Open Source, Privatsphäre und Datensicherheit
Dies ist die Verschriftlichung eines Vortrags, den ich am 22. März auf Einladung des Goethe-Instituts als Auftakt für die Werkstattkonferenz Startklar?! in Berlin präsentiert habe.
Wer und was ist eigentlich Mozilla?
Mozillas Geschichte geht auf die Anfänge des Internets zurück. Ende der 90er Jahre als Internetzugänge langsam aus Forscherkreisen in eine breitere Öffentlichkeit überschwappten, prägten zwei Entscheidungen die Entwicklung des Webs und Mozillas nachhaltig: die Entscheidung, die Monopolisierung von Internet Explorer gemeinschaftlich herauszufordern und die Entscheidung, die eigene Codebasis offen zu publizieren.
Das mag aus heutiger Sicht wenig bemerkenswert klingen, war damals aber durchaus radikal.
Open Source ist eine Philosophie.
Denn Open Source steht nicht einfach nur für “offenen Quellcode”.
‘Open Source’ ist auch eine Philosophie, die Handeln und Denken antreibt. ‘Open Source’ ist eine Bewegung, eine Gemeinschaft. Und ‘Open Source’ ist eine Einladung. Eine Einladung kollaborativ, offen und jenseits von traditionellen Grenzen an Projekten und Ideen zu arbeiten, gemeinsam zu lernen, sich auszutauschen und über den eigenen Horizont hinauszuschauen. Man wird Teil eines größeren Ganzen und lernt geografische, kulturelle, politische und digitale Kluften zu überwinden.
Netscape Navigator, ein Vorläufer des heutigen Firefox, war das erste Open Source-Projekt seiner Art. Es beruhte auf drei Prinzipien der Offenheit: gemeinsame Entscheidungsfindung, offene Inhalte, breite Beteiligung. Jede und jeder sollte in die Lage versetzt werden, den Code zu nutzen, zu kopieren, zu remixen und zu verändern. Du hattest eine neue Idee, ein kreatives Projekt? Deinen Möglichkeiten sollten keine Grenzen gesetzt sein. Die Idee des Webs als globales, öffentliches Gut nahm hier neue Formen an.
Heute hat sich die Not-for-Profit Organisation Mozilla als treibende Kraft im Kampf um das offene, freie und zugängliche Internet etabliert.
So sehr, dass es Positionen, wie die meine gibt: Ich bin zuständig für Mozillas strategisches Auftreten in globalen Internetforen.
Im Kern heißt das: ich behalte netzpolitische Entwicklungen im Auge und analysiere Trends zu den Themen Privatsphäre und Sicherheit, Dezentralisierung und Offenheit sowie digitaler Bildung und Teilhabe, um daraus Strategien für Mozillas Positionierung in internationalen Diskussionen zu entwickeln.
Und hierin sehe ich auch enge Berührungspunkte zur Mission des Goethe-Instituts: Kulturen verbinden, Sprachen und Ideen vermitteln, interkulturellen Austausch fördern und so quasi als Botschafter für mehr Verständnis, Vielfalt und Teilhabe in der Welt agieren.
Einige von Ihnen fragen sich vielleicht immer noch: Wie hängt das mit web-basiertem Lernen zusammen?
Darauf gibt es mindestens zwei Antworten. Eine politische und eine praktische.
Die Zukunft im Blick.
Bildung kann nicht fern von Politik existieren. In turbulenten Zeiten, in denen Aktionismus und kurzfristige — kurzsichtige — Maßnahmen das politische Tagesgeschäft und unsere Medienlandschaft zu dominieren scheinen, haben gerade einflussreiche Kultur- und Bildungsinstitutionen, wie das Goethe-Institut, eine herausragende Rolle, um langfristig zu einer stärkeren, besseren und vor allem aufgeklärteren Demokratie beizutragen.
Demokratie heißt Emanzipation. Und Emanzipation braucht individuelle — und zunehmend digitale — Fähigkeiten.
Die Erklärungen internationaler Institutionen wie den Vereinten Nationen, der G20, der Europäischen Union oder auch der Digitalpakt der Bundesregierung, die nicht müde werden, die Bedeutung von digitaler Bildung zu betonen, sind ein wichtiger Schritt. Darüber hinaus brauchen wir aber vor allem Klarheit darüber, was wir eigentlich lehren und lernen wollen, um dann zu entscheiden, mit welchen Methoden wir voranschreiten.
Denn seien wir doch mal ehrlich, Technologien und damit verbundener Fortschritt können so sehr faszinieren wie einschüchternd wirken. Virtual Reality für interaktives Lernen, Chatbots zum Vokabeln pauken oder sprachgesteuerte Roboter, die Übersetzungstechnologien integrieren — die Möglichkeiten sind enorm. Gleichzeitig basieren die zugrundeliegenden Programmiersprachen in der Regel auf dem lateinischen Alphabet und setzen meist Grundkenntnisse des Englischen voraus. Das heißt, obwohl der Zugang zu Technik heute grundsätzlich leichter und viel intuitiver ist als noch vor 20 Jahren, kommen nur wenige außerhalb des kleinen Kreises der sogenannten „technischen Gemeinschaft“ über den Punkt hinaus, an dem sie nicht nur konsumieren oder auf standardisierte Weise kommunizieren. Das muss nicht so sein.
Das Potenzial in diesem Sinne mit gutem Beispiel voranzugehen, ohne sich von den vielfältigen Möglichkeiten und Herausforderungen blenden oder überfordern zu lassen, ist enorm.
Ich erzähle Ihnen nichts Neues, wenn ich darauf verweise, dass Offenheit und Flexibilität, Weiterbildung und Weiterentwicklung durch Austausch und Teilhabe, Grundpfeiler für zukunftsfähigen Erfolg sind.
Wir können nicht in die Zukunft sehen. Wir wissen nicht, was als nächstes passiert. Daher müssen wir flexibel sein — genau so wie Open Source als Strategie. Wir treffen keine Produktentscheidung, wir unterrichten keine spezifische Umsetzung; wir nutzen Technologie, um unsere Fähigkeit des lebenslangen Lernens zu unterstützen.
Offenheit und Teilhabe sind nicht bloß Floskeln.
In der Praxis kann digitale Bildung als Gegengewicht zu Populismus, Radikalisierung, Desinformation, Abschottung viele Formen annehmen. Zentral ist, dass Handlungen, Strategien und Bildungsinitiativen immer das Individuum und seine Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellen.
Es geht um kritisches Denken, Kontrolle über die eigenen Daten und Offenheit als Führungskompetenz. Gemeinschaftliche Übersetzungen, interkultureller Austausch und gemeinsames, lebenslanges Lernen — dafür steht das Goethe-Institut als Sprach- und Kultureinrichtung genau wie Open Source als Philosophie.
Und es gibt bereits zahlreiche Initiativen, die als Inspiration für eine praktische Umsetzung dienen können:
So zum Beispiel die Django Girls. Die Django Girls sind sowohl eine gemeinnützige Stiftung als auch eine Gemeinschaft von Freiwilligen, die Frauen dabei unterstützt, 1-tägige Workshops abzuhalten, in denen Grundkenntnisse zum Programmieren vermittelt werden. Neben Lernmaterialien, Anleitungen zum Organisieren solcher Workshops und Hinweisen zu verschiedenen Trainingsmethoden, die alle Open Source und unter Creative Commons Lizenz zur Verfügung stehen, dienen Django Girls auch als Mentoren und Vertrauensnetzwerk, um Frauen den Einstieg in die Technologiebranche zu erleichtern. Seit ihrer Gründung in 2014 haben freiwillige Django Girls bereits über 13.000 Frauen in 87 Ländern spielerisch zum Coden gebracht.
Ähnlich, aber mit einem noch deutlicheren Fokus auf kritisches Denken und agile Lernkonzepte, stellt sich das DQ Institute auf. Das DQ Institute wurde ursprünglich in Südkorea und Singapur gegründet, hat mittlerweile aber ebenfalls ein globales Netzwerk. Die entwickelten Unterrichtsmaterialien, umfassen beispielsweise auch kurze 5-Tage-Programme und zielen darauf ab, die Digitale Intelligenz zu fördern. Darunter fallen soziale, emotionale und kognitive Fähigkeiten, die Individuen darauf vorbereiten, sich an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters heranzuwagen.
Auch Mozilla entwickelt Instrumente und Hilfen zur Erstellung von digitalen Lernkonzepten, wie beispielsweise unsere Web Literacy Map. Diese interaktive Karte stellt ein Rahmenwerk für digitale Fähigkeiten dar mit einem Fokus auf drei Bereiche: Lesen, Schreiben und Teilnehmen.
In diesem Sinne heißt “Web Literacy”: die Fähigkeit zwischen einem Browser, einer Suchmaschine oder einer App zu unterscheiden und jedes davon gezielt nutzen zu können. Es heißt aber auch, online Inhalte evaluieren und zwischen glaubwürdigen und fiktiven Nachrichten unterscheiden zu können. So wie es heißt, Betrugsversuche zu erkennen, starke Passwörter einzusetzen und möglichst viel Kontrolle über die Nutzung der eigenen Daten zu behalten.
Letztlich geht es darum, jede und jeden zu befähigen, nicht nur zu konsumieren, sondern aktiv am digitalen Leben teilzunehmen, sich zu verbinden und das Web mitzugestalten und zwar in der jeweils eigenen Sprache und mit neuen Ideen.
Datenschutz als Gewohnheit.
Was alle diese Beispiele aus meiner Sicht auch zeigen: Technologie oder web-unterstütztes Lernen erfüllt keinen Selbstzweck, sondern dient einem größeren Ziel: der individuellen Mündigkeit. Um diese nicht durch Methoden oder technische Umsetzung in der Lehre wieder zu unterwandern, ist es wichtig, Strategien von vornherein mit Blick auf Datenschutz und Datensicherheit zu entwickeln.
Auch das kann zunächst einschüchternd wirken, muss es aber nicht.
Es hilft, sich Datenschutz praktisch vorzustellen und so zur gesunden Gewohnheit werden zu lassen. Ganz so wie man morgens beim Verlassen des Hauses die Wohnungstür abschließt, so löscht man seine Suchhistorie oder schützt das Handy mit einem Passcode. Das mag am Anfang lästig erscheinen, gehört aber zur digitalen Hygiene.
Digitale Hygiene meint dabei sowohl individuelle Gewohnheiten im Umgang mit persönlichen Daten als auch interne Prozesse zum Umgang mit den Daten Dritter. Als Lehrende tragen Sie die Verantwortung für die Daten Ihrer Schüler. Der sicherste Weg hier ist: weniger ist mehr. So fragen Sie Ihre Schüler während der Registrierung vielleicht nach dem Geburtsdatum, um Materialien altersgerecht zuzuschneiden. Vollkommen legitim. Aber dann speichern Sie diese Information, weil es eine nette Geste ist, Teilnehmern zum Geburtstag zu gratulieren. Gut gemeint, ist aber eine Zweckentfremdung. Spätestens ab 25. Mai, wenn die EU DSGVO in Kraft tritt und Nutzerrechte deutlich stärkt, dürfen solche Daten beispielsweise nur nach expliziter Zustimmung erfasst werden.
Grundsätzlich müssen Sie sich vermutlich nicht vor massiven Datenlecks, Hackingangriffen oder Deals mit fragwürdigen Unternehmen wie Cambridge Analytica schützen — dennoch stellt jeder Datensatz, den sie erheben, speichern und durch technische Anwendungen weiterverarbeiten, mitunter über Verträge mit Drittanbietern, ein Risiko dar. Deshalb ist es wichtig, klare interne Prozesse zur regelmäßigen Überprüfung von gesammelten, gespeicherten und verarbeiteten Daten zu etablieren. Orientieren Sie sich zum Beispiel an sogenannten “Lean Data Practices”, nach denen Sie nur Daten erfassen, die Sie unbedingt für Ihre Arbeit benötigen, notwendige Daten nur so lange speichern, wie wirklich erforderlich und zudem anonymisieren, wann immer möglich. Je häufiger Sie sich daran erinnern, desto einfacher — und vielleicht kann Ihnen hierbei ja auch ein Chatbot helfen?
Und als nächstes?
Digitale Bildung und Weiterbildung sind in der heutigen Zeit ein tragendes Element, um sicherzustellen, dass wir unsere Privatsphäre nicht ausverkaufen; dass wir nicht zulassen, das “Abschalten” oder die Kontrolle zurückzugewinnen, zu einem Luxus wird, den sich nur wenige leisten können. Das Internet und Technologie für Bildungsinitiativen zu nutzen, heißt auch, diese Technologien offen, frei, sicher und zugänglich zu halten.
Zusammengefasst und mit Blick auf die Ihnen bevorstehende Arbeit an künftigen Initiativen lassen Sie mich folgende vier Punkte festhalten:
- Technologie ist ein Werkzeug um bereits bekannte Ziele der Kultur- und Bildungsförderung zu erreichen. Lassen Sie sich auch von digitalen Kunstprojekten inspirieren, die dabei helfen können, Berührungsängste zu nehmen und bestehende Herausforderungen intuitiv zu gestalten. In anderen Worten: bauen Sie die kritische Auseinandersetzung mit dem digitalen Wandel in Ihre Konzepte mit ein.
- Offenheit und Teilhabe sind im web-basierten Lernen Designprinzipien wie auch Evaluierungsmechanismen. Technologie und web-basiertes Lernen können bestehende Ungleichheiten verstärken, weshalb es wichtig ist, Offenheit und Teilhabe in allen Phasen des Lernens mitzudenken. ‘Open Source’ dient als Handlungsanleitung. Beziehen Sie Schüler und Partner in Ihre Entscheidungsfindung und die Entwicklung von Lernkonzepten mit ein, gestalten Sie Ihre Inhalte offen und erlauben Sie so eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Curricula und zielen Sie auf eine breite Beteiligung, die den kulturellen Austausch und neue Einsichten in den Fokus stellt.
- Technologie ist nicht statisch, unser Skillset braucht daher in erster Linie Flexibilität. In Zukunft wird das Internet durch Sprachbefehle gesteuert werden. Sprachtechnologien können weitere Bildungsmöglichkeiten und mehr Teilhabe fördern — vorausgesetzt, weniger dominante Sprachen, lokale Inhalte und kulturelle Differenzen im Umgang mit Technologie werden aktiv mitgedacht, nicht nachjustiert.
- Datenschutz und Datensicherheit sind tägliche Praktiken, quasi Ihre digitale Hygiene. Je mehr Ihre Initiativen, Datenschutz und Datensicherheit sowohl in Ihren internen Prozessen als auch in Ihren Lernkonzepten von vornherein mitdenken desto aufgeschlossener und selbewusster können Sie sich auf neue Technologien und Herausforderungen einstellen.