Transformation auf allen Ebenen
Welche Veränderung es braucht für bessere digitale Verwaltungsdienste
von Dr. Katrin Dribbisch & Martin Jordan
Für einen effektiven digitalen Staat mit einfach zugänglichen und verständlichen Online-Services braucht es Veränderungen auf verschiedenen Ebenen. In den vergangenen Jahren lag der Fokus oft auf der Elektrifizierung von Formularen, also Papieranträge online nachzubauen. Tiefergehende Veränderungen wurden kaum angefasst. Unterschiedliche, bereits teilweise digitalisierte Angebote sind nicht miteinander verknüpft und selbst neue Gesetze schließen digitale Umsetzung gar explizit aus. So schloss im Sommer 2022 das Nachweisgesetz digital unterschriebene Arbeitsverträge aus und stellte sie gar unter Strafe. Das reicht jedoch nicht oder verhindert ganzheitliche Digitalisierung und digitale Transformation. Stattdessen müssen wir mit Blick auf grundlegende und praktisch erfahrbare Verbesserungen für Menschen im Land auf allen Handlungsdimensionen ansetzen und Dinge neu denken.
Ein gut für Menschen funktionierender digitaler Verwaltungsservice ist auf klar strukturierte Informationen ebenso wie digitaltaugliche Gesetze angewiesen. Um das zu gewährleisten, können Verwaltungsmitarbeitende — entsprechend ihrer Fähigkeiten, Rolle und Position — auf unterschiedlichen Ebenen starten. Da es Transformation auf allen dieser Ebenen braucht, ist jeder Ansatz nützlich. Die Ebenen sind nicht voneinander getrennte Sedimentschichten, sondern greifen ineinander, beeinflussen sich, sodass Veränderungen auf einer Ebene Wandel auf anderen Ebenen befördern. Daraus ergibt sich ein vielschichtiger Wandel auf allen Ebenen. Um diesen Wandel zu gestalten, ist Design gefragt. Wenn wir von Design sprechen, meinen wir nicht nur, wie Dinge aussehen. Design findet auf vielen Ebenen statt und Menschenzentrierung hat auf allen Ebenen als Methode einen Platz.
Das Onlinezugangsgesetz (OZG) betraf zunächst hauptsächlich die oberen Ebenen: Es ging darum, wie der Prozess online abgebildet wird — oft mit nur begrenzten Verbesserungen in der Nutzbarkeit. Das ist jedoch nur der Anfang. Es geht nicht darum, nur inkrementell einfachere Benutzeroberflächen zu schaffen, sondern tatsächlich Services neu zu denken, Organisationen neu aufzustellen und Gesetze entsprechend zu verändern. Erst das OZG-Änderungsgesetz nimmt die Ende-zu-Ende-Digitalisierung in den Blick und erhöht die Messlatte für Digitalteams merklich.
Ursprünglich steckte im OZG die Idee der Lebens- und Geschäftslagen, also dass man die Situation von Menschen im größeren Kontext sieht. Ein Beispiel ist die Lebenslage ›Geburt‹ und all die Dienste, die man in dieser Lebenslage potenziell nutzt. Das ist das, was man Servicedesign nennt. Das ist heute, wenn es um die Umsetzung des OZG geht, größtenteils aus dem Fokus gerückt. Vielmehr werden einzelne Formulare umgesetzt statt ganzheitliche Nutzerreisen abgedeckt.
Was aber auch fehlt, ist, dass Organisationen so aufgestellt sind, dass sie das OZG überhaupt umsetzen können. Das betrifft das Organisationsdesign. Das sind die Menschen in kommunalen Ämtern, deren Aufgabenbereich sich erweitert: sie erbringen Services zunehmend online — oft ohne die nötigen Fähigkeiten an die Hand zu bekommen. Wenn Services in Zukunft online erbracht werden, müssen sich die Organisationen verändern. Verantwortungen muss neu gedacht werden.
Überdies müssen auch Gesetze, Richtlinien und Anordnungen so aufgesetzt werden, dass sie von vornherein digitaltauglich und wirkungsorientiert sind. Policy-Design kann dabei helfen. International konnten wir in den vergangenen Jahren zahlreiche Policy-Designteams entstehen sehen. Oftmals arbeiteten sie an bestimmten Politikfeldern wie Bildung oder Justizreform. Seit Anfang 2023 müssen alle neuen Gesetzesvorhaben einen Digitalcheck unterlaufen.
Wie besseres Gestalten auf allen Ebenen gelingt
1. Visuelles Design: Existierenden Gestaltungsrichtlinien folgen
Bei der visuellen Gestaltung von digitalen Verwaltungsservices können Teams auf viel Bewährtes aufbauen. Baden-Württemberg hat die Gestaltungsrichtlinien seines Portals Service BW veröffentlicht und frei zugänglich gemacht. Die Gestaltungsrichtlinien sind mit Nutzenden entwickelt und getestet worden. Auch digitale Barrierefreiheit wurde bereits mitgedacht. Einen erweiterten Ansatz verfolgt auch das behördenübergreifende KERN Design-System von Dataport, Hamburg und Schleswig-Holstein.
2. Experience-Design: Lösungen mit Menschen testen
Wenn es darum geht, wie es sich anfühlt: Teams können die bereits getesteten Lösungen Anderer übernehmen. Neuentwicklungen müssen getestet werden, doch dafür braucht es kein aufwendiges Testlabor. In Freiburg wurden etwa Papierprototypen mit Klebezetteln und Gummibärchen direkt vor dem Rathaus getestet und in der Bundesagentur für Arbeit mit gratis Pizza testen in den Abendstunden.
3. Servicedesign: Den ganzen Service gestalten, nicht nur an das Formular
Das Formular ist nur ein Teil der Nutzendenreise, ein Kontaktpunkt. Vor der eigentlichen Nutzung kommt das Auffinden des Serviceangebots. Daran schließt sich für einige Verwaltungsleistungen die Anliegensklärung für unterschiedliche Nutzergruppen an, also die Klärung der Frage, ob ich antragsberechtigt bin.
4. Organisationsdesign: Neue Fähigkeiten, Arbeitsweisen und Strukturen
Um gute digitale Verwaltungsdienste anzubieten, braucht es innerhalb der Verwaltung neue Fähigkeiten, Rollen, Arbeitsweisen, Arbeits- und Organisationsstrukturen. Das ist die Voraussetzung für Veränderungen auf den anderen Ebenen. Konkret heißt das: weniger Hierarchie und mehr Selbstverantwortung sowie Projekte, die nach agilen Prinzipien organisiert werden. Zusammenarbeit innerhalb einzelner Behörden und vor allem behördenübergreifend ist dafür der Schlüssel, insbesondere wenn die Serviceerbringung mehrere Organisationen umfasst.
5. Policy-Design: Möglichkeitsräume ausschöpfen
Policy-Design meint die Gestaltung von Richtlinien, Regeln, Bestimmungen und Gesetzen — und wie sie ausgelegt werden. Auf Bundesebene werden alle neuen Gesetze von Anfang an auf ihre Digitaltauglichkeit überprüft, sodass Gesetze nicht mehr länger nutzerzentrierte Digitalisierung von Leistungen im Vollzug blockieren. Neue Unterschrifterfordernisse auf Papier soll das in Zukunft ausschließen. Darüber hinaus brauchen wir Feedbackschleifen zwischen Services und Policies — die Möglichkeit, mit realen Datenpunkten die wirkliche Effektivität von Richtlinien und Gesetzen zu evaluieren und sie dann iterativ zu verbessern.
Veränderung wird nie abgeschlossen sein
Digitalisierung ist noch lange nicht abgeschlossen. Gar ist ein Ende bei der Digitalisierung nur schwer vorstellbar. Einmal digitalisierte Verwaltungsleistungen sind nicht fertig, sondern müssen kontinuierlich angepasst und weiterentwickelt werden — entsprechend sich verändernder Bedürfnisse von Nutzenden und wandelnder Technologien. Neue Services oder Anpassungen an bestehenden digitalen Diensten können außerdem aufgrund von Gesetzesänderungen erforderlich sein — so wie bei der Wohngeldreform Anfang 2023 oder dem im Dezember inkraftgetretenen Studierenden-Energiepreispauschalengesetz. Das OZG hat 2017 den Stein ins Rollen gebracht für eine breit angelegte Digitalisierungswelle in der deutschen Verwaltung. Mitte 2023 sind bei Weitem nicht alle Verwaltungsleistungen online, aber der Anstoß für tiefgreifende Veränderungen ist spür- und sichtbar. Neben dem messbaren Output verfügbarer Onlinedienste ist es der Wandel auf Organisations- und Policy-Design-Ebene der veränderte Denk- und Arbeitsweisen widerspiegelt. Zudem stoßen Veränderungen auf einer Ebene, also ein neuer Onlineservice, Veränderungen auf anderer Ebene an, z. B. gemachte Erfahrungen mit nutzerzentrierten Arbeitsweisen, die sich übertragen lassen oder aus der Erfahrung inspirierte Initiativen zur Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen. Veränderung ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Dieser inkrementelle Wandel ist nicht immer (politisch) attraktiv, denn er braucht Zeit. Neben einer größer werdenden Community in der Verwaltung, die diese Veränderung trägt — wie zum Beispiel durch das NExT-Netzwerk organisierte Treffen und Austauschformate — bedarf es der Verankerung neuer Strukturen, die Digitalisierung als Kern der Verwaltungstätigkeit begreifen. Dazu gehören auch zahlreiche neue dauerhafte Stellen mit weitreichenden digitalen Fähigkeiten. Für menschenzentrierte Digitalisierung in der Verwaltung braucht es menschenzentriert arbeitende Digitalisier*innen in ihr, die auf allen Ebenen für Wandel sorgen.
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Dr. Katrin Dribbisch berät Verwaltungen zu nutzerzentrierten Arbeitsweisen und besseren Onlinediensten bei der Init AG.
Martin Jordan arbeitet als Head of Design & User Research beim DigitalService des Bundes. Zuvor war er im britischen Cabinet Office tätig.