Tool Driven Change

Ornella Giau
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien
6 min readFeb 28, 2023

Wie ein CMS Projekt eine ganze Redaktion veränderte

tool drive change at SZ

Wir möchten Euch heute von eine Überraschung erzählen, die wir so nicht gesehen hatten und die am Anfang auch so nicht geplant war.

Und zwar — wie der Newsroom der Süddeutschen Zeitung verändert und die Redaktion auf Digital-First umgestellt wurde — mit einem Tool.

Noch 2019 lautete im Newsroom der SZ eines der wichtigsten Ziel des Tages: die Print-Seiten füllen. Die Online-Ausspielung bildete dsa Ende einer langen Kette und war schlicht und ergreifend: nachgelagert.

Die meisten Texten der SZ waren am Abend erst online

Diese Kurve zeigt, zu welchem Zeitpunkt unsere Leserinnen und Leser die Website besuchten — und wann wir damals Inhalte für diese Website publizierten. 2019 planten wir, im Newsroom, zunächst einmal Print-Seiten, die wir bis 17 Uhr auf Zeile genau gefüllt haben, um dann die Texte — ohne Bilder — ins Online-CMS zu exportieren, wo sie dort von ”Onlineredakteuren” in „Online-Texte“ verwandelt wurden. Und am Ende wurde das Ganze dann ins Internet gestellt, um nicht zu sagen: gekippt. Was damals dazu führte, dass unsere Leserinnen und Leser am Abend mit viel zu viele Inhalte konfrontiert wurden (die auch schon halb veraltet waren), aber den restlichen Tag über nur wenig neue Texte und Geschichten zum Lesen hatten.

Was wir damals relativ schnell verstanden: Warum die Redaktion die Kurve nicht ideal bediente, hing auch mit unseren Tools zusammen. Unsere Tools waren nicht dafür optimiert, weit vor dem Print-Andruck Inhalte zu produzieren und zu publizieren.

Die zwei Tools der SZ 2019, Hermes und Polopoly

Damals, 2019, hatte die Redaktion zwei Tools: Hermes, das Print-CMS, in dem die ganze Seitenproduktion und damit auch das ganze Denken begonnen hat. Und dann gab es noch Polopoly, das Onlinle-CMS, in dem schon damals niemand mehr arbeiten wollte.

Unser Best Guess 2019 war: Wenn wir das Verhalten unserer Redakteure ändern wollen, sollten wir ihren Arbeitsalltag ändern.

Also erschufen wir einen kleinen Editor: eine digitale Schreibmaschine namens Lux. Lux wurde ein Erfolg — und mit Lux lernten wir fünf Lektionen der Tool-Entwicklung — und -Einführung kennen.

Lektion Nummer 1 — Finde deine Super User

Wir konnten nicht den Alltag von allen auf einmal ändern konnten. Die SZ ist die größte Qualitätszeitung Deutschlands. 500 Redakteurinnen und Redakteure. Sehr viele Nutzerinnen und Nutzer und damit sehr vielen Einzelprobleme und Indivualbedürfnisse.

Wir konzentrierten uns also zuerst auf eine kleine Gruppe von Redakteuren. Es war ja auch das erste Mal, dass wir einen Editor bauten.

Die Early Adopters von Lux waren die Panorama Redakteuren

Außerdem brauchten wir auch dringend Super User, die uns dabei helfen würden, alle restlichen SZ Redakteure an Lux heranzuführen und für Lux zu begeistern.

Über die Jahre haben wir verstanden, und das war dann auch unsere allerste Lektion: Eine kleine, neugierige Nutzergruppe, die man eng betreut, ist wirklich essentiell für eine Transformation. Nennt sie Early Adopters, Super User oder Ambassedors: Diese Menschen werden mit Euch die ersten Erfolge feiern. Diese Menschen werden eine Langzeitbeziehung mit eurem Produkt, eurem Tool entwickeln. Vor allem werden sie Euch konstant Feedback geben.

Die Early Adpoters sind der eigentliche Grund, warum Lux bis heute am Leben ist.

Lektion Nummer 2: Eure Nutzer werden ihre eigenen Pain-Killers finden.

Das ist Lux heute, unsere digitale SZ-Schreibmaschine. Ein super-cleaner Geschichten-Editor, der dennoch alle Funktionen besitzt, die man braucht. Wobei, so einfach war es dann doch nicht … ;-) Wie oft waren wir in der Quartalsplanung gesessen oder in der Sprint-Planung und haben uns damit gequält: In welches Feature stecken wir als nächstes die Entwickler-Kalorien?

Bitte ratet mal, auf was wir die meistens Rückmeldungen bekommen?

Die Preview hat nur 3 Calorien gekostet

Es war die Preview: ein Mini-Feature für uns, eigentlich nur ein Link zu einer Preview, die es eh schon gab. Aber für die Redaktion — ein Game Changer.

Natürlich haben wir gewusst, dass es ein gutes Feature werden würde. Aber den ultimativen Pain-Killer hatte keiner von uns darin gesehen.

Und das Gleiche ist mit dem Fokus-Punkt passiert.

Die Fokus Punkt UI

Natürlich war der nicht so einfach und billig zu haben wie die Preview, aber der Effekt für die Redaktion war ähnlich krass. Davor musste jede Redakteurin 42 Zuschnitte setzen, und jetzt hat sie in 3 Sekunden alle Bildformate. Eine Ressortleiterin erzählte uns einmal, dass sie es liebt, mit dem Fokus-Punkt zu spielen und den Effekt live in der Vorschau zu beobachten.

Lektion 3: Tools are cool, but People are everything

Wir haben inzwischen 60 Redakteurinnen und Redakteure, die als Super User mit uns zusammenzuarbeiten, mindestens zwei in jedem Ressort. Diese 60 Super User sind unsere Influencer, wenn es Neuerungen Lux gibt. Und es gab viele, viele, viele Neuerungen.

Dieses 60 Menschen sind für uns auch keine Unbekannten aus der Hotline. Wir kennen alle Super User mit Namen, Vorlieben, Arbeitsweisen, Stärken und Schwächen. Die Super User bilden zusammen das Lux-Expertennetzwerk, in das wir ziemlich viel Zeit und Energie investieren.

Wir treffen jede und jeden von ihnen jedes Quartal in einem 1:1. Außerdem veranstalten wir Lean Coffees, Nutzertests, Lux-Experten-Schulungen, in denen Menschen zeigen, was es Neues gibt. Wir rufen manchmal auch ganz spontan an und zeigen einen Arbeitsstand, in der Hoffnung auf schnelles Feedback.

Und das Ganze machen wir, damit diese Redakteure weider die Neuerungen in die gesamte Redaktionen tragen. Genau wie Influencer halt.

Super user Gruppe bei SZ sind die Early Adopters und die Beta users

Zusammengenommen sind es inzwischen 75 Menschen, die uns beim Betrieb und bei der Weiterentwicklung von Lux helfen. Und ganz ehrlich: Diese 75 Menschen sind der größte Transformations-Hebel, den wir derzeit haben. Der Tool-driven Change wäre ohne diese Gruppe nur ein Tool, aber kein Change.

Lektion 4: Intergration is King

Wir haben ja nicht nur unseren Editor Lux. Wir haben ja auch Desk-Net zum Planen, Livingdocs zum Kuratieren unserer digitalen Seiten. Wir haben auch noch unser Print-System. Ja, wir haben extrem viele Tools. Ständig gibt es irgendwas Neues, was wir in unsere Tool-Landschaft intergrieren möchten. Wahrscheinlich ist das normal — und wird immer so sein. Doch auf was es faktisch ankommt, welche Frage sich für den CMS-Kontext hier stellt: Wie integrieren sich diese Tools, damit es das ergibt, was man eine seamless experience nennen könnte, eine integrierte, grenzenlose Toolerfahrung.

Wir waren lange nur auf unseren Lux-Editor fokustiert. Bis wir erkannten, dass unsere Redakteurinnen und Redakteure alle Tools zusammen als Werkbank wahrnehmen. Es ihnen auch egal, wo das eine Tool aufhört und das andere beginnt. Was sie wollen, ist eine guten Arbeitstag haben.

Was wiederum bei uns dazu führt, dass wir uns mehr Gedanken inzwischen darüber machen, wie die Übergänge der Tools gestaltet sind, weil dort — wie wir finden — der Zauber passiert. Oder im schimmsten Falle auch nicht.

Faktisch ist unser Ziel, unseren Nutzern, nicht nur den Experten, sondern allen, den Arbeitstag so schön und angenehm und stressfrei zu gestalten, wie nur möglich.

Das sind vier Lektionen, die wir in den letzten Jahren lernten und nur weiterempfehlen kommen. In den vergangenen Monaten ist ein fünfte dazu gekommen.

Lektion Nummer 5: Zuerst verändert ihr eure Nutzer, und dann verändern Eure Nutzer die ganze Organisation

Wir haben Stand heute 250.000 Digitalabonnenten. Und wir merken jetzt, dass unsere CMS-Nutzer in ganz neuen Workflows arbeiten wollen. Sie haben auch ein ganz anderes neues Mindset.

Sie wollen jetzt sogar nie dagewesene Produkte entwickeln. Vielleicht kennt ihr unsere Storytellings? Oder unsere neuen Weekender?

Wir machen uns auf jeden Fall keine Sorgen mehr, dass diese Redaktion sich nicht dauerhaft verändern kann und wird. Weil sie hat sich ja bereits verändert. Durch unser Tool.

Tool-driven change halt.

New workflow , new mindset, new products

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