Das Märchen vom schmutzigen Elektroauto

Till Quack
Quack Ventures
Published in
5 min readJul 15, 2019
Photo by Taun Stewart on Unsplash

Regelmässig ist in der Presse zu lesen, dass die angeblich so umweltfreundlichen Elektroautos — oh Schreck! — gar nicht so sauber seien. Zuletzt zum Beispiel im Tages Anzeiger und der NZZ. In der Regel folgt die Story dem Schema:

  • Batterie-Herstellung erzeugt erhebliche Mengen von CO2
  • Der Strom für den Betrieb kommt nicht sauber „aus der Steckdose“ sondern vom schmutzigen Kohlekraftwerk
  • Ausserdem seien Rohstoffe wie Lithium, Cobalt, und „seltene Erden“ begrenzt, und zum Teil ethisch fragwürdig
  • Das Elektro-Tankstellennetz fehlt

All diese Punkte sind zum Teil korrekt (mehr dazu unten). Was typischerweise folgt sind aber meist diese Schlussfolgerungen:

  • dass ein Benziner / Diesel heute CO2 effizienter sei
  • dass Gas, Wasserstoff, oder synthetische Kraftstoffe eine bessere alternative Technologie zum batteriebetriebenen Elektroauto sind. (Oft wird allerdings gar keine Alternative genannt -sic)

Beides ist nicht korrekt und wurde mehrfach widerlegt. (Ich werde diesen Artikel über die Zeit mit Quellen ergänzen, aber als Startpunkt empfehlen sich diese beiden Twitter Threads die wiederum auf die entsprechenden Originalquellen verweisen.)

Viel wichtiger sind aber einige Punkte, die den Autoren immer vollständig entgehen:

Ein Elektroauto kann schon heute mit 100% erneuerbarer Energie betrieben werden

Als Elektroauto-Fahrer kann ich schon heute entweder eine Solaranlage installieren, oder bei meinem Stromanbieter (für einen Aufpreis) nur erneuerbare Energie beziehen. Das heisst der durschnittliche Strommix eine Landes, der für die meisten Berechnungen zum CO2 als Basis dient, wird irrelevant. In diesem Fall ist das Elektroauto heute bei weitem die beste Alternative zu jedem anderen Auto. Beim Benzinauto hat man keine Wahl. Der CO2 Ausstoß bleibt wie er ist.

Ausserdem geht auch der Strommix über die Zeit zu höherem Anteil Erneuerbare, wie in obigen Links auch dargelegt. Das heisst die Bilanz verbessert sich auch in diesem Fall über die Jahre, und ganz automatisch.

Zukünftige Alternativen sind Zukunftsmusik — und wir brauchen Lösungen heute

Wasserstoff, synthetische Treibstoffe, Power-to-Gas sind alles wichtige Technologien, allerdings sind sie heute nicht Marktreif und ökonomisch/ökologisch schwieriger einzusetzen als batteriebetriebene Fahrzeuge: Die Kette von der Herstellung von Wasserstoff oder anderen Gasen und deren Nutzung durch Brennstoffzelle oder Verbrennung ist über alles ca. 50% so effizient wie direktes Laden der Batterie und Antrieb mit Elektromotor. (Das kann man an verschiedenen Stellen online oder im Physikbuch nachlesen.) Das heisst mit jeder Kilowattstunde Strom die für die alternativen Technologien genutzt werden sind CO2 Ausstoss und Kosten immer ca. doppelt so hoch bei Nutzung im batteriebetriebenen Elektrofahrzeug. Jedes Argument bezüglich Strommix etc., das gegenüber dem CO2 Ausstoss des batteriebetriebenen Elektroauto vorgebracht wird zählt daher also doppelt für diese Technologien. (Ausnahme: Batterieherstellung. Die Frage is allerdings auch wie die CO2 Bilanz der Herstellung eines Wasserstoff Autos aussieht — ich weiss es nicht). Falls 100% Erneuerbare genutzt werden ist die CO2 Bilanz im Betrieb für beide gut, nur die Kosten für Alternativen zum Batteriebetrieb doppelt so hoch.)

Wichtig sind Lösungen jetzt und nicht in 20 Jahren: weil die nächsten 1–2 Jahrzehnte entscheidend sind um die Erderwärmung unter 2 Grad zu halten. Wir sollten zwar mit Hochdruck an neuen Technologien forschen, aber nicht auf diese warten.

Nutzungsverhalten und Tankstellennetz

Jeder, der ein Elektroauto (vor allem Tesla) über einige Monate nutzt, realisiert, dass die “Elektro-Tankstellen” gar nicht so wichtig sind. Meistens lädt man Zuhause über Nacht oder beim Arbeitgeber während des Tages. Letzteres ist in Kalifornien längst gang und gäbe. Ich lebte selbst für einige Jahre im Silicon Valley: mein Tesla wurde beim Arbeitgeber geladen, während ich bei der Arbeit war. 100% Solarstrom. Kostenlos. Ca 1–2 mal laden pro Woche reichte bei weitem.

Der Punkt ist: das Nutzerverhalten ist komplett anders. Man muss sozusagen nie mehr “zur Tankstelle”. Das realisiert man erst wenn man so ein Auto über einige Monate nutzt. Und die meisten Journalisten haben eben nie ein Elektroauto wie einen Tesla über mehrere Monate gefahren. Sie sollten es tun. Es führt einem vor Augen warum Tesla Nutzer so begeistert sind. Es hat wenig mit Tesla-Kult zu tun, sondern mit Einsicht und der Erfahrung am eigenen Leibe wie die Zukunft aussieht.

Natürlich braucht es Schnelllader für weite Distanzen. Die schnelle Ladung ist in der Tat vermutlich noch die einzige Hürde um das Elektroauto in allen Punkten dem Benzinauto Überlegen zu machen. Dies ist allerdings mehr ein “Engineering” Problem, und weniger ein fundamentales physikalisches Problem.

Man beachte ausserdem, dass man sowohl Benzin als auch Wasserstoff nicht zuhause laden kann. Und deshalb zum Beispiel das Wasserstoff Auto viel stärker von einem existierenden Tankstellennetz abhängig ist als das Elektroauto.

Rohstoffe

Gewinnung der Rohstoffe für EVs ist nicht optimal, aber dem Thema wird zuviel Aufmerksamkeit geschenkt. Es gibt genügend Lithium, Kobalt, und andere Rohstoffe. Sie können recycelt werden. Ethische Fragen müssen mit Hochdruck gelöst werden. Es sollte politischer Druck auf die Batteriehersteller und Abbauländer ausgeübt werden. Aber: das kann vor allem im Vergleich zur Ölförderung (erhebliche Umwelt und ethische/politische Probleme) oder Batterietechnologie in anderen Produkten kein Argument sein nicht auf Elektrautos zu setzen. Im besten Fall ist es scheinheilig. Die exakt gleichen Batterien und Rohstoffe finden sich in jedem Smartphone — nur selten liest man über die Problematik des Lithium oder Cobalt Abbaus im Kontext für die Nutzung in unserem Smartphone.

Eine Bemerkung zu „seltenen Erden“: in Batterien und den meisten Elektromotoren kommen keine Elemente der seltenen Erden zum Einsatz, wie oft fälschlicherweise geschrieben wird. Oben genannte Lithium, Cobalt etc gehören nicht in diese Gruppe. Zudem sind weder diese Rohstoffe, noch die eigentlichen seltenen Erden, wirklich selten.

Zweck der kritischen Artikel?

Man fragt sich also, was der Sinn eines Artikels sein soll, der das Elektroauto negativer als korrekt oder nötig darstellt. Denn es müsste ja jede Möglichkeit zur Reduktion des CO2 Ausstosses von uns mit Begeisterung aufgenommen werden. Mir Fallen drei Gründe ein:

  • journalistische “Enthüllung” eines Missglaubens oder “Pointe” (allerdings eben basierend auf falschen Annahmen, wie oben dargelegt.)
  • Rechtfertigung des Status Quo („es ist ok Diesel zu fahren. Ich muss bei diesem neumodischen Zeug nicht mitmachen.“)
  • aufzeigen das *kein* Auto die einzige Alternative ist.

Punkt 1) und 2) sind schlechter Journalismus, Punkt 3) leider vermutlich naiv.

Quellen und weiterführende Links:

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Till Quack
Quack Ventures

Co-founder at zerofy.net. Formerly: Meta, Mapillary (Product), Apple (Engineering), kooaba (Founder), Qualcomm. Also running Quack Ventures. Father of two.