und Zeit zu sparen. Außerdem kann Servicedesign Barrieren identifizieren, die es schwer machen, dass alle Menschen die ihnen zur Verfügung stehenden Dienste wirklich benutzen können. Servicedesign ist ein langfristiges Unterfangen. Machen Sie sich bereit für die nächste Phase der Servicetransformation in Deutschland.

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Dr. Katrin Dribbisch arbeitet als Senior Business Analyst bei DXC Technology für Kunden des Public Sector. Sie promovierte zur Einführung von Design Thinking in der Verwaltung.

Martin Jordan arbeitet als Head of Service Design beim Government Digital Service (GDS) im britischen Cabinet Office. Als MBA-Kandidat forscht er zu Public Service Innovation.

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Martin Jordan
Public Service Lab

Making services work better for all people; Head of Design at German govt’s Digital Service, former Head of Service Design at UK Gov; Service Gazette co-editor